Diese Frau ist die Geheimwaffe der norddeutschen Wasserversorger: Immer, wenn sie in Sachen Gülle und Nitrat im Gespräch mit den Bauernverbänden nicht weiterkommen, laden sie Wibke Christel ein. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet die Greifswalderin im dänischen Umweltamt. Sie referiert dann in bester Laune, warum in Dänemark gelingt, was in Niedersachsen unlösbar scheint: das Grundwasser vor zu viel Gülle zu schützen.
Auf dem dänischen Festland konzentrieren sich wie im Nordwesten Niedersachsens große landwirtschaftliche Betriebe: Rund 19 Millionen Schlachtschweine mästen die Dänen pro Jahr, 16 Millionen die Niedersachsen, dazu kommen Hunderttausende Milchkühe und zehntausende Geflügelställe. 59 Millionen Tonnen Gü
nen Gülle und Gärreste sind 2014 allein in Niedersachsen entstanden – das entspricht etwa 100.000 vollbeladenen Lastwagen und wäre ein gigantischer Gülle-Stau von Hannover bis Rom, hat das niedersächsische Landwirtschaftsministerium ausgerechnet. Jahrelang ist in den viehdichten Regionen vielerorts zu viel Nitrat aus tierischem Dünger und künstlichem Mineraldünger ins Grundwasser gesickert. Mehr als 50 Milligramm Nitrat pro Liter gelten als gesundheitsgefährdend, vor allem für Säuglinge und Kleinkinder. Daher hat die EU diesen Grenzwert für Trinkwasser festgelegt.Der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband OOWV versorgt gut eine Million Menschen von Langeoog bis Vechta mit Trinkwasser, in seinem Einzugsbereich enthalten viele Grundwasservorkommen, gerade in den viehdichten Landkreisen Oldenburg und Cloppenburg, zu viel Nitrat.Ähnlich war die Situation in Dänemark. Doch während es in Deutschland jahrelang nicht gelungen ist, wirkungsvolle Regeln aufzustellen, haben die Dänen ihren Landwirten eine ganze Reihe davon verordnet. Nach der Ernte, wenn keine Pflanzen mehr auf dem Feld wachsen, die den Stickstoff aus der Gülle aufnehmen könnten, darf kein tierischer Dünger aufs Feld. An Hängen und nahe von Gewässern auch nicht.Skeptische LandwirteDie Landwirte müssen ihre Güllebehälter mindestens hundert Meter von Wasserläufen entfernt und so groß bauen, dass sie sechs Monate lang alle anfallenden tierischen Exkremente lagern können. Es ist eine lange Liste von Auflagen, die Christel beim OOWV-Wasserschutztag vorträgt. Mit jedem Satz blicken die Landwirte skeptischer. Ob es sich da überhaupt noch rentiere, Schweine zu mästen, will einer wissen. „Für die dänischen Landwirte bedeutet es: Umdenken zu effizienterem Management und Kosten, die vor allem größere Betriebe stemmen können“, antwortet Christel. „Doch die Auflagen wirken: Die Trendumkehr wurde erreicht, bei den jüngeren oder oberflächennahen Grundwasservorkommen sinken die Nitratbelastungen.“ Dass bei tieferen Brunnen die Nitratgehalte im Wasser weiter steigen, ist nicht zu ändern. Dort wird Wasser gefördert, das vor Jahrzehnten mit zu viel Nitrat versickert ist.Deutschland hat dagegen lange auf freiwillige Vereinbarungen gesetzt. Wasserwerke wie der OOWV kooperierten mit Landwirten, die Weiden und Äcker in Schutzgebieten bewirtschaften, die freiwillig und gegen Entschädigung weniger düngen. Bis 2006 war die Zusammenarbeit eine Erfolgsgeschichte. Doch seit das Erneuerbare-Energien-Gesetz einen Boom von Biogasanlagen ausgelöst hat, steigen die Nitratwerte wieder. Biogasanlagen werden mit Mais befüllt, der viel Dünger braucht, aber erst spät im Jahr zu wachsen beginnt – eine Risikopflanze für das Grundwasser. Außerdem hatte die bis 2017 geltende Düngeverordnung große Lücken: Die Gärreste aus den Biogasanlagen, die ähnlich wie Gülle auf Äckern verteilt werden, mussten bei der Düngebilanz eines Betriebes nicht angerechnet werden, obwohl sie viel Nitrat enthalten. Das Ergebnis: Steigende Nitratwerte im Grundwasser und anhaltende Verstöße gegen die EU-Nitratrichtlinie. „Die hohen Werte im jungen Grundwasser könnten im Laufe der Zeit die tieferen Brunnen erreichen und zum Problem für das Trinkwasser werden“, befürchtet OOWV-Geschäftsführer Karsten Specht.2016 hat die EU Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof angeklagt. Erst in diesem Frühjahr hat der Bundestag nach jahrelangem politischem Gerangel eine strengere Düngeverordnung verabschiedet. Die enthält nicht so viele Auflagen wie das dänische Regelwerk, gilt aber als erster Schritt in die richtige Richtung. Die wichtigste Änderung: Jeder Betrieb muss eine genaue Stoffstrombilanz für Nitrat erstellen – für Landwirte aufwendige Büroarbeit, die ab 2023 auch kleine Höfe mit wenigen Tieren und solche, die jahrelang sorgfältig mit ihrem Dünger umgegangen sind, trifft.Dennoch sind sich die meisten Umweltschützer und Wasserexperten einig, dass die neuen Regeln nicht reichen, um künftig unbelastetes Grundwasser zu garantieren. Das Verhältnis zwischen Wasserversorgern und Agrarverbänden ist daher extrem gereizt. Das zeigen die Reaktionen auf die jüngste Studie des Umweltbundesamtes, wonach Trinkwasser in stark belasteten Gebieten bald bis zu 45 Prozent teurer werden könnte, wenn weiter so viel Nitrat ins Grundwasser gelange. „Panikmache“, wetterte der Bauernverband. „Die Bauern werden an den Pranger gestellt.“Auch beim Wasserschutztag macht der Vizepräsident des niedersächsischen Bauernverbands, Ulrich Löhr, seinem Ärger Luft. Der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft hat zusammen mit Greenpeace, Verdi und anderen eine Petition für ein Ausbringungsverbot von Gülle in Gebieten, in denen das Grundwasser mit mehr als 50 Milligramm Nitrat belastet ist, gestartet. Das, so Löhr, stoße die Landwirte vor den Kopf und bringe keine Lösung.Es wirkt wenig glaubwürdig, die Bauern als Opfer darzustellen, wo die Befunde der Messstellen so eindeutig sind. Doch ihr Ärger ist nicht unbegründet: Jeder einzelne Stall in den Ballungsgebieten der Mastschweine und den Hähnchenhochburgen, der heute Gülle-Überschüsse produziert, ist von kundigen Behördenmitarbeitern genehmigt und von Banken finanziert worden. Vor allem im Nordwesten Niedersachsens muss jedem Beteiligten klar gewesen sein, dass das Probleme verursachen wird.Der OOWV hat zu seinem Wasserschutztag Start-ups eingeladen, die Hightech-Systeme vorstellen, die Gülle zu Konzentrat verdichten. Und kleine Anlagen, die Gülle in eine Art Kompost verwandeln. Damit lässt sich der Überschuss leichter in Gegenden mit wenig Vieh transportieren, wo der Boden Dünger gut gebrauchen kann. Noch einfacher wäre: weniger Vieh mästen, weniger Fleisch essen.
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