A–Z Das Jahr kann ziemlich voll sein mit Trends und Hypes. Anderes geht dabei unter: Wer kennt Kate Tempests Rap-Romane? Und wer hört noch auf Slavoj Žižek? Das Wochenlexikon
Akronyme Sie nerven, und nicht erst seit HoGeSa und PEGIDA. Die Idee, Kurzwörter aus den Anfangsbuchstaben oder -silben von Namen und Begriffen zu bilden, leuchtet zunächst ein. Politische Parteien machen es vor, und im Alltag ist das auch oft praktisch. Elektronische Datenverarbeitung? Klar: EDV. Auch ELSTER als Kürzel für die elektronische Steuererklärung kann man sich sehr gut merken, tritt das Finanzamt im Gefühl vieler doch als diebische Elster auf. Schon bei der Handykurzmitteilung aber zeigt sich, dass Akronyme nicht immer richtig verstanden werden: Da werden dann ganze Dienstleistungen – SMS steht ja für Short Message Service – verschickt. Und genau damit ging der ganze Akronymwahn erst richtig los. ROFL (Rolling On the Floor, Laughin
n erst richtig los. ROFL (Rolling On the Floor, Laughing), HDL (hab dich lieb) und OMFG (Oh My Fucking God) haben zu einer Inflation von Akronymen geführt, die so typisch ist für die YOLO-Generation (You Only Live Once). Tobias PrüwerBBücher Schaue ich auf das Bücherregal in meinem Büro, muss ich folgende Negativbilanz für 2014 ziehen: In die Kategorie „Fantastisches Buch, gelesen, aber aus irgendeinem Grund nicht im „Freitag“ besprochen“ fallen Claude Lévi-Strauss’ „Wir sind alle Kannibalen“ und Willi Winklers „Deutschland, eine Winterreise“ (obwohl mir der Autor eine schöne Karte beigelegt hat). In die Kategorie „Gelesen, gutes Buch und zu Unrecht nicht besprochen“: 1964. Das Jahr, mit dem ‚68‘ begann (obwohl mir Franz Walter mit seinem Institut imponiert). Kategorie „Nicht gelesen, vermutlich zu Unrecht nicht besprochen“: Steven Uhlys Königreich der Dämmerung, die Philosophiereihe bei Diaphanes, George Plimptons Truman Capotes turbulentes Leben, Christine Blättlers/Falko Schmieders In Gegenwart des Fetischs sowieWolfgang Benz’ Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit. Und schließlich die Kategorie „Nicht gelesen und wohl zu Recht nicht besprochen“: Joschka Fischers Scheitert Europa? Michael AngeleFFastfood Die USA verbinden wir in unserer kulinarischen Wahrnehmung mit McDonald’s wie Italien mit der Pizza. Jahrelang war der Fastfoodriese Marktführer und stand auch an der Spitze der internationalen Aktienmärkte. Schleichend hat sich nun aber ein Wandel vollzogen, der Laden verzeichnet Einbußen, zugunsten neuer, qualitativ hochwertigerer Konkurrenten. Der Burrito scheint, jedenfalls in den USA, der neue Burger zu sein. Den größten Zuwachs verzeichnet Chipotle, ein auf mexikanische Spezialitäten spezialisiertes Schnellrestaurant. Man bemüht sich dort, möglichst natürlich produziertes Fleisch zu verarbeiten.Auf diesen Imagezug – gesündere Kost – ist auch McDonald’s schon aufgesprungen, doch scheint die Strategie bei der Konkurrenz einfach stärker zu wirken. Der wahre Grund liegt indes woanders: Der Anteil der Bevölkerung mit lateinamerikanischen Wurzeln steigt in den Vereinigten Staaten kontinuierlich, McDonald’s muss sich also auch in Zukunft ranhalten. Sophia HoffmannHHeavy-Metal-Tote Im Dezember vor zehn Jahren starb Dimebag Darrell – und sein Tod war ein Schock für die Heavy-Metal-Szene. Denn der Gitarrist der Trash-Metal-Band Pantera wurde bei einem Konzert von einem Amokläufer erschossen. Darrells Tod läutete, jedenfalls gefühlt, das große Sterben von Schwermetallstars ein. 2014 starben zwei Szeneveteranen: Dave Brockie, der Sänger von Gwar, jener in Stachelrüstungen auftretenden Schockrocker, kam mit 50 Jahren durch eine Überdosis Heroin ums Leben. Und Wayne Static wachte drei Tage vor