Durch Blick und dünn

Bücher Über die existenziellen Filme Béla Tarrs sind zwei aufschlussreiche Monografien erschienen
Ausgabe 06/2014
Szene aus dem Trailer des Films "Das Turiner Pferd"
Szene aus dem Trailer des Films "Das Turiner Pferd"

Foto: Screenshot

Béla Tarr, der mit Das Turiner Pferd auf der Berlinale vor drei Jahren seinen letzten Film vor überschaubarem Publikum präsentierte, hat wie wenige Filmemacher über die Abgründe nach dem humanistischen Versprechen des real existierenden Sozialismus gearbeitet. Auf Deutsch sind gerade zwei Monografien über ihn herausgekommen. Der August Verlag übersetzte Jacques Ranciéres Schrift über Tarr als Filmemacher einer „enttäuschten Hoffnung“ (Béla Tarr. Die Zeit danach) und im Alexander Verlag ist Bernhard Hetzenauers Untersuchung Das Innen im Außen erschienen.

Während der emeritierte Philosophieprofessor Ranciére in den politischen Charakter des Filmstoffs und die symbolischen Elemente einführt, bemüht sich Filmemacher Hetzenauer um die Blickpolitik bei Tarr und eine mögliche Lesart nach Jacques Lacan bemüht. Was auf den ersten Blick schwurbelige Akademisierung von Tarr befürchten lässt, ist ein munter zu lesendes Essay. Denn tatsächlich sind Tarrs Filme geeignet Lacans Versuch, „der psychischen Realität einen Körper zu geben, ohne sie zu substantifizieren“, wie Lacan selbst seine Ontologie beschrieben hat. Und so hält sich Hetzenauer an die sehnsuchtsvollen Blicke der Menschen, die Tarrs Filme bevölkern und die oft ins Leere laufen. Diese Blicke hängen in verregneten Landschaften wie einer jener struppigen Bäume, suchen die Erwiderung von anderen, ohne sie zu finden. Darin erkennt Hetzenauer das Lacan’sche Muster des Erblicktwerdens durch ein ganzes Koordinatensystem: „Nach dem Zusammenbruch aller Utopien gibt es keine Orientierungsmöglichkeiten mehr, nur noch das drohende Nichts einer Postmoderne.“

Schauen können nur Charaktere, die bei Tarr eben einen Blick haben und die als Helden gelten müssen, selbst wenn ihr Blick im wesentlichen durchs Fenster auf ein zerschundenes Dorf geht. Diesen Blick zu haben bedeutet, auch ohnmächtig dem Treiben von Begierden und Trieben zuschauen zu müssen. In Tarrs Filmen seit seinem ästhetischen Bruch mit Verdammnis (1987) gibt es daneben eine Reihe von Personen, die keinen Blick haben und ihren Trieben blind ausgesetzt sind.

Verlöschte Lampen

Hetzenauer pflichtet Rancière bei, der bei Tarr einen Versuch erkannt hat, die Möglichkeit eines „absoluten Sehens“ in seinen Filmen als Sprache zu formulieren: Als Zuschauer folgen wir deshalb auch nicht einem dramatischen Schema. Vielmehr ziehen wir für eine Zeit bei den Personen des Films ein, wir bewohnen die Filme selbst ein wenig. Und wir werden dadurch auf unser eigenes Sehen zurückgeworfen. Schon deshalb seien Tarrs Filme politisch.

Auch wenn Tarr, wie Ranciére schreibt, „immer denselben Film (macht), immer von derselben Realität (spricht); nur immer tiefer in diese (eindringt)“, also immer tiefer in die eigene Enttäuschung gerät, ist er kein Zyniker. Ob der Alte aus Satanstango, der hilflos dem Prügeln und Morden der Menge zuschaut, wehrlos in der Wanne steht und verschont wird, gleich als Verkörperung einer „zutiefst idealistische Botschaft“ funktioniert, ist zumindest fraglich. Nacktheit und Wehrlosigkeit, folgert Hetzenauer, seien die einzige Möglichkeit, „die Ordnung wieder herzustellen“. Oder die einzige Chance, verschont zu bleiben.

Wie sein Hauptwerk Satanstango (1994) ließ Béla Tarr Das Turiner Pferd mit dem existenziellen Ende des Filmemachens auslaufen. Dem Vernageln des Fensters, durch das der Erzähler auf seine Geschichte geblickt hatte, folgte hier das Verlöschen der Öllampe, obschon noch Öl in ihr war. Beide Filme münden in ein tiefes Schwarz, auf das Film nicht mehr reagieren kann. Es ist alles gesagt, der Blick ist verlöscht.

Béla Tarr. Die Zeit danach Jacques Rancière August Verlag (Kleine Edition 13), 224 S., 9.80 €

Das Innen im Außen. Béla Tarr, Jacques Lacan und der Blick Bernhard Hetzenauer Alexander Verlag, 128 S., 19,90€

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