Durchrastern, durchleuchten, durchsichern

Steter Tropfen höhlt den Stein Schily, Zypries und die Datenspeicherung auf Vorrat

In den USA werden seit dem 5.März von jedem Fluggast 34 (vierunddreißig) Daten verlangt, über deren Speicherung und Weitergabe niemand etwas Präzises weiß. Die Liste reicht vom Abflugdatum über die Flugscheinnummer, den gesamten Reiseverlauf und die Passnummer bis zur Zahlungsart. Beim voll durchleuchteten Fluggast ist deutsche Sicherheitspolitik noch nicht angelangt. Aber auf dem Weg dahin ist sie allemal.

In der Bundesrepublik werden jährlich etwa 25 Millionen Telefongespräche mit dem Ziel abgehört, eine Straftat aufzuklären. Ein Richter aus Oldenburg hat vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das neue niedersächsische Polizeigesetz geklagt, weil dessen Paragrafen zulassen, dass Gespräche von Personen überwacht werden, "bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen." Hier geht es also nicht mehr um die Aufklärung von Straftaten, sondern die Erfassung potentieller Täter. Der Richter klagte, weil er befürchtet, abgehört zu werden. Er hatte gelegentlich ein Lokal besucht, das auch von Gästen frequentiert wurde, die sich selbst gern als "linksradikal" bezeichneten. Bei der mündlichen Verhandlung gaben die Karlsruher Richter zu verstehen, dass sie sich vom Köder "innere Sicherheit" nicht verlocken lassen und die gesetzesförmige Demontage von Grundrechten stoppen werden.

Nun wollen Innenminister Otto Schily (SPD) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) nicht nur die Anwendung des genetischen Fingerabdrucks erleichtern, sondern die Speicherung von Verbindungsdaten bei der Telekommunikation bis zu einem Jahr zulassen. Momentan speichert die Telekom die Daten für 90 Tage, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, notfalls die Telefonrechnung überprüfen zu lassen. Schily und Zypries dagegen wollen die Daten ein Jahr lang aufbewahren, um sie nach Belieben mit polizeilich festgelegten Kriterien flächendeckend durchrastern zu können. Abgesehen von der Rechtmäßigkeit stellt sich nicht zuletzt die Frage der Kosten. Der Telekom-Branchenverband Bitkom rechnet mit etwa 150 Millionen Euro Investitionskosten und rund 50 Millionen jährlichen Betriebskosten.

Das Vorhaben von Schily und Zypries ist zunächst einmal klar verfassungswidrig, denn das Bundesverfassungsgericht hat 1984 im Volkszählungsurteil und in den Jahren 1999-2001 noch dreimal entschieden, dass ein Datensammeln auf Vorrat und unterschiedslos gegen alle Bürger ohne hinreichend begründeten Verdacht mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Außerdem geht es im Überwachungsprojekt der beiden Sicherheitsminister nicht um irgend eine Bagatelle, sondern um einen Angriff auf zwei Grundrechte: den Respekt der Menschenwürde (GG Art. 1) und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (GG Art. 2). Aus diesen beiden Grundrechten leitet sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung her, wie es das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat. Es ist schon beachtlich, dass sich zwei Bundesminister aus der SPD mit windigen Vorlagen profilieren, mit denen die oberste Rechtsprechung schlicht verhöhnt wird.

Schily und Zypries desavouieren mit ihrem Vorhaben nicht zuletzt den Willen des Parlaments, das am 17.Februar 2005 bei der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes einstimmig beschlossen hat, Datenspeicherung auf Vorrat nicht zuzulassen. Dieter Wiefelspütz, Innenexperte der SPD-Fraktion, kommentierte den arroganten Affront Schilys lammfromm mit dem Satz : "Offenbar werden im Innenministerium parlamentarische Debatten gar nicht zur Kenntnis genommen."

Die beiden Minister handeln nach der Devise "steter Tropfen höhlt den Stein." Passiert irgendwo im Land ein Sexualdelikt, blasen die Schilys und Becksteins regelmäßig und mit dem Rückenwind von Boulevardpresse, gesundem Volksempfinden und Talk Show-Experten zu Gesetzesverschärfungen. Kaum war das Vorhaben gescheitert, die Kompetenzen des Bundeskriminalamts (BKA) auszudehnen, brachte ausgerechnet der Abgeordnete Wiefelspütz, der die Regierung kontrollieren sollte, den Vorschlag, Schilys BKA aufzurüsten, wieder ins Gespräch. Sobald es um die "innere Sicherheit" geht, verlieren die Hüter des Rechtsstaats auffallend schnell den Verstand und werden rabiat.


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