Ingeborg Bachmann schreibt an Paul Celan: „Jeder Tag ist jetzt voll Nachhall.“ Ein paar Tage hatten die beiden gemeinsam verbracht, aber jetzt leben sie wieder an unterschiedlichen Orten. Der Satz enthält das Grundparadox des Liebesbriefs: Er spricht von einem Gemeinsamen, aber geschrieben wird er immer, oder jedenfalls fast immer, im Moment und unter dem Eindruck von dessen „Nachhall“, im Zustand des kurz- oder langfristigen, manchmal des endgültigen Getrenntseins. Die Bindung, die er zu schaffen hofft, ist selbst dann, wenn er erwidert wird, nur ein niemals ganz befriedigender Ersatz für das, was er zugleich so eindringlich bezeichnet.
Deshalb ist es auch nicht möglich, aus Liebesbriefen die Geschichte, die Textur oder auch nur die Kommunikation
munikation einer Liebe zu rekonstruieren. Auch die eindringlichsten, feinsinnigsten Briefe bekommen doch immer nur die eigene Isolation im Erinnern zu fassen. Das weiß auch Die Geträumten, ein Film von Ruth Beckermann, der in diesem Sinne gerade kein Versuch einer Rekonstruktion der Liebesbeziehung ist, die Bachmann und Celan im Jahr 1948 beginnen und die sich mit vielen, langen Unterbrechungen bis ins Jahr 1961 fortsetzt. Stattdessen geht es dem Film darum, den doppelten – und dabei gerade nicht geteilten – Nachhall dieser Beziehung auf vermittelte, vielfach gebrochene Weise in Szene zu setzen.Das „Finden einer Stimme“ beschreibt Bert Rebhandl in einem Sammelband zum Werk Beckermanns, der im Dezember im Verlag des Österreichischen Filmmuseums erscheint, als ein zentrales Anliegen vieler Filme der Regisseurin. Für Die Geträumten lässt die Regisseurin Text – Auszüge aus Briefen von Bachmann an Celan und von Celan an Bachmann – durch Stimmen und auch durch Körper hindurchlaufen. Die Musikerin Anja Plaschg liest Bachmanns, der Theaterschauspieler Laurence Rupp Celans Texte. Wichtig ist dabei nicht nur der Übergang von der Schrift zur Sprache, sondern auch die konkrete Situation der Aufzeichnung.Maximal neutrale ZettelPlaschg und Rupp selbst sind zwei elegante junge Menschen, sie trägt ein Hemd in mattem Rosé, er eines in mattem Violett. Zwischen den konzentriert im Wechsel verlesenen Texten hängen die beiden im Aufnahmestudio des ORF ab, treten kurz für eine Zigarette vor die Tür oder streifen durch andere Bereiche des Sendergebäudes, unterhalten sich dabei mal über die Briefe, mal über dies und das. Die Atmosphäre ist geprägt von der professionellen Routine staatlich subventionierter Kulturproduktion, die einen scharfen Kontrast bildet zur Intensität der verlesenen Texte und Gedanken.Der Text aus der Vergangenheit wird nicht nur mit Stimmen, sondern auch mit den medialen und modischen Sprechbedingungen der Gegenwart konfrontiert – tatsächlich verzichtet der Film bis kurz vor Schluss komplett auf alles, was im Entferntesten nach Archiv ausschaut. Nüchterne Schrifteinblendungen liefern nur das Allernotwendigste an Kontext; die Texte, die Plaschg und Rupp lesen, sind auf maximal neutralen Zetteln notiert.Die Vergangenheit, um die es in Die Geträumten natürlich trotzdem geht, wird auf diesem Weg vom Ballast des bloß Illustrativen befreit; in gewisser Weise sogar vom Ballast des bloß Faktischen: Beckermann, die sich in diesem Film deutlicher als in ihren früheren Arbeiten von einem strikt dokumentarischen Ansatz entfernt, weist in einem Interview darauf hin, dass die Korrespondenz von Celan und Bachmann eine starke fiktionale Ebene habe, dass man das Verhältnis der beiden vielleicht in erster Linie als ein literarisches begreifen solle – ein Paar waren die beiden nur ein paar Monate lang, die Briefe decken einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten ab.Was bleibt, ist ein Nachhall zweiter Ordnung. Intimität und Innerlichkeit werden in sprachförmige, literarische Fiktion übersetzt; und diese Fiktion wird dann wiederum in eine – wunderbarerweise keineswegs angestrengt, sondern spielerisch und großzügig anmutende – filmische Anordnung eingebaut. Tatsächlich ist die Sache sogar noch komplizierter. Denn was in den Briefen Bachmanns und vor allem Celans nachhallt, in ihren teils unglaublich luziden und präzisen Selbstauskünften ebenso wie in seinen deutlich ungestümer, unbehauener sich anfühlenden Einwürfen, ist nicht nur eine Zweierbeziehung, sondern auch, vielleicht vor allem, die Zeit des Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg, die Schoah.Celan kam als Kind jüdischer Eltern in Rumänien zur Welt, der Vater der gebürtigen Klagenfurterin Bachmann war bereits 1932 in die NSDAP eingetreten. Es ist natürlich müßig, darüber zu spekulieren, wie sich die aus dieser radikal unterschiedlichen Herkunft resultierenden Erfahrungen auf das reale Liebespaar Celan-Bachmann ausgewirkt haben könnten. Aber darum geht es in Beckermanns gleichermaßen klugem wie ergreifendem Film auch nicht.Er tut nicht erst so, als wären die Briefwechsel auf das „echte Leben“ der Schreibenden hin transparent. Das Drama wird ganz auf die Ebene des Literarischen verschoben. Und da wird einerseits das Bemühen erkennbar, den denkbar unterschiedlichen biografischen Voraussetzungen zum Trotz eine gemeinsame Sprache zu finden. Andererseits drückt sich die Kluft, die diese beiden Lebensläufe, diese beiden Subjektivitäten voneinander trennt, in den Briefen ebenfalls aus, fast zwangsläufig, und auch dann, wenn nicht von ihr die Rede ist.Placeholder infobox-1