Djangos Kinder

Im Kino "Swing" von Tony Gatlif zeigt eine interkulturelle Begegnung mit Respekt und viel Musik

Manchmal verlässt man das Kino mit einem brennenden Neidgefühl auf den Regisseur beziehungsweise den Drehbuchautor, auch wenn man selbst gar keine Ambitionen als Regisseur oder Drehbuchschreiber hat. Swing von Tony Gatlif ist so ein Film.

Der in Algier geborene und in Frankreich lebende Gatlif wendet sich in Swing erneut der Kultur der Sinti und Roma zu, wie er das bereits in seinen früheren Filmen Vengo und Gadjo Dilo getan hat. Der 10jährige Max (Oscar Copp) trifft auf "Manouches" - eine ethnische Subgruppe von Sinti, die hauptsächlich in Frankreich und in Belgien angesiedelt ist. Der Film zeigt sie in einer Wohnwagensiedlung und den sie umgebenden Plattenbauten bei Straßburg. Max verbringt in der Nähe die Sommerferien bei seiner Oma. Im Grunde ist er ein Nomaden-Kind - seine Mutter, eine Frau mit Punk-Vergangenheit, zieht mit ihm jedes Jahr in ein anderes Land; die Manouches sind im Vergleich dazu relativ sesshaft. In Miraldo (Tchavolo Schmitt) findet Max einen Lehrer, der ihm auf der Gitarre den swing manouche beibringt. Er verliebt sich nicht nur in diese Musik, sondern auch in das Mädchen Swing (Lou Rech). Gemeinsam verbringen die beiden einen wunderschönen Sommer in der freien Natur, wobei die am Anfang jungenhafte Swing allmählich ihre Weiblichkeit entdeckt. Ein wichtiges Kriterium des Regisseurs bei der Auswahl der Kinderschauspieler - die er übrigens ohne Texte improvisieren ließ - war, dass sie sich trauten, einander in die Augen zu sehen, was Pubertierenden ansonsten nicht so leicht fällt.

An verschiedenen Stellen nimmt Tony Gatlif im Film außerhalb des fiktionalen Rahmens Bezug auf die Lebensweise und die Geschichte der Sinti und Roma. Da ist zum Beispiel die alte Frau, die immerzu aus dem Fenster des Wohnwagens guckt und raucht. Sie ist keine Schauspielerin, sondern eine Überlebende des Genozids während des Naziregimes (Hélène Mershtein) und laut Gatlif eine der wenigen, die bereit war, darüber zu reden. Max erzählt sie an einer Stelle des Films von der Deportation. Oder die Szene, in der das Mädchen Swing zwar Max´ Geschenk entgegennimmt, aber es kurze Zeit später einfach auf der Straße liegen lässt und weitergeht. Ihr Verhalten steht nicht für Desinteresse, sondern für Trennungsschmerz und zeigt das besondere Verhältnis dieses Volkes zum Besitztum: Es ist im Film nämlich davon die Rede, dass bei den Manouches das ganze Hab und Gut eines Toten verbrannt wird.

Keinesfalls wirkt die Reihe dieser Hinweise aber so, als solle der Zuschauer mit Hilfe von Swing einen Crash-Kurs über die verschiedenen Traditionen der Sinti und Roma absolvieren. Vielleicht gelingt Gatlif das, weil wir alles mit den forschenden Augen des kleinen Jungen verfolgen. Oder auch wegen der schönen Liebesgeschichte, die die dokumentaristischen Moment einbindet. "Ich versuche einfach etwas zu vermitteln, das am Verstummen ist", rechtfertigt der Regisseur seine Absicht, dem Zuschauer etwas über das Leben von Sinti und Roma zu zeigen.

Im Wohnwagen des Lehrers Miraldo hängt ein Foto des legendären Gitarrespielers Django Reinhardt, der den swing manouch begründet hat (und ihm, dem Lehrer, darüberhinaus wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt). Swing manouch entstand aus der manouch music, einer Mischung aus Flamenco, französischer Kaffeehaus- und ungarischer Sintimusik. Tchavalo Schmitt, der bereits mit allen Nachfolgern von Django Reinhardt zusammen gespielt hat (zwei davon wirken im Film mit), gilt als einer der bekanntesten Vertreter des heutigen swing manouche. Fernab vom Musikgeschäft lebt er zurückgezogen in Straßburg, empfängt Freunde, mit denen er musiziert - ganz wie im Film gezeigt. Unter die Haut gehen besonders die beiden "Swing-Feiern", bei denen die Manouches mit ihren jüdischen, arabischen und französischen Freunden eine jam session veranstalten. Fast meint man in der Musik die einzelnen Wurzeln all dieser "Entwurzelten" heraushören zu können.

Die grösste Leistung des Films besteht darin, dass Max keine einfältige Fragen stellt in Bezug auf "Exotik". Schon der Blick des Jungen strahlt abwechselnd Neugier und Freude, aber vor allem Respekt aus. Auch im Verhalten seiner Oma ist kein Erschrecken darüber festzustellen, dass sich ihr blonder Enkel mit "Zigeunern" abgibt. Im unverkrampften Umgang mit der Andersartigkeit der Menschen ist Swing ein Glanzstück, das hierzulande seinesgleichen sucht.

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