Doppelpass

linksbündig Vom Antiamerikanismus zum -semitismus und zurück zur FDP

Spielen wie kürzlich elf Deutsche gegen elf Amerikaner weiß jeder, es geht um Konkurrenz, auch wenn am Anfang des Spiels Wimpel und am Ende Trikots ausgetauscht werden. So war auch Schröders "uneingeschränkte Solidarität" die schnelle Nachmeldung für die militärische Ernstfallübung, bei der das neue Deutschland in punkto überdurchschnittlicher militärischer Bedeutung mit den USA mitzuhalten versucht. Was eine Freundschaft zwischen Staaten eigentlich sein soll, konnte noch keiner erklären oder hätte es nur für nötig befunden. Nehmen die Staatenlenker sich beim bilateralen Gipfel mit großer Geste zärtlich in den Arm, tippt der Diagnostiker zielsicher auf Reaktionsbildung: Das Gegenteil ist der Fall.
Als Rückendeckung für das transatlantische Gerangel auf dem heimischen Feld der "öffentlichen Meinung" ist Antiamerikanismus hilfreich und auch seit längerem pünktlich zur Stelle. Die relevanten Wirtschaftsmächtigen und mit ihnen die offizielle Politik stehen dabei nicht an vorderster Front, denn sie haben Rücksichten zu nehmen: Ressentiments verderben ihnen das aktuelle transatlantische Geschäft oder versauen die interne Konzernlaune bei DaimlerChrysler. Sie dürfen heute nicht zu laut sagen, was ihnen gleichwohl für morgen in die Strategie passt. Als Hintergrundgeräusch, das niemand offiziell bestellt hat, funktioniert Antiamerikanismus zur Zeit am besten.
Diejenigen, die sich (länger schon) am lautesten als Bewahrer der heimischen Kultur gerieren, sitzen ein gutes Stockwerk tiefer, sind Studienräte, durchschnittliche Rechtsanwälte, leitende Angestellte und nicht zuletzt viele von denen, die in Redaktionen sowieso täglich dafür bezahlt werden, irgendetwas Aufregendes zu meinen. Antiamerikanismus ist keinesfalls ein milieuspezifisches Phänomen. In den genannten Trägern und Verbreitern kommt aber eine subjektive Lage auf den Punkt, die ein Gutteil (nicht nur) ihres Tuns motiviert: Sie haben ein Wohlfühlproblem, weil sie zwischen zwei Stühlen sitzen und insofern im Wortsinne eine Mittelschicht sind.
Auf dem einen Stuhl, dem harten Schemel gleichsam, sitzen die politisch kaum Aufgeklärten. Sie bekommen nur Krümel ab vom großen Kuchen, durchschauen das aber kaum und haben in diesem Sinne erst mal kein Problem. Sie kennen nicht den Neoliberalismus, sondern nur "die Welt", die halt so ist, wie sie ist. Auf dem anderen Stuhl, der ein Chefsessel ist, finden sich die, die vom Reichtum wirklich etwas abbekommen. Sie wissen zwar was läuft, finden es in ihrer Position aber erst mal prima. Beide Positionen sind subjektiv funktionsfähig.
In der wenig komfortablen Zwischenposition nun weiß man irgendwie, was die Welt zusammenhält, hat aber nix wirklich davon. Das ist eine blöde Situation, also knetet man das Wissen ein wenig um: Man vergisst, dass schon die Regeln des Spiels mies sind und gibt stattdessen denen die Schuld, die sie am erfolgreichsten anwenden. Nun könnte man den nächstliegenden Chefsessel, den im eigenen Land, anschnauzen; das aber ist unpraktisch, der finanziert ja die mittelprächtige eigene Existenz. Also lieber drauf auf die Erfolgreichen im anderen Lager und mit System: "Coca-Cola, MacDonald´s und die englische Sprache" - Sinnbilder der Gewinner in der Konkurrenz der Marken, Sprachen und so weiter - "bringen den kulturellen Verfall", denkt man sich das dann zurecht. Damit ist dann sogar der geniale Spagat geschafft, die Chefsessel der Anderen anzupinkeln und sich genau damit den hiesigen anzudienen.
Früher wurde diese Doppelstrategie im eigenen Land ausgetragen: Da war der jüdische Bankier der Böse und der deutsche Fabrikant der Gute unter den Erfolgreichen. Wie um diese Parallele zu unterstreichen, werden heute zielsicher die amerikanischen Bankiers als jüdische (v)erkannt. Wiederum werden die Produkte des amerikanischen "Kulturimperialismus" als invasive Fremdkörper in der eigenen Kultur geortet und für deren Verunreinigung verantwortlich gemacht.
Die Möllemannsche FDP muss für den offenen Antisemitismus den politischen Liberalismus entsorgen, braucht sich aber nicht erst zum Stammtisch herunterzubeugen. Es ist der Studienrat, der heute, Gebetsmühlen und Unterkiefer mahlend, fragt, "ob man denn nicht mal Israel kritisieren dürfe". Die FDP schöpfte ihr Potential an Wählern schon immer aus dem vorbildlichen Lehrer-Angestellten-Selbstständigen-Klientel, das zwischen Schemel und Sessel unruhig nach Seelenfrieden sich sehnt.

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