S-Bahn-Mord In der Debatte nach dem Gewaltverbrechen von Solln geht es auch um die Frage, ob man eingreifen soll oder eher nicht. Einige Zeitungen geben Ratschläge. Eine Medienlese
Der Mord an einem 50-jährigen Unternehmer auf dem S-Bahnhof von Solln, einem Münchner Vorort, hat eine bemerkenswerte Debatte ausgelöst. Darin geht es vor allem um politische Maßnahmen zur Prävention und um die Frage, ob eine Verschärfung des Strafrechts sinnvoll ist. Kaum jemand erwartet, dass sich derartige Vorfälle durch politische Maßnahmen verhindern lassen. Daher beschäftigt sich ein Teil der Kommentatoren mit der Frage, wie sich der Einzelne in Gewaltsituationen verhalten sollte. Soll man eingreifen oder lieber nicht?
Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung ist gegen eine Verschärfung des Strafrechts: "Das Strafrecht verfügt über alle notwendigen Sanktionen. Wenn also nach einer Tat wie der in Solln Politiker nich
endigen Sanktionen. Wenn also nach einer Tat wie der in Solln Politiker nichts anderes zu sagen hätten als "mehr Strafe", dann wäre das recht armselig. Es muss darum gehen, Zivilcourage zu schützen und zu stärken, ihr einen Halt zu geben - auch durch mehr Polizeipräsenz in den S-Bahnen. Das kostet, sicher. Aber Zivilcourage ist systemrelevant." Prantl fordert mehr Polizisten: "Ein starker Staat ist einer, der seine Bürger stark macht. Die Bürger fühlen sich nicht dann sicher, wenn der Staat Wanzen verschickt, sondern wenn er Beamte auf die Straßen schickt und in die S-Bahnen."In der Frankfurter Allgemeinen kommentiert Reinhard Müller den Vorfall. Auch Müller glaubt nicht, dass man dem Problem beikommt, wenn man das Strafrecht verschärfen würde: "Zweifellos soll das Strafrecht auch abschrecken; und zweifellos gibt es eine Tendenz der Gerichte, junge Erwachsene, die Auto fahren, wählen und Kriegsdienst leisten dürfen, als unreif anzusehen, um das Jugendstrafrecht anwenden zu können. Doch das Strafrecht reagiert vor allem. Die Opfer haben von einer härteren Strafe nicht allzu viel." Seine Antwort zu derartigen Vorfällen: "Was wird aus dem Staat, aus der "öffentlichen Sache", wenn man sich im öffentlichen Raum nicht mehr sicher fühlen kann? Hier ist jeder Einzelne gefragt."Auch Christian Pfeiffer darf bei so einer Debatte nicht fehlen. Gegenüber dem Hamburger Abendblatt nennt er "drei Risikofaktoren", die Gefahren heraufbeschwören: "Der deutlich gestiegene Alkoholkonsum Jugendlicher, die Abstumpfung durch brutale Computerspiele und die Zusammenballung belasteter Jugendlicher aus Randgruppen in Hauptschulen oder in großstädtischen Jugendzentren."Raimund Neuss von der Kölnischen Rundschau sieht die Verantwortung vor allem bei der Politik: "Vielmehr muss sich die Justizministerin fragen lassen, was denn im Vorfeld dieser Tat mit den beiden jungen Leuten passiert ist, von denen einer ja als Mehrfachtäter bekannt war. Sind die gesetzlich möglichen Straf- und Erziehungsmaßnahmen, einschließlich Heimunterbringung, angewandt worden? Wenn ja, reichen diese Möglichkeiten vielleicht nicht aus, und was wäre zusätzlich sinnvoll? Das kann man erst beurteilen, wenn mehr über die Biographie der Täter bekannt ist."In der Junge Welt schreibt Ulla Jelpke von der Linkspartei, was ihre Fraktion von der Videoüberwachung hält: "eine lückenlose Videoüberwachung diesen Mord nur hätte dokumentieren, aber nicht verhindern können. Um die Sicherheit der Fahrgäste in S- und U-Bahnen wiederherzustellen, ist eine wesentlich stärkere Personalpräsenz in den Zügen und Bahnstationen notwendig", so die Linkspartei. "Dagegen gefährden Personalkürzungen als Folge von Privatisierung, Profitorientierung und Bahn-Börsengang Gesundheit und Leben der Fahrgäste – durch technische Mängel wie bei der S-Bahn in Berlin, aber eben auch durch häufig menschenleere Bahnsteige wie in München-Solln."Jost Müller-Neuhoff von der Zeit ist unentschieden, wie man sich verhalten solle: "Wer mit solchen Leuten eine Konfrontation eingeht, gefährdet sich immer auch selbst. Dies soll, um Gottes willen, kein Appell zum Wegsehen sein. Aber wenn die Hinseh-Appelle beginnen, Angstreflexe zu betäuben, kann das auch nicht im Sinne ihrer Erfinder sein. Es ist richtig, den jetzt Getöteten als einen Helden zu ehren; doch muss jemand, der einem solchen Konflikt aus dem Wege geht, deshalb noch kein Feigling sein." Zum Begriff der Sühne, denn Bayerns Justizministerin Beate Merk ins Gespräch gebracht hat, schreibt er : "Dann sühnt mal schön, würde man den beiden Schlägern zurufen, wenn sie dann lebenslang oder eben für 15 Jahre hinter Gitter müssten und man sie und ihre derangierte Persönlichkeit dort sich selbst überließe. Das Urteil wäre eine kurze satisfaktionsfähige Botschaft für die empörten Bürger, eine Schlagzeile, mehr nicht. Kein Wort über die Folgekosten, wenn die Gesellschaft ein Leben aufgibt, wenn die Kandidaten den Knast später noch kaputter verlassen, als sie hineingekommen sind. Die Sühne, die Frau Merk da fordert, entspricht einer menschlichen Regung – nur können wir sie uns schlicht nicht leisten."Die Bild-Zeitung empfiehlt folgendes Verhalten im Konfliktfall: "Die Wichtigste: Helfen Sie, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben. Sind die Täter offensichtlich stärker und zu jeder Art von Gewalt bereit, suchen Sie sich Mitstreiter und rufen Sie umgehend die 110 an. Warten Sie nicht, dass schon jemand etwas unternehmen wird. Reagieren Sie als Erste(r), indem Sie andere gezielt auf das Verbrechen aufmerksam machen ("Sie, der Herr im blauen Polo-Hemd, helfen Sie mir".) Appellieren Sie laut und deutlich an die umstehenden Personen ("Sie, die Dame mit dem Hut: Rufen Sie 110 und holen Sie die Polizei".) Wichtig: Duzen Sie den Täter nicht, sonst könnte man denken, dass es sich um einen rein persönlichen Konflikt handelt. Vermeiden Sie es auch, den Täter zu provozieren oder sich provozieren zu lassen!"
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