Dunkel genossen

Science-Fiction Christopher Nolans Weltall-Saga „Interstellar“ ist selbst ein Schwarzes Loch
Ausgabe 45/2014
„Interstellar“ treibt das Zuschauerhirn immer wieder an die Grenzen des Denkbaren
„Interstellar“ treibt das Zuschauerhirn immer wieder an die Grenzen des Denkbaren

Foto: Warner Bros. Ent. 2014

Weltraumfilme haben ein Ding zu laufen mit Embryos. Regelmäßig überblenden sie das unvorstellbar große Universum mit der unvorstellbar kleinen Leibesfrucht, schließen sie die Frage nach dem Wohin der Menschheit mit der nach ihrem Woher kurz. So endet Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968) mit dem berühmten Bild des „Starchild“, so scheint Alfonso Cuaróns Gravity (2013) unablässig die Nähe von Schwangerschaft und Schwerkraft behaupten zu wollen. 90 Minuten lang schwebt und zuckelt Sandra Bullock darin als Embryo an diversen Nabelschnüren durchs All, bis sie am Ende schwach und nackt wie ein Neugeborenes dem Wasser entsteigen darf.

Christopher Nolans Interstellar ist ebenfalls ein Weltraumfilm, der von Reproduktion, vom Fortbestand der Menschheit erzählt. Wir befinden uns im Mittleren Westen, in nicht allzu ferner Zukunft, Mutter Erde steht vor dem Kollaps. Der Weizen stirbt ab, und das Wetter spielt verrückt, Sandstürme führen zu dicken Staubschichten, die sich auf den Esstischen der Familien und in den Lungen der Kinder ablagern. Hier leben – nein danke. Eine kleine, unterfinanzierte Truppe von NASA-Wissenschaftlern hat einen Rettungsplan und will sich im All auf die Suche nach einer neuen Heimstatt für die Menschen machen – ein nahe der Erde platziertes Wurmloch macht’s möglich (für die prinzipielle Plausibilität des Plots steht der Astrophysiker Kip Thorne ein, der als Berater mitgewirkt hat).

An dieser Stelle bekommt die Reproduktionsgeschichte eine interessante Wendung. Getragen wird die Raumfahrtsmission und damit die Zukunft der Menschheit von gleich zwei Vater-Tochter-Paaren (Mütter gibt’s nicht). Vor allem die Liebe zwischen Raumschiffkapitän Cooper (Matthew McConaughey) und seiner Tochter Murph (Jessica Chastain) überwindet alle Schwarzen Löcher und raumzeitlichen Verwerfungen. Während ein Physiker namens Dr. Mann (Matt Damon), auf dem zunächst alle Hoffnungen ruhten, sich auch nur als Mensch erweist, wird Murph mit Hilfe ihres Vaters zur messianischen Erlöserin. Väter und Töchter und Vätertöchter. Lauter Athene-Mädchen.

Interstellar erzählt also von einem ödipal überformten Universum, und vielleicht ist das der Grund, warum der Film trotz aller für den Regisseur typischen Vertracktheiten, der vielen wilden Ideen über Raum und Zeit, die das Zuschauerhirn immer wieder an die Grenzen des Denkbaren treiben, nicht richtig in Fahrt kommt. Der Kosmos wird von Nolan mit Familiensinn und Elternliebe vollgepumpt, seine radikale und krasse Fremdheit in einem Fort eingehegt und domestiziert. Dazu trägt bei, dass der Film von Beginn an als Wiederherstellungsgeschichte entworfen ist, markiert durch eine Rahmenhandlung, in der alte Menschen in pseudodokumentarischen Intervieweinstellungen direkt in die Kamera schauen und von den schweren Zeiten auf der alten Erde erzählen. Man weiß also von Anfang an: Sie werden gerettet worden sein. Damit ist Interstellar ein interessanter Fall von Weltraumgeschichte und Zukunftserzählung, die nicht futuristisch aussieht, die als Rückblick beginnt und restaurativ endet und deren emblematische Figur konsequenterweise kein Embryo, sondern der Zeitzeugengreis aus dem Guido-Knopp-Geschichtsfernsehen ist.

Das mag sich mäkeliger anhören, als es gemeint ist. Denn Interstellar funktioniert sehr gut als Schwarzes Loch, in dem die Relativität von Zeit genussvoll erfahren werden kann. Es ist dunkel, und drei Stunden vergehen wie nichts.

Interstellar Christopher Nolan USA/GB 2014, 169 Minuten

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