seinem 49. Geburtstag nicht mehr auf. Auch der Gitarrist und Sänger der Industrial-Metal-Kombo Static-X sei einer Überdosis erlegen, lauten unbestätigte Gerüchte. Mit dem Tod von Jeff Hanneman musste die Szene den musikalisch schwerwiegendsten Verlust schon 2013 hinnehmen. Den Gitarrist der legendären Band Slayer raffte eine alkoholbedingte Leberzirrhose dahin. Der Autor von Melodiebrettern wie Raining Blood wurde 49 Jahre alt. Tobias PrüwerMModegetränk Bubble Tea ist Schnee von gestern. Schon 2013 löste die Berliner Fassbrause den albernen Blasentee als Modegetränk ab. Unter den Alkoholika feierte der Tocco Rosso in diesem Jahr seinen Siegeszug und deplatzierte den zuvor allseits beliebten Hugo. Zwar besteht der Tocco auch aus nichts anderem als Prosecco mit Holunderblütensirup und Minzeblättern, aber ein Schuss Campari färbt ihn rötlich und schafft damit den Distinktionsgewinn. Und darum geht es schließlich! Wem hat denn jemals ein Erdbeerdaiquiri wirklich gemundet? Für Liebhaber des guten Geschmacks immerhin ist es eine erfreuliche Nachricht, dass der gute alte Gin Tonic nun wieder in ist.Als liquider Überflieger erweist sich das Craft Beer, „handwerklich“ produziertes Bier, das von unabhängigen Brauereien hergestellt wird. Es hat die traditionelle Braukunst zum heißen Scheiß hochgehopft. Auch eine Szene von Heimbrauern hat sich etabliert. Während das Industriebier möglichst viele Geschmäcker bedienen soll, werden hier höchst individuelle Bierspezialitäten kreiert. Bekannt ist etwa das Indian Pale Ale, auch IPA, das mit besonderer Fruchtigkeit besticht. Das Nischendasein verliert sich allmählich. Bierconnaisseure reden mit an Weinen geschultem Dadasprech das Craft Beer kaputt, und Köstritzer stellt nun ein eigenes IPA her. Tobias PrüwerPPiratenpartei Als Christopher Lauer als Berliner Landesvorsitzender der Piraten die Partei verließ, war das Medienecho groß. Als dann Anke Domscheit-Berg wenig später ebenfalls resigniert ihren Hut nahm, steigerte es sich noch einmal.Was in der ausführlichen Berichterstattung über die Parteiaustritte von zweien der bekanntesten Mitglieder unterging, war, dass sich die Piraten über die Zeit heimlich, still und von den Medien weitestgehend unkommentiert auch von ihren politischen Versprechen verabschiedet haben. Mit durchaus großen Zielen waren sie in den 2000er Jahren angetreten, erfrischend anders startete die junge, bunte Partei in die Politik. Eine Alternative zu den großen bürgerlichen Parteien wollten die Piraten sein, direkter, demokratischer. Als politische Vertreter der digitalen Revolution wolten sie vor allem die Netzpolitik vorantreiben. All diese Versprechen gingen am Ende aber gänzlich in internen Querelen unter. Und wurden auch in der Berichterstattung kaum noch thematisiert.Dabei fragte Anke Domscheit-Berg in einem Blogbeitrag, in dem sie ihren Rücktritt erklärte: „Wo ist das Visionäre, Progressive, Mutige, das Neue und das Andere geblieben?“ Benjamin KnödlerRRap Wer 2014 nichts von Everybody Down gehört hat, hat 2014 nicht richtig mitbekommen. In England wird das Album von Kate Tempest seit seinem Erscheinen im Mai als das Ereignis gefeiert, das es ist. Trotzdem flog es lange unter dem Radar der hiesigen Popkritik hindurch. Wer sich auf die Musik konzentriert, hört Roots Manuva oder die frühen The Streets heraus. Wer auf die heiseren Worte achtet, hört ergreifende Kurzgeschichten, die sich zu einem Gesellschaftsroman verdichten. Beides zusammen ergibt ein Kunstwerk von erschütternder Wucht. Tempest, 27, wuchs als Tochter einer kinderreichen Familie in einer üblen Gegend von London auf und gilt in ihrer Heimat als hoffnungsvolle Dichterin und Dramaturgin der Gegenwart. Auch Everybody Down darf weniger als klassischer Rap und mehr als sprachrhythmische Lesung einer abenteuerlichen Geschichte gehört werden, die sich nur nebenbei der Mittel des Hiphops bedient. Das ist nie gefällig. Es ist atemberaubend. Arno FrankRechtschreibfehler Sie rutschen leicht mal durch und sind meist schnell wieder vergessen. Nachdem bei den Tätowierungen der Trend zu Texten eingezogen ist, können Rechtschreibfehler aber zur Scham fürs Leben werden. Kommafehler fallen dabei vermutlich noch am wenigsten auf. Ein Beispiel aus dem echten Leben: „Ehre wem, Ehre gebührt.“ Weiß man, dass man bei Satzzeichen nicht so sattelfest ist lässt man sie sicherheitshalber besser ganz weg: „Zu Hause ist da wo man sich vermisst.“ Tückisch sind Fremdsprachen: „Shine like Star’s“, „Fuck the Systsem“ oder „Be strong have dream“. Da kann aus dem Böhse-Onkelz-Album Vaya con Tioz schon mal „Vaya con Dioz“ werden. Herzerweichend ist das hier: „Der Hund ist das einzigste Wesen auf der Erde, dass dich mehr liebt, wie sich selbst.“ Tobias PrüwerTTV Donnerstagnacht läuft die beste Unterhaltungsshow, die es im deutschen Fernsehen gerade gibt. Zumindest sagen das Menschen wie ich, die sonst nur US-Shows auf Youtube schauen. „Der Freitag“ erscheint bekanntlich donnerstags, deshalb wurde das Neo Magazin mit Jan Böhmermann in unserem Medientagebuch kein einziges Mal erwähnt Noch nicht einmal DJ Böhmis ISIS-Rap, der durchweg saukomisch ist, besonders aber Strophe drei: „Ist dir das Berghain zu lame/ sehnst du dich nach fame/ dann kämm dir deinen Bart und auf ins Kalifat zu/ ISIS/ ISIS“ Und Strophe sechs: „Halt blöd wenn du explodierst/ und erst dann kapierst/ dass selbst der tollste Dschihad im Kern leider relativ/ fies ist/ fies ist.“ Ab Februar rückt Böhmermann mit seiner Show ins ZDF-Hauptprogramm und auf Freitagabend vor. Wir kommen der Sache also näher. Christine KäppelerVV-Mann Auch bei staatlich angeordneten Sicherheitsprüfungen rutscht so manches durch. Etwa der Berliner V-Mann Thomas S., der seit 2000 gleichzeitig auch Kontaktmann des NSU war. Er heuerte 2008 bei einem Dresdner Hightechunternehmen an, von wo aus er Zugriff auf Verschlusssachen des Bundes hatte. Bevor der V-Mann dort eingestellt worden war, hatte das Bundeswirtschaftsministerium beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Sicherheitsprüfung angefordert. Das BfV überprüfte den Mann – und erklärte, es könne kein Sicherheitsrisiko feststellen. Nachdem die Rolle von Thomas S. 2012 bekannt wurde, zog man dann doch Konsequenzen. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, es habe veranlasst, den V-Mann fortan von allen sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten auszuschließen. Für den Verfassungsschutz bedeutete dieser Fauxpas auch nicht gerade Imagepolitur. Benjamin KnödlerŽŽižeks neueste Show Für ein Schmunzeln ist er immer noch gut, das muss man ihm lassen. Bezeichnenderweise bewegt sich Slavoj Žižek inzwischen auf der gleichen Diskurshöhe wie der hiesige Bundespräsident: „Was ist Freiheit heute?“ heißt sein jüngster Videobeitrag beim Guardian. Da sitzt der Philosoph und Kulturkritiker also gestikulierend in seinem „I would prefer not to“-T-Shirt – und das Erschütterndste ist, dass ich so ein T-Shirt noch vor fünf Jahren gern selbst getragen hätte. (Wer könnte auch etwas gegen Herman Melvilles Romanfigur Bartleby haben?).Žižek dabei zuzuschauen, wie er die immergleichen Erkenntnisse und Anekdoten in verschiedenen Kombinationen unermüdlich wiederkäut und dabei längst wie eine Parodie auf sich selbst wirkt, birgt einen exponentiell wachsenden Fremdschämfaktor. Sebastian Dörfler
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