Echt Wurscht ist das

Sportplatz Wenn mich jemand fragt, was ich vom neuesten und, so steht es allenthalben geschrieben, mutmaßlich größten Dopingskandal der Sportgeschichte halte, ...

Wenn mich jemand fragt, was ich vom neuesten und, so steht es allenthalben geschrieben, mutmaßlich größten Dopingskandal der Sportgeschichte halte, antworte ich gerne. Ist mir egal, antworte ich. Wurscht. Vollkommen. Ist mir komplett Schnuppe und geht mir sonstwo vorbei. Ja mei, ist halt so. Ist halt so, dass die Welt des Wettkampfes, des realen und des auch symbolischen Kapitalismus, des Sportes, in bestimmten Zyklen mit dem Allbekannten aufwartet: mit dem Schwindel, der Lüge, dem Betrug, der dem Kapitalismus inhärent ist, und mit der Heuchelei, dem bigotten Entrüstungszinnober, der "Moral", die die Geschichte, die der Kapitalismus vorantreibt, nicht kennt.

Hinterhalt, Tücke oder Gemeinheit ist die Conditio sine qua non des Kapitalisystems. So wenig, wie es eine gerechte Marktwirtschaft gibt, so wenig kann es Chancengleichheit geben im Leistungs- oder Spitzensport. Geradezu lächerlich, das zu betonen, in gewisser Weise, ist aber so.

Dass die USA, wie die Deutschen und andere Narrenversammlungen, seit eh und je - und auch, seit der große Antipode im Osten seinen Bankrott erklärte - den Sport als Ausweis der Stärke, der Potenz, der Macht verstehen, versteht sich desgleichen von selbst. Mit Dopingkontrollen hat man es daher zumal im US-amerikanischen Leichtathletikverband USATF nie allzu ernst genommen. Als nun jedoch kürzlich durch den Tipp eines anonym gebliebenen Leichtathletikcoaches an die Öffentlichkeit kam, dass ein im kalifornischen Unternehmen Bay Area Laboratory Co-Operative (Balco) entwickeltes "Designer-Steroid" (Spiegel) namens Tetrahydrogestrinone (THG) unter US- und anderen Topsportlern äußerst beliebt war (und ist), schien das die Welt auf den Kopf zu stellen - oder sie wenigstens vor denselben zu stoßen.

"Erschüttert" sei man, war von drüben zu hören, und jetzt hagele es "drakonische" Maßnahmen, von der 100.000-Dolar-Strafe bis zur lebenslangen Sperre der allzu zu gewieften Dopingsünder, von denen bis dato sieben namhaft gemacht wurden, darunter die Läuferin Regina Jacobs, der Sprinter Calvin Harrison, der Kugelstoßer Kevin Toth und der Hammerwerfer John McEwen. Privatdetektive will man einsetzen, und die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA verspricht eine "internationale Großfahndung" sowie eine "beispiellose Tiefenprüfung", was immer das sein mag.

Niemand soll davonkommen, "null Toleranz" sei angesagt. Es handele sich, stöhnte der Spiegel, Terry Madden, den Boss der US-Anti-Doping-Agentur, zitierend, bei der THG-Sache um ein "Komplott unter Chemikern, Trainern und Sportlern", und der deutsche IOC-Vizepräsident Thomas Bach schwafelte was von "Verschwörung" ins Fernsehen, als ob es im Profisport jemals mit den berühmten "echten Dingen" zugegangen sei, zumindest in der Leichtathletik, im Kraftsport und im Schwimmen.

"Eine neue Dimension des Dopings mit Steroiden" erspähte der Kölner Fach- und Saubermann Prof. Wilhelm Schänzer, andere wiederum hoffen nun oder setzen jetzt auf die gleichermaßen abgedroschene wie unwahrscheinliche "Selbstreinigung" des Geschäftes, das reines Geschäft bleibt und sich daher niemals zu einer halbwegs würdevollen Veranstaltung zu wandeln vermag.

Die Sünder hätten die Zeiträume, in denen die Wundersubstanz THG nachweisbar ist, gravierend unterschätzt, ließen Dopingfahnder verlauten. Das deutet auf eine sozialtypologische Dummheit oder auf eine laxe Berufsauffassung hin, denn wer Spitzensport betreibt, muss schon richtig bescheißen. Nicht betroffene Kollegen der Ertappten werden entweder klüger gewesen sein oder sich in Zukunft an cleverere Mittelzufuhrverfahren halten. Die USA indes stehen vor dem Ende ihrer Weltherrschaft. "USA befürchten weniger Medaillen in Athen", blickte der Spiegel auf die nächstjährige Olympiade voraus und umriss die entscheidenden, die politischen Zusammenhänge des mundialen Spektakels: "Neben der Dopingproblematik lässt vor allem die zunehmende Stärke des chinesischen Sports die Experten fürchten, die Zahl von 100 Medaillen nicht erreichen zu können."

Mir ist das und das THG-Brimborium egal, so egal, dass ich mich neulich sogar anlässlich eines Rundfunkgesprächs über Sport und Literatur neben Dieter Baumann gesetzt habe, den schwäbischen Musterknaben, Nandrolon-Raucher und Zahnpastaschwadroneur. Wenn er nicht läuft, ist Baumann nämlich ein erträglicher, höflicher Mitmensch. Was er allerdings mit Literatur am Schuh haben soll, bleibt mir bis heute vatikanverliesartig verschlossen.


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