Dummes deutsches Geld

Sachbuch 800 tolle Seiten erzählen uns in „Crashed“ von der Finanzkrise, die nie aufgehört hat
Ausgabe 39/2018
Die Federal Hall an der Wall Street, New York City, zur Zeit des Börsencrashes im Herbst 1929
Die Federal Hall an der Wall Street, New York City, zur Zeit des Börsencrashes im Herbst 1929

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Deutsche Politiker glaubten 2008 an eine amerikanische Krise. Kurz darauf erlebte die deutsche Wirtschaft den tiefsten Einbruch seit 1945. Und heute? Der an der New Yorker Columbia University lehrende Wirtschaftshistoriker Adam Tooze bestreitet, dass die Krise vorbei ist: Sie war es 2009 nicht, sondern brach 2011 – 2012 erneut aus; 2015 – 2016 wurde eine erneute Weltkrise knapp vermieden, und heute erleben wir eine (geo)politische Krise, die die neoliberale Weltordnung ins Wanken bringt.

Tooze liefert eine „historische Erzählung“, die politische Entscheidungen und Akteure ins Zentrum stellt. Es geht um Momente mit offenem Ausgang, wo Unsicherheit, Unwissenheit, Kontingenz herrschten, wo es zu entscheiden galt. Wie die Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. war die von 2008 ff. ein Wendepunkt des Kapitalismus. Sie war die Krise eines Weltsystems, das auf dem transatlantischen, auf der Hegemonie des US-Dollars beruhenden Finanzsystem fußte. Finanzströme zwischen Europa und den USA und zwischen Europa und Asien waren seine Hauptachsen; die Krise war so europäisch wie amerikanisch. Die Welt wurde in sie hineingezogen. Globale Banken spielten überall mit, wo Gewinne winkten, sie ritten auf einer ständig wachsenden Woge von Schulden. Am verblüffendsten war das halsbrecherische Engagement deutscher Banken, darunter etliche Landesbanken, im US-Immobiliengeschäft und in der globalen Spekulation. Das Wort vom „dummen deutschen Geld“ machte die Runde: deutsche Banker, die sich Dollars liehen, um Dollars zu verleihen, massiv auf die Nasen fielen und vom Staat gerettet werden mussten. Zum ersten Mal seit den 1930ern stand das internationale Finanzsystem vor dem Zusammenbruch. Die Verluste für US-Privatschuldner waren gigantisch – 22 Billionen Dollar privates Vermögen und Kapital wurden vernichtet – und extrem ungleich verteilt.

Neoliberale Dogmen waren schnell vergessen. Nie in Friedenszeiten haben Regierungen und Notenbanken so massiv interveniert. In den USA kooperierten Regierung, Kongress und Zentralbank und mobilisierten zuvor unvorstellbare Summen. Staatsinterventionen, -verschuldung und Ausweitung des Zentralbankkredits (die famose „Notenpresse“) verhinderten eine Pleitenserie. Rasant steigende Staatsschulden waren Folge der Politik, nicht Ursache der Krise. Die kann nur verstehen, wer sie als Weltkrise sieht. Dazu gehören China und seine paradoxe Symbiose mit den USA, dazu gehören Osteuropa, Russland , Japan und Korea. De facto kooperierten die Notenbanken erfolgreich und besser als die Regierungen. Die Federal Reserve machte sich zum „lender of last resort“ für die ganze Welt, sie rettete die EZB und weitere Notenbanken.

Dass die sogenannte Euro-Krise ausgestanden ist, darf man bezweifeln. Merkel, Schäuble, der unsägliche Steinbrück kommen nicht gut weg. Immer wieder bremste Deutschland gemeinsames Vorgehen aus, in Europa und weltweit. Diese Haltung war wegen gegenseitiger Abhängigkeit in Europa und transatlantisch falsch, im Umgang mit der Krise in Ost- bzw. Südeuropa verheerend. In der Griechenland-Krise hat Merkel jeden vernünftigen Vorschlag blockiert, selbst jene Schäubles.

Tooze widerspricht gängigen Deutungen: Die Hegemonie des Dollars und der US-Staatsanleihen ist nicht am Ende; China ist stärker denn je, weil seine Wirtschaft nie so exportabhängig war wie die deutsche. Den Brexit analysiert er im Detail: Die Austeritätspolitik, die seit 2010 praktiziert wurde, spielt die Schlüsselrolle. Auch den Aufstieg Trumps und der Rechten in Nordamerika und Europa sieht er in diesem Licht. Die im Prinzip richtige, wenn auch paradoxe Krisenpolitik hat Lasten sehr ungerecht verteilt, einige Krisengewinner sind längst wieder obenauf, aber die Masse der Normalbürger und Krisenverlierer hat die Zeche zu zahlen und zahlt bis heute.

Info

Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben, Adam Tooze, Übersetzt von N. Juraschitz, K. Petersen und T. Schmidt, Siedler 2018, 800 S., 38 €

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