Die Debatte vor der großen Umweltkonferenz Ende des Monats in Südafrika könnte paradoxer nicht sein. Da wird von vielen konstatiert, der sogenannte "Rio-Prozess" - begonnen mit dem Erdgipfel vor zehn Jahren in Brasilien - sei in eine tiefe Sackgasse geraten, trotz aller Erfolge im Einzelnen. Oberwasser haben allerdings jene, die Johannesburg mit einer geradezu schicksalsmächtigen Konsequenz ausstatten. Tenor: "Wenn nicht jetzt, dann ist auf lange Zeit die letzte Chance verspielt". Man fragt sich unweigerlich: Welche letzte Chance eigentlich? Vor allem: Welche Konsequenz hätte ein Nicht-Scheitern für verschiedene Bevölkerungs- und Interessengruppen?
Das Nord-Süd-Verhältnis hat sich seit Rio 1992 in der Tat verschlechtert. Die Armut nimmt dramatisch zu, die genetische und Artenvielfalt ab, der Klimawandel scheint unaufhaltsam. Das Problem besteht aber nicht im "fehlenden Willen" von Regierungen, sondern im Prozess selbst oder - anders formuliert - im "Rio-Typus" von Politik. Der sorgt dafür, "Weltprobleme" minutiös zu identifizieren und katastrophische Stimmungen auszulösen, sieht die Welt aber weitgehend "von oben": Als Planet und vom Nordwesten her. Die "Lösung" wird stets mitgeliefert: An einem imaginären Runden Tisch kommen alle zusammen und besiegeln den "großen Konsens". Credo: "Partnerschaft als Gleitmittel gegen Interessengegensätze" (Christa Wichterich). Doch findet diese Partnerschaft weder auf Augenhöhe statt noch kann sie wirklich Entscheidungen beeinflussen. Dissens wird weich gespült - Konsens aufgeschoben. Eine Praxis, die den Rio-Prozess delegitimiert hat, anstatt ihn voranzubringen. Denn der Verweis auf die gar nicht nachhaltigen Interessen von Konzernen und Wirtschaftsministerien wurde stets mit dem Argument abgebügelt, es sei keine Zeit für "so etwas". Nach 1989 hätten sich die "großen Alternativen" erledigt. Ein Sieg der technokratischen Hybris, die ökologisches Denken im Grunde genommen entpolitisiert.
Rio erinnert insofern an Tschernobyl und den Hang zum "post-katastrophischen Bewusstsein". Es beruht auf der Erfahrung, dass eine prophezeite Katastrophe tatsächlich eintreten kann, danach aber die Welt so bleibt, wie sie ist - ein "Weiter so" möglich scheint. Bei allem Anspruch von Rio, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern, wurde nämlich ein Umstand beharrlich ignoriert: Parallel zum Rio-Prozess gewann ein anderer an Fahrt - die neoliberale Globalisierung. Selbst die beiden völkerrechtlich verbindlichen Rio-Konventionen zum Klima und zur Artenvielfalt verkamen zu Instrumenten, um die Natur zu ökonomisieren. So wäre nach Johannesburg eine Denkpause geboten, um dem beschriebenen Prozess seine Legitimität zu entziehen und eine Perspektive zu stärken, derzufolge nachhaltige Entwicklung nicht ohne handfeste Konflikte mit wirtschaftsliberalen Interessen zu haben ist.
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