Echte Frauen nicht gewünscht

Fernsehen Kommissarinnen sind im „Tatort“ so unauthentisch wie die meisten Fälle
Ausgabe 33/2019
Hände hoch, dies das – beim „Tatort“ ändert sich wenig
Hände hoch, dies das – beim „Tatort“ ändert sich wenig

Foto: Imago Images/Photocase

Von wegen Lena Odenthal: In der gehobenen Polizeilaufbahn stagniert der Frauenanteil bei mageren zehn Prozent, Kriminalhauptkommissarinnen sind ein rares Gut. In der Fernsehfiktion sieht es anders aus, da ist zumindest die Quote Vorