Dschungel

A–Z Alles wirklich Wichtige dieser Welt findet sich im Urwald: Balu der Bär tanzt, König Gilgamesch wütet, und auch das Urbane fügt sich zu einem großen Bild. Unser Lexikon
Ausgabe 03/2015

A

Asphaltdschungel Der Vergleich der pulsierenden Großstadt mit einem undurchdringlichen Dschungel ist eine starke, oft gebrauchte Metapher. Filme wie Sinfonie der Großstadt (1927) oder Chaplins Lichter der Großstadt (1931) zeigen die Millionenstädte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in all ihrer Vielfalt. 1950 wurde dem Moloch der City mit John Hustons Asphalt Jungle ein weiteres filmisches Denkmal gesetzt. In diesem Film-noir-Klassiker hatte die Jahrhundertblondine Marilyn Monroe einen ihrer ersten Auftritte. In jüngster Zeit hat der Begriff Asphaltdschungel eine neue Bedeutung gewonnen: Urban und Guerilla Gardening sind ein internationaler Trend, die Stadt wird dabei in echtes Grün getaucht. Auf Dächern und Brachflächen gedeihen Gemüsegärten, Graffitikünstler hinterlassen Botschaften aus Moos. In New York wurde sogar gerade eine neue Froschart entdeckt. Mal sehen, wie lange es dauert, bis sich Äffchen von Laterne zu Laterne schwingen. Sophia Hoffmann

B

Boxen Als Muhammad Ali den als unbesiegbar geltenden George Foreman am 30. Oktober 1974 in Kinshasa (damals Zaire) in der 8. Runde auf die Bretter schickte, war der Mythos des Rumble in the Jungle perfekt: der gloriose Sieg des Außenseiters. Als Heimkehrer, als Kämpfer für die Rechte der Afroamerikaner und als einer, der den Kriegsdienst in Vietnam verweigerte, wurde Ali gefeiert. Doch auch darüber hinaus war der „Rumble in the Jungle“ ein Politikum. Denn Mobutu Sese Seko, Diktator von Zaire, hatte zehn Millionen US-Dollar für den Kampf bezahlt, um damit für sein Land zu werben. Unvergessen auch die Sprüche, die Ali vor dem Kampf klopfte. Benjamin Knödler

D

Disco In Berlin ist es enorm wichtig, wie lange man schon in der Stadt lebt. Prestige zieht auf sich, wer vor dem Mauerfall in den Westteil der Stadt gezogen ist. Aber: Wirklich top ist nur, wer den „Dschungel“ noch von innen gesehen hat. Diese Disco lag in der Nürnberger Straße und wurde 1993 geschlossen. Wie oft habe ich unter den neidischen Blicken der Umstehenden schon erklärt: Ich war mal da! An viel kann ich mich allerdings nicht erinnern, an eine Wendeltreppe, Plastikpalmen und an die Gäste: David Bowie, David Bowie und noch mal David Bowie. Gut, der war zwar gerade nicht da, es war überhaupt recht leer. Bestimmt kam aber Ben Becker später noch, getanzt wurde kaum. Good old West Berlin is dying, damals schon, immer noch. Michael Angele

Disney, Walt Ende 1966, kurz vor seinem Tod, nickte der als strammer Republikaner berüchtigte Trickfilmmogul Walt Disney noch schnell ein Skript ab, das auf dem Dschungelbuch (Kipling, Rudyard) von 1894 beruhte. Disneys Filmscript verwandelte den Urwald in ein lustiges Hippie-Idyll. Balu der Bär macht mit der Fünfminutensequenz, in der er sein Probier’s mal mit Gemütlichkeit singt und ausagiert, etliche Meter Ratgeberliteratur obsolet und glänzt danach zusammen mit Panther Baghira als schwules Elternpaar. Auch Shere Khan, der Tiger, distinguiert-melancholischer Schrecken des Urwalds, darf sich entspannt homophil geben: „Bravo, bravo – was für ein herrlicher Männergesang!“ Zwischendurch hat der Orang-Utan King Louie – in der deutschen Synchronisation etwas despektierlich „der größte Klettermax“ genannt – seinen großen Auftritt, mit einem verdammt coolen Scatgesang. Damit hat er allen Gülletauchern und Madenessern im Dschungelcamp (RTL) schon vorab eine Lektion erteilt: Dschungelkönig kann nur sein, wer synchron mit beiden Füßen je eine Banane aus der geschlossenen Schale heraus auf fünf Meter Entfernung zielgenau in den Mund eines Menschenkinds flatscht. Michael Ebmeyer

E

Ethnologie Immer mal wieder gibt es Berichte über „unbekannte Völker“. Die meisten leben in den Wäldern Lateinamerikas und Neuguineas. Mit Luftbildern – es sollen schon Hubschrauber mit Pfeilen und Speeren abgewehrt worden sein – wird dann großzügig getan: Man wolle die „unkontaktiert“ oder „isoliert“ genannten Ethnien in den Regenwäldern nicht mit westlich-globaler Zivilisation verderben. Das ist oft hübsch geheuchelt. Denn die meisten haben sich von selbst zurückgezogen, nachdem sie etwa durch den Raubbau von Goldsuchern von der westlichen Kultur kosten durften. „Bitte nicht!“ ist also ihr Credo. Aber die Ethnologie hat sich doch etwas gewandelt, nachdem sie allzu lange Traurige Tropen (Claude Lévi-Strauss) hinterließ. Die einst kolonialistisch-exotistische Neugier weicht, zumindest in der Wissenschaft, nach und nach dem vorsichtigeren Umgang mit den anderen. Tobias Prüwer

J

Jungle World Dass die Wochenzeitung Jungle World von manchen als Schädelspalter des linken Lagers wahrgenommen wird, erklärt sich schon aus ihrer Geschichte: Als der Chefredakteur der Zeitung Junge Welt wegen seines unorthodoxen Denkens gefeuert werden sollte, beteiligten sich 1997 fast alle Redakteure an einer Solidaritätsaktion: Sie gaben eine Streiknummer heraus, die zur Keimzelle der Jungle World wurde.

Frei nach dem Motto „Wer braucht schon Freunde?“ hat sich die Zeitung seither zu einem wichtigen Debattenblatt und Reflexionsmedium der undogmatischen Linken entwickelt. Besonders bei den Themen Nationalismus und Antisemitismus, erst recht wenn dieser „antiimperialistisch“ begründet wird, reckt die Jungle World ihren aufmerksamen Finger. Ihr Feuilleton heißt stilecht „Dschungel“. Manche lehnen das Blatt als „antideutsches“ Organ ab; andere schätzen die textlastige Publikation als intelligente Erfrischung. Tobias Prüwer

K

Kipling, Rudyard Klar, Disneys Figuren sind toll (Disney, Walt). Seit über 40 Jahren beherrschen sie unsere Vorstellung des Dschungelbuchs. Weil ich aber finde, man sollte möglichst früh lernen, dass dieselbe Geschichte in völlig verschiedenen Versionen erzählt werden kann, habe ich meinem fünfjährigen Sohn Rudyard Kiplings Originalversion geschenkt. Illustriert mit realistischen Zeichnungen von Tiger, Schlange, Bär und Wolf. Kiplings Welt ist rauer, düsterer, ambivalenter, ein Teil des Wolfsrudels hat sich sogar mit Shere Khan verbündet. Und Mogli bekommt von Balu mitunter mit Prankenhieben die Gesetze des Dschungels beigebracht. Mit der echten Wildnis hat das alles nicht viel zu tun, aber es liest sich großartig. Jan Pfaff

P

Pop Rock- und Popmusik lieben den Dschungel sowohl als Textreferenz, als auch als Schauplatz für Videos. Während Guns N’ Roses (Welcome to the Jungle) und Grandmaster Flash (The Message: „It’s like a jungle sometimes / It makes me wonder how I keep from goin’ under“) sich in die gefährliche und sündige Welt der City (Asphaltdschungel) stürzen, besingen Emilíana Torrini (Jungle Drum) und Katy Perry (Roar) lieber tierische Urwaldinstinkte. Wer „Jungle“ sagt, darf die in den 90er Jahren sehr populäre Elektro-Breakbeat-Drum-and-Bass-Nummer aus den britischen Clubs nicht vergessen. Das wohl bekannteste, eingängigste und auch nervigste Dschungellied ist wohl The Lion Sleeps Tonight, 1939 von dem Südafrikaner Solomon Linda komponiert, bis heute über 150 Mal gecovert und auch als Filmmusik für The Lion King (Disney, Walt) eingesetzt. Sophia Hoffmann

R

Rassismus Wer sich ab und an in Fußballstadien aufhält, bekommt mitunter mit, dass der Dschungel leider auch immer wieder als dumpf-rassistisches Schimpfwort herhalten muss. Es sind die Leute, die Bananen auf schwarze Spieler werfen oder Affenlaute von sich geben, die dann gelegentlich auch krakeelen, schwarze Spieler sollten gefälligst „zurück in den Urwald“. Der Dschungelrassismus kommt auch in der Weltpolitik vor: Im Streit mit den USA erklärte ein Sprecher Nordkoreas neulich, Barack Obama verhalte sich „rücksichtslos wie ein Affe in einem Tropenwald“. Benjamin Knödler

RTL Nach quälenden – oder glücklichen? – zwölf Monaten ohne geht es nun wieder los: Am 16. Januar startet bei RTL die neunte Staffel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, der Sendung, die man inzwischen als „Dschungelcamp“ kennt – weil längst keine Stars (mehr) mitmachen. Die Kandidaten werden wieder Kakerlaken essen und in Maden baden, ach ja. Verbraucherhinweis: Niemand ist zum Zuschauen verpflichtet. Benjamin Knödler

S

Sinclair, Upton „Hatte das Schwein die Reise einmal angetreten, winkte ihm keine Wiederkehr mehr“, heißt es in Upton Sinclairs berühmtem Roman aus dem Jahr 1906. In „Der Dschungel“ beschreibt der kapitalismuskritische US-Schriftsteller die üblen Umstände in einem Schlachthof in Chicago – übel nicht nur für die Tiere, auch für die Arbeiter. Die Story erzählt das Schicksal des litauischen Einwanderers Jurgis Rudkus, der tagein, tagaus für lächerlichen Lohn Schweine töten und zu Konserven verarbeiten muss – bis er bei einem Arbeitsunfall seinen Job verliert. Ohne soziale Absicherung versucht er mit seiner Familie zu überleben. Was den Schweinen freilich nicht mehr gelingen kann ... Unter den Schlagworten „Profitgier“ und „Vegetarismus“ ist das wieder hochaktuell. Katja Kullmann

T

Tarzan Der Wilde Mann ist unter uns: Das Sandmännchen, Rambo und der Nikolaus tragen seine zotteligen Züge. Die Figur des ganz und gar naturbelassenen Menschen ist in alten Mythen wie in der Popkultur zu Hause – und hebt das Archaische und Instinktive im Gegensatz zur Kultur hervor. Schon im ersten Epos der Menschheit gesellt sich zum Stadtstaatenkönig Gilgamesch ein Wilder Mann als dessen Freund. Bis heute heißen eine Harzstadt und ein Dresdner Stadtteil „Wilder Mann“, und die Zahl von Gaststätten mit diesem Namen ist Legion. Tarzan ist eine der bekanntesten modernen Reinkarnationen des Wilden Mannes. Edgar Rice Burroughs ersann sie 1912. Der im Dschungel von Affen aufgezogene Muskelheld fungierte als Zivilisationsskeptiker. Heute tanzt er in Musicals. Tobias Prüwer

Z

Zerstörung Der Dschungel ist in Gefahr, aber nicht nur der. Auch in nördlichen Sphären gibt es Urwälder, zum Beispiel in Sibirien. Rund um den Globus wird der Lebensraum von vielen Millionen Tier- und Pflanzenarten durch meist illegale Rodungen bedroht. Am Ende landet das Holz oft in den Industriestaaten oder wird zu Papier gemacht. Recycling kann die Urwälder schützen, deswegen wird in der Redaktion des „Freitag“ seit mehr als drei Jahren fast ausschließlich Ökopapier verwendet. Würde hier hingegen Frischfaserpapier genutzt, wäre dazu beispielsweise eine nachhaltig bewirtschaftete Fläche mit deutschen Fichten nötig – und zwar in der Größe etwa eines halben Fußballfeldes, wie die Umweltschutzorganisation Robin Wood auf Anfrage ausgerechnet hat. Felix Werdermann

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