Als der Hessische Verdi-Landesverband unlängst vorschlug, für die Beschäftigten bei Kommunen und Bund sieben Prozent mehr Gehalt zu fordern, winkte der Arbeitgeberverband empört ab: „Angesichts der schwierigen Haushaltslage“ werde man bei der Neuverhandlung der zum Jahresende auslaufenden Verträge „eine überzogene Forderung“ keinesfalls akzeptieren. In Baden-Württemberg sprach sich Verdi für fünf Prozent mehr Geld und fünf zusätzliche freie Tage aus. Begeisterung löste auch das nicht aus.
Bund und Kommunen machen den Auftakt in einem Tarifjahr, das im Zeichen der Krise steht. Die Dienstleistungsgewerkschaft will am 15. Dezember ihre Forderung bekannt geben. Ab Ende März laufen die Vereinbarungen in der
en in der Chemiebranche aus, Ende April folgt die Metall- und Elektroindustrie, am Jahresende der öffentliche Dienst in den Ländern. Insgesamt werden 2010 für rund 9,4 Millionen Beschäftigte neue Tarifbedingungen verhandelt.Unterschiedliche StrategienMäßigungsappelle der Arbeitgeber gehören zur Tariffolklore, angesichts der Krise klingen sie in diesem Jahr noch dramatischer. Die IG Metall hat allerdings – anders als Verdi – auch selbst von Lohnzurückhaltung gesprochen. Man wisse um die Situation, und die Forderung werde „entsprechend ausfallen“, so der niedersächsische Bezirksleiter Hartmut Meine. IG-Metall-Chef Berthold Huber befand die Luft für Tarifsteigerungen „sehr dünn“.Aus den unterschiedlichen Äußerungen der Gewerkschaften ist auf einen Streit über die Strategie geschlossen worden. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske hatte Ende Oktober erklärt, „Lohnverzicht ist in einer Zeit, in der wir uns am Rande einer Deflation bewegen, der falsche Weg“. Zunächst hieß es, Bsirske habe „damit indirekt“ dem IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber widersprochen. Später las man unter Berufung auf das selbe Zitat, Bsirske habe Huber „angegriffen“. IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis ergriff daraufhin für diesen Partei, zeigte sich „sehr verwundert über die öffentliche Kritik“ von Bsirske und erinnerte daran, dass bislang aus gutem Grund „keine Gewerkschaft Tariffragen kommentiert hat, von denen sie nichts versteht“.Ein Konflikt, der über bekannte Differenzen zwischen den Gewerkschaften hinausgeht, ist das in Wahrheit nicht. Bsirske weiß genau um die „unterschiedlichen Bedingungen in den Branchen“, die man „nicht ignorieren“ dürfe. „Die Metallindustrie ist besonders stark von der Krise getroffen, deswegen wird dort zurzeit vor allem über Beschäftigungssicherung diskutiert.“ Gerade deshalb aber pocht Bsirske auf „ein spürbares Lohnplus im öffentlichen Dienst“. Was bei den einen nicht an Massenkaufkraft nachkommt, soll bei den anderen durch Zuwächse kompensiert werden.Sinkende Staatseinnahmen, höhere SozialausgabenJedoch ist die Lage im öffentlichen Dienst kaum besser. Die klammen Haushalte sind keine Erfindung und eine steuerpolitische Wende ist nicht in Sicht – im Gegenteil: mit Schuldenbremse und schwarz-gelber Klientelpolitik wird sich die Lage weiter verschlechtern. Von der Krise, die sich in sinkenden Staatseinnahmen und höheren Sozialausgaben niederschlägt, abgesehen.Es ist ein Teufelskreis, den die Gewerkschaften in der Vergangenheit nicht haben durchbrechen können. Bsirske hat gerade mit Blick auf Japan vor der Wiederholung von „lohnpolitischen Fehlern“ gewarnt – die wurden freilich auch hierzulande begangen. Seit Jahren bekommen die Beschäftigten im Schnitt weniger Geld. Selbst die bis 2008 noch gute Konjunktur und Tarifsteigerungen haben daran nichts geändert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht von einer einmaligen Entwicklung, „nie zuvor ging ein durchaus kräftiges Wirtschaftswachstum mit einer Senkung der realen Nettolöhne über mehrere Jahre einher“. Der Tarifexperte des gewerkschaftsnahen Instituts WSI, Reinhard Bispinck, sagt, „die im internationalen Vergleich extrem schwache Lohnentwicklung“ habe „krisenverschärfend gewirkt“. Dem entthronten Exportweltmeister fällt die Unterbietungskonkurrenz, die seinen Aufstieg mit ermöglichte, auf die Füße: Jetzt, wo der außenwirtschaftliche Konjunkturmotor ausgefallen ist, rächt sich, dass jahrelang Sand ins Getriebe der Binnennachfrage gestreut wurde. Zuletzt stiegen zwar die Tariflöhne, aber die effektiv gezahlten Gehälter gingen zurück.Eine tarifpolitische Kehrtwende ist in der anstehenden Runde kaum zu erwarten. Wer sollte sie leisten? Der IG Metall, der man bisher eine Vorreiterrolle zubilligte, stehen schwierige Zeiten bevor. Ganz auf Lohnerhöhungen will man zwar nicht verzichten – schon „um die Binnennachfrage anzukurbeln“, wie Bezirksleiter Meine sagt. Im Mittelpunkt wird aber die Beschäftigungssicherung stehen.Bedrohte Stellen in Metallbranche sichernDie Zeit drängt. Nach dem überdurchschnittlichen Stellenabbau im verarbeitenden Gewerbe droht kommendes Jahr weiterer Jobverlust. Bei schwachen Wachstum oder Stagnation könnten bis zu 490.000 Stellen in der Metall- und Elektrobranche verlorengehen, prognostiziert die IG Metall. Und will deshalb ein Job-Paket durchsetzen – die Fortsetzung des unausgesprochenen „Bündnis für Arbeit“. NRW-Bezirkschef Oliver Burkhard fordert „eine neue, tripartistische Solidarleistung“. Betrieben soll ermöglich werden, die Stundenzahl pro Woche auf 28 zu reduzieren, die Unternehmen würden dabei einen Teillohnausgleich zahlen, der vom Staat steuer- und abgabenfrei gestellt werden soll.Verhandlungen darüber müssten alsbald geführt werden. Der entsprechende Tarifvertrag ist für die IG Metall jedoch nur in einem Bezirk zum Jahresende kündbar. Anderswo wäre die Gewerkschaft in dieser Frage nicht streikfähig. Das sind nicht gerade günstige Bedingungen. Was man auch über die Lohngespräche sagen kann, die erst nach den Verhandlungen zur Jobsicherung stattfinden dürften. Selbst wenn die IG Metall einen Verteilungsspielraum von 3 bis 4 Prozent zugrunde legt – errechnet aus Produktivitätsanstieg und Preissteigerung – müsste daraus beides „bezahlt“ werden: Jobsicherung und Lohnerhöhung.Das ist schlecht für die Portemonnaies der Beschäftigten, könnte aber einen Teil der bedrohten Stellen retten. Und es wäre eine Chance, die Arbeitszeitpolitik als „Königsdisziplin“ der Gewerkschaften neu zu beleben. Dazu müsste die Reduzierung der Wochenstundenzahl allerdings nicht nur als Notnagel in Krisenzeiten begriffen werden. Sondern als Einstieg in eine radikale Umverteilung von Arbeit.