Drohnen

A–Z Die Foto-Plattform Dronestagram prämiert die besten Drohnen-Fotos aus 8.000 Einsendungen. In weiter Ferne scheint, dass woanders die Flugsysteme töten und zerstören
Ausgabe 30/2017

A

App Josh Begley will die Realität des US-amerikanischen Drohnenkrieges (➝ Obama) aufs Smartphone holen. Ob Pakistan, Jemen oder Somalia, immer wenn englischsprachige Nachrichten von einem Drohnenangriff berichten, schickt seine App eine Nachricht mit der Anzahl der Toten und der Ort wird auf einer Karte angezeigt. Drohnen sollen gezielt einzelne Menschen umbringen, doch viele Menschen sterben unbekannterweise und versehentlich. 2014 bestätigte General Michael Hayden, was vorher nur vermutet wurde: „Wir töten auf der Basis von Metadaten.“ Die USA verlassen sich auf Daten über Daten, zum Beispiel über Telefonnummern. Metadata, so heißt Begleys App. Bei Apple kann er sie nicht anbieten. Die App sei anstößig, so die offizielle Erklärung. Anstößig, weil real und nicht Simulation? Handy-Spiele, in denen man mit Drohnen tötet, stehen zum Download bereit. Johanna Montanari

E

Erotik Ich schaue mir den Drohnenporno Drone Boning von Ghost+Cow Films an: Luftaufnahmen von Menschen, die in blühenden Landschaften kopulieren. Meist sind ihre Körper nur bewegliche weiße Fläche in dem Meer aus Ocker und sanften Grün- und Blautönen (➝ Fotografie). Im Grunde ist die Sache eher Naturporno. Der Drohnenporno ist aber auch eine Rückkehr zum Blick des Erotikfilms: Während die Kamera im Hardcore-Film beinahe endoskopisch vorgeht, um nur ja jedes Loch auszukundschaften, setzt der Porno in Luftaufnahme das voyeuristische Erahnen wieder an seinen Platz. Eigentlich ganz schön. Darin schwingt der Reiz des Verbotenen mit. Solche Luftaufnahmen könnten schließlich ohne das Wissen der Akteure gedreht worden sein. Der Spaß an Sex im Freien besteht bekanntermaßen darin, dass man erwischt werden könnte. Der Blick eines anderen wird einkalkuliert. Gilt das auch für das neugierige Auge einer Drohnenkamera (➝ Zahlen)? Nehmen Sie sich lieber in Acht! Marlen Hobrack

F

Ferngesteuert Kampfdrohnen verändern nicht nur die militärische Taktik, sie setzen auch das Kriegs- und Völkerrecht möglichen Verschiebungen aus. Das ist die These der Studie Ferngesteuerte Gewalt mit dem Untertitel Eine Theorie der Drohne von 2014. Der französische Philosoph Grégoire Chamayou untersucht darin ethische, rechtliche und psychologische Fragen, die das Töten wie im Videospiel aufwirft. Die Asymmetrie des Krieges – reguläres Militär gegen militante Bewegung – radikalisiert sich: Die Auseinandersetzung wird vollends einseitig, wenn das Kommando zum Kill via Knopfdruck aus einem Büro am anderen Ende der Welt erfolgt (➝ Postheroismus).

Mit dem in den Medien wiederholten Blick aus der Drohne ändert sich das Bild des Krieges. Noch „chirurgischer“ scheinen die Einsätze, dabei ist oft nicht einmal klar, dass man sich im Krieg befindet. Wenn etwa in Pakistan US-Raketen einschlagen, dann ist das eine klar militärische Handlung ohne Kriegskontext. Ohne Warnung oder Möglichkeit der Festnahme wird das Ziel eliminiert. Tote im Umfeld werden zu „Kollateralschäden“. Analytisch und klug argumentierend, weiß Chamayou einiges zu erzählen über die „ferngesteuerte Gewalt“, die auf Taubenfüßen kam, aber längst zur militärischen Normalität geworden ist. Tobias Prüwer

Fotografie Ob Menschen, die kiloschwere Bildbände des Luftbildpathetikers Yann Arthus-Bertrand auf ihre Couchtische legen, auch Drohnen kaufen? Solche, an die sie Kameras binden? Kann man Bertrand also für den Wochenendlärm haftbar machen, wo er schon die große Harmoniesauce über die Welt kippte? Drohnenfotografie jedenfalls nimmt rasant zu. Man kann beim Nachbarn über den Zaun kieken, das Kind beaufsichtigen und den Trecker steuern. Man kann die Welt nicht nur kontrollieren, sondern sie auch zu einem glatten Muster schrumpfen lassen. Die Fotografie der Ferne lässt die Zerstörung Aleppos ins Pittoreske umkippen, der Widerspruch von Kapital und Arbeit zerfließt zum zahmen Farbenspiel (➝ Kunst). „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind“, wusste Robert Capa, „bist du nicht nah genug dran.“ Lennart Laberenz

K

Kunst Künstler entdecken Drohnen: Sei es das österreichische Ars Electronica Futurelab, das 100 Quadrokopter als spektakuläre Licht-Choreografie in den Nachthimmel steigen ließ, sei es Harun Farocki oder etwa der Berliner Künstler Jens Brand, der mittels Flugdrohnen unheimliche, surrende Soundscapes erschafft. Unterschiedlich sind die künstlerischen Fantasien, doch sie verhandeln Ähnliches: Die Drohnen schweben über uns. Kein gutes Gefühl. Marc Peschke

L

Logistik Der Online-Handel verstopft die Straßen, verpestet die Umwelt und verursacht Rückenleiden bei Paketzustellern. Amazon, DHL und Co. testen die Zustellung mit Drohne, um die Welt des Konsums ein bisschen besser zu machen. Blöd nur, dass Logistik-Drohnen bisher nur eine Distanz von 16 Kilometern zurücklegen und 2,5 Kilo transportieren können. Voraussichtlich werden sie weder das reguläre Massengeschäft revolutionieren noch die Arbeitsbedingungen verbessern. DHL geht davon aus, dass man mit der Drohne lediglich Versorgungslücken schließen werde, etwa Medikamente auf eine Insel liefern. Es bleibt vorerst ein Mensch, der die Turnschuhe ins Dachgeschoss trägt, wenn ein anderer auf „Kaufen“ klickt. Marlene Brey

O

Obama Anders als George W. Bush bleibt uns Barack Obama, der 44. US-Präsident, nicht als kriegslüstern in Erinnerung. Wir haben das Bild eines kultivierten und gebildeten Politikers vor Augen, wenn wir an ihn denken. Als Leser beschreibt ihn der nigerianisch-amerikanische Autor Teju Cole. Als einen, mit dem man sich auch darum identifiziert, weil er ganz ähnliche Bücher auf dem Nachttisch liegen hat wie man selbst: Moby Dick vielleicht und Kafkas Prozess. Dass der Friedensnobelpreisträger nicht als kriegslüstern galt, liegt auch daran, dass er keine neuen Kriege angezettelt hat. Aber bereits in Obamas erster Amtszeit gab es fünfmal so viele Drohnenangriffe wie in den acht Jahren unter Bush Jr. Die USA befanden sich unter Obama nicht nur im Irak und in Afghanistan im regulären Krieg, sie setzten in Pakistan, Somalia und im Jemen zudem auch Drohnen ein. Der friedliche Anschein des großen Lesers ist nur Makulatur (➝ Ferngesteuert), weswegen sich Cole auch alternative Enden für die Romane ausdenkt, die er auf dessen Nachttisch vermutet. Das klingt dann so: „Jemand musste Joseph K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Tages von einer Drohne getötet.“ Mladen Gladić

P

Postheroismus Der Begriff Postheroismus wurde Mitte der 1990er Jahre vom amerikanischen Militärstrategen Edward Luttwak erfunden. Er besagt, dass es in westlichen Gesellschaften immer schwerer wird, der Bevölkerung plausibel zu machen, warum Kriege geführt und dafür Menschenleben geopfert werden sollen. Das Argument ist auch ein demografisches. Familien hier haben nur noch wenige Kinder: Früher, so meint Luttwak, sei es eher verkraftbar gewesen, Söhne für das Vaterland fallen zu sehen, denn man hatte ja oft mehrere. Heute müssen Kriege schnell geführt werden, ohne großes Aufsehen in der Öffentlichkeit und mit minimalen Verlusten für die (natürlich eigene) Bevölkerung. Drohnen kommen hochtechnologisierten Staaten deshalb als Kampfmittel irgendwo zwischen internationalen Polizeieinsätzen und globalem Terror sehr gelegen. Von Einsatzzentren im Heimatland aus gesteuert, verrichten sie ein dunkles Geschäft, das fast nur seinen direkten Opfern unverborgen bleibt (➝ App).

Was ist aber mit denen, die die Drohnen steuern? Sie werden wegen posttraumatischer Symptome behandelt, obwohl sie nach dem Dienst nach Hause fahren können, wo keine Bomben drohen. Wie man von diesen Drohnenkriegern erzählt, fragt sich Karl Marlantes. In seinem autobiografischen Roman Matterhorn beschrieb er den Vietnamkrieg, angelehnt an den mittelalterlichen Parzival-Mythos. Von Heroen wie Parzival sind diese modernen Joystick-Helden allerdings meilenweit entfernt. Weshalb man auch ganz anders von ihnen erzählen müsste, glaubt Marlantes. Mladen Gladić

Praktisch Technische Dinge sind nie neutral. Auch Flugdrohnen eröffnen Möglichkeiten, verschließen andere und können negative Auswirkungen haben. Sie werden aber auch in ungemein praktischer Funktion eingesetzt. Quadrokopter – gern verwechselt mit den militärischen Drohnen – haben zahlreiche Einsatzbereiche, über das Liefern von sensationellen Draufsichtfotos mit bodennaher Luftbildperspektive hinaus (➝ Erotik).

So verwenden immer mehr Feuerwehren die fliegenden Augen, etwa zur Lageerkundung, Personensuche oder Gefahrstoffmessung. Zum Beispiel können sie damit in einsturzgefährdeten Gebäuden ermitteln, ob der Brandherd wirklich erloschen ist, ohne Gefahr für Leib und Leben einzugehen. Für die Seenotrettung wird mit wasserdichten Geräten experimentiert, die Rettungswesten abwerfen können. Auch um Seile vorzuspannen und zur Strommasteninspektion taugen die Vierflügler. Wissenschaftler setzen sie in der Geländekartierung ein, beim Messen von Energieverlusten bei Gebäuden und in der Höhlenforschung. Das Einsatzspektrum wird sich noch erweitern. Die Zwischenbilanz lautet: quadro, praktisch, gut. Tobias Prüwer

V

Vom Himmel holen Drohnen mögen nützlich sein (➝ Praktisch), aber sie nerven auch wie die Hölle über Erden. Ihr leises Surren ist mit der Akustik einer Mücke identisch. Vom Recht am Bild und möglichen Spitzeldiensten ganz zu schweigen. Soll man warten, bis der ganze Himmel mit Drohnen voll ist oder sie lieber gleich herunterholen? Für Gewaltfantasien bieten die unanständigen Flugobjekte massig Projektionsfläche.

Im Internet kursieren Ratschläge und Videos, wie man einer Drohne die Flügel stutzt. Argentinische Fußballfans warfen einfach eine Rolle Klopapier, um sich der Drohnenüberwachung im Stadion zu entledigen. Das französische Militär trainiert Raubvögel zur Abwehr der himmlischen Helfer. Andere setzen auf Netze und es gibt Selbstbauanleitungen für zielgerichtete Signalstörungen: Die Drohne wird steuerlos und geerdet. Der lustigste Web-Fund zeigt ein nachgestelltes Mittelaltergefecht aus Drohnensicht. Stahlbewehrte Kämpen schieben sich ineinander, die fliegende Kamera filmt. Einer schaut genervt, setzt zum Wurf an. Man sieht den Speer auf das Objektiv zurasen, dann liegt das Ding auf dem Rasen. Tobias Prüwer

Z

Zahlen Wie viele Drohnen surren durch Deutschland? Genau weiß man das nicht. Dreimal mehr Hobbydrohnen als kommerziell genutzte (➝ Logistik) sind es laut Deutscher Flugsicherung. Besonders gut verkaufen sich Modelle mit Kamera. Im vergangenen Jahr gingen davon 300.000 über den Ladentisch, für 2017 wird mit 500.000 gerechnet. Günstige Versionen gibt es bereits für knapp hundert Euro. Die Vogelwarte Sempach warnt, dass die zunehmende Zahl von Hobbydrohnen für brütende Vögel Stress verursacht. Der Handelsverband Spielwaren erzählt gar vom neuesten Trend: Selfie-Drohnen passen in jede Hosentasche und folgen einem in einer bestimmten Höhe und Entfernung.Johanna Montanari

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