Durchgefallen

Kommentar Kabinettsbruch in den Niederlanden

König Beatrix hatte dem Rechtskabinett von Premier Jan Peter Balkenende (CDA) von Anfang an zu verstehen gegeben, dass es ist nicht wohlgelitten war. Zur Amtseinführung am 22. Juli trug die Monarchin ostentativ ein Kleid in Lila - die Farbe der bis dato regierenden Mitte-Links-Koalition unter Premier Wim Kok, den sie trotz des Wahldesasters seiner sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PdA) noch im Mai als "Vater des Vaterlandes" hofiert hatte. Zweifellos eine reichlich überzogene und rührselige Hommage. Aber Koks Nachfolger, der jung, dynamisch, ehrgeizig und kalt wirkende Christdemokrat Balkenende hätte sicher gern einen Hauch dieses Charismas beansprucht. Doch davon keine Spur - nach nur drei Monaten ist die bizarre Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und der Liste Pim Fortuyn (LPF) so blamabel und gründlich durchgefallen, dass sich der Eindruck aufdrängt, möglicherweise hatte der christdemokratische Regierungschef dieses Desaster als Kalkül stets im Blick und als Option sogar im Kabinett verankert. Die LPF-Minister Heinsbroek und Bomhoff waren mit dem Wirtschafts- beziehungsweise Gesundheitsressort gezielt überfordert. Allein das Gesundheitswesen befindet sich angesichts langer Wartelisten der Hospitäler und eines durch Unterfinanzierung provozierten Personalmangels in einer beklagenswerten Lage, es ist derart reformbedürftig, dass eine Legislaturperiode dafür nicht reichen dürfte.

Darf es nun als Erfolg für die Niederlande oder deren geheiligte demokratische Kultur verbucht werden, dass die vor der Wahl im Mai so ambitioniert und demagogisch operierenden Rechtspopulisten der LPF mehr als kläglich gescheitert sind? Noch niemals seit 1945 konnte in den Niederlanden eine mit dem Sprengstoff der Xenophobie hantierende Strömung förmlich aus dem Nichts auftauchen, aufsteigen und auftrumpfen. Die LPF kam aus dem Stand auf 1,6 Millionen Stimmen, weil die Strömung einer grassierenden Stimmung eine überlaute, von den Medien zusätzlich verstärkte Stimme gab. Als Balkenende dieses Potenzial mit Regierungsverantwortung bedachte, war gar davon die Rede, "Normen und Werte" sollten nach der sozialdemokratischen Deformation das Land wieder prägen. Darin bestand das eigentliche Sakrileg. Eine auf Ausländerfeindlichkeit und Migrantenhass abonnierte Partei avancierte nicht nur zur Machtreserve der rechtskonservativen Christdemokraten, sondern zum Kronzeugen eines "Wertewandels". Das Argument, man habe die beachtliche LPF-Wählerschaft nicht blockieren dürfen, überzeugt kaum. Dann hätten die Gaullisten in Frankreich auch den Front National (FN) mit seinem 15 Prozent Stimmenanteil in die Verantwortung delegieren können. Sicher hat sich die LPF-Garde nun dank Inkompetenz und interner Querelen selbst entzaubert, aber das ist allein ihr Verdienst. Die rechtsbürgerlichen Demokraten haben dazu nicht viel mehr getan als einfach abzuwarten.

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