Doppelherz

Fußball Bei aller berechtigten Kritik legt Mesut Özils Statement den Finger ebenfalls in eine klaffende Wunde: Die offene Gesellschaft ist in keinem guten Zustand
Man wird nicht nur seinen besondern Blick für die brillanten Pässe vermissen
Man wird nicht nur seinen besondern Blick für die brillanten Pässe vermissen

Foto: Luis Acosta/AFP/Getty Images

Ich mag den Fußballer Mesut Özil. Ein hochbegabter Techniker, der vielleicht nicht so spektakulär spielt, aber immer diesen besonderen Blick für brillante Spielzüge und Pässe hat. Und er ist kein Spieler, der sich ins Zentrum stellt und sich inszeniert. In seiner Erklärung hat er zu Recht die mediale Hetze gegen ihn angeprangert – als ob Özil für das Scheitern in der WM verantwortlich war. Er hat zu Recht jene angeprangert, die daraus eine hysterische Debatte über die Türkeistämmigen gemacht haben, wodurch die Ressentiments extrem geschürt wurden. Er hat zu Recht den DFB-Präsidenten Grindel angeprangert, der eigentlich als erster den Hut nehmen müsste. In all diesen Punkten hat Özil recht. Und es ist gut, dass der ansonsten zurückhaltende Özil hier die Stimme erhebt.

Andere Punkte in seiner Erklärung sind jedoch naiv oder taktischer Natur. Er ist kein Politiker, ja. Aber jeder Türkeistämmige weiß, dass ihm ein Politiker gegenüber stand bei diesem Foto, jemand, der vor allem immer wieder beliebte Sportler als Aushängeschild instrumentalisiert. Ein Blick in die Abgeordnetenreihen der AKP zeigt, wieviele Sportler mittlerweile Abgeordnete sind oder zumindest für Promozwecke herhalten. Zu sagen, man sei kein Politiker, heißt nicht, dass dieses Bild nicht doch politisch instrumentalisiert wird. Wir als Türkeistämmige hier in Deutschland haben von unseren Eltern kulturell vieles vermittelt bekommen. Das zu ehren ist wichtig, aber keine Erklärung dafür, sich von Politikern vor den Karren spannen zu lassen. Manchmal ist Selbstkritik ein Zeichen der Stärke, wird aber von Menschen, die aus der Huldigung eines – egal welchen – Staates etwas Pseudoreligiöses machen, als Schwäche gesehen.

An einer Stelle sagt er, in ihm schlügen zwei Herzen: ein deutsches und ein türkisches. An einer anderen Stelle dagegen fühlt er sich diskriminiert, weil er oft als Deutsch-Türke bezeichnet wird. Warum? Das drückt doch dann einen Teil der Realität aus?

Özil hat recht, wenn er die offene Gesellschaft in Deutschland in keinem guten Zustand sieht. Eine wichtige politische Aussage als Nicht-Politiker. Nur macht er sich auch Gedanken über den Zustand der offenen Gesellschaft in der Türkei, dem Heimatland seiner Eltern? So liest sich diese Erklärung wie ein Produkt aus der Diaspora-Abteilung der AKP. Als eine über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte öffentliche Person hat man da schon etwas mehr Verantwortung, als er sich selber zuschreibt.

Ein Rücktritt ist nach all diesen Kampagnen gegen seine Person menschlich nachvollziehbar, aber wird er damit seiner Verantwortung auch gerecht? Ich denke, dass vorallem zwei Lager daraus Profit schlagen werden: die Identitären auf deutscher und türkischer Seite. Damit hat er unbewusst einer offenen Gesellschaft selber keinen guten Dienst erwiesen. Er wäre meiner Meinung nach stärker herausgekommen, wenn er selbstkritischer gewesen wäre – und trotzdem knallhart die Kritik gegen bestimmte Medien, Politiker und Funktionäre des DFB formuliert hätte.

Eren Güvercin, geboren 1980 als Sohn türkischer Eltern in Köln, arbeitet als freier Journalist für verschiedene Hörfunksender und Zeitungen

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