Es war eine überraschend große Trauerversammlung - ihre Teilnehmer kamen aus der gesamten BRD, ja auch dem Ausland -, die in Marburg von dem ehemaligen Postbeamten Herbert Bastian Abschied nahm. Für die DKP, der er bis 1989 angehörte, war er 15 Jahre lang Stadtverordneter. Der Postminister entfernte ihn aus dem Dienst. 1987 unterlag Bastian vor dem Bundesverwaltungsgericht, 1990 begnadigte ihn Richard von Weizsäcker. Seinen Beruf hat Herbert Bastian danach nur noch einige Jahre ausüben können, die Gesundheit war zerrüttet. Im April ist er - 56 Jahre alt - gestorben.
Der sozialdemokratische Stadtverordnetenvorsteher rief ihm nach, er sei ein vorbildlicher Demokrat gewesen. Dies klang fast wie eine persönliche Entschuldigung und wie eine innerparte
innerparteiliche Kritik. Denn der Postminister, der einst das Disziplinarverfahren eingeleitet hatte, war in der SPD. Der Schriftsteller, Kritiker und Alfred-Kerr-Herausgeber Günther Rühle, ein Schwager des Verstorbenen, meinte, 1944, als Bastian geboren wurde, hätten viele Menschen zu erkennen begonnen, dass es so, wie es war, nicht weitergehen konnte. Vorher habe es schon eine ähnliche Situation gegeben: 1917. Und nun folgte eine sorgfältige Erörterung über die Legitimität der Revolutionen des 20. Jahrhunderts und ihr - die Argumentation blieb durchaus konservativ - notwendiges Scheitern. Aber die Niederlage sei nicht der letzte Akt gewesen. Danach sei es darum gegangen, ob die Besiegten auch gebrochen werden können. Dies konnte zum Exempel für kleine Leute werden, die lernten, was ihnen selber blühte, wenn ...Das war die eine Vergangenheit. Jetzt kommt die andere: Tags darauf konnte man im Fernsehen zwei führende PDS-Politikerinnen erleben, die sich dafür entschuldigten, wie 1946 die SED aus KPD und SPD entstanden war. Sogar Tote habe es infolgedessen gegeben. In einem Leserbrief ans Neue Deutschland erwiderte Moritz Mebel - er hatte als Deutscher in der Roten Armee gekämpft und war ab 1945 Besatzungsoffizier in Sachsen-Anhalt gewesen -, das sei ihm neu. Offenbar sind in der PDS-Stellungnahme die Entwicklungen seit dem Beginn des Kalten Kriegs 1947 und nach der "Bolschewisierung" der SED 1948 ein bisschen vorgezogen worden.Die Erklärung von Zimmer und Pau hat einen so unverkennbar tagespolitischen Zweck, dass ihren historischen Behauptungen und deren Widerlegung kein großes Gewicht beigelegt werden sollte. Interessant aber ist eine Einlassung der PDS-Bundesvorsitzenden, die einige Tage später in einer ostdeutschen Regionalzeitung erschien. Sie empfahl der SPD, nach der Entschuldigung nicht hämisch auf die PDS zu blicken, sondern sich auch einmal an ihre eigene Berufsverbotspraxis zu erinnern. Darf man so argumentieren? An der Vereinigung von KPD und SPD mag keiner gestorben sein, aber an der Mauer ab 1961 gab es Tote. Bei den Selektionen für den Öffentlichen Dienst - welche die DDR ebenfalls vornahm und zwar schärfer - ging es nicht ums Leben, wenngleich um die berufliche Existenz. Die Berufsverbote gehören aber dennoch in die gegenwärtige Debatte, und zwar aus einem trivialen Grund: Die DDR ist verschwunden, vor ihr schon die Mauer und die SED in ihrer alten Gestalt. Die BRD ist übriggeblieben. Eine Frage nach ihrer inneren Beschaffenheit ist nicht von gestern.Die Berufsverbote scheint es allerdings zur Zeit nicht mehr zu geben. Der Europäische Gerichtshof hat sie Anfang der neunziger Jahre der Bundesrepublik untersagt. Vorher schon waren sie in einem Teilbereich durch ein leiseres, aber effizienteres Mittel überflüssig gemacht worden: die Lehrerarbeitslosigkeit. Die Post, die als auch militärisch verwendbarer sicherheitsempfindlicher Bereich gegolten hatte und deshalb besonders penibel gesäubert worden war, ist nun ein privatisierter, in mehrere Einzelteile zerschlagener Gewerbebetrieb. Außerdem gibt es kaum noch Kommunisten. Wer das Thema aus historischer Distanz betrachtet, wird zu folgenden Ergebnissen kommen: Von Kommunisten in der BRD ging in den siebziger und achtziger Jahren keine Hochverrats-Gefahr aus. Erstens waren sie schwach, zweitens hatten sie keine revolutionäre Strategie: Sie vertraten, wie die Jusos, eine Politik der systemüberwindenden Reformen. Nur hieß das Ziel anders: Antimonopolistische Demokratie. Die DDR war in diesem Zusammenhang nicht als Vorbild wichtig, sondern als äußerer Faktor, der die eigene herrschende Klasse zur Vorsicht anhielt. Auch eine Landesverrats-Gefahr gab es durch die Kommunisten nicht. Den Geheimdiensten des Ostens es war verboten, in der DKP zu rekrutieren. Tatsächlich waren die Berufsverbote kein Erfordernis der inneren oder äußeren Sicherheit, sondern eine flankierende Maßnahme zur Ostpolitik Willy Brandts. Die CDU/CSU - übrigens auch deren Abgeordneter Richard von Weizsäcker - warf der SPD 1971/72 vor, ihr Brückenschlag nach Osten ermutige den inneren Feind. Gemeint waren RAF und DKP. Brandt erwiderte im Bundestag (vielleicht nicht ganz freiwillig), man müsse ihn nicht zum Jagen tragen.2001 entschuldigt sich die PDS, um wieder so nah an die SPD heranzukommen wie früher schon einmal: 1987, als man in einem gemeinsamen Papier die Claims abgesteckt hatte. Seit 1972 ließ die Sozialdemokratische Partei Deutschlands Berufsverbote verhängen, um sich das Regieren zu erleichtern und ein wichtiges Projekt - ihre Ostpolitik - abzusichern. Wer den Zweck billigte (zum Beispiel: wer von der DDR aus westdeutsche Politik analysierte), konnte gegen das Mittel nicht viel haben. Die damals Betroffenen - einer der ersten von ihnen, der entlassene Soziologieprofessor Horst Holzer, starb im vergangenen Jahr - haben für derlei strategischen Humor wenig Verständnis aufgebracht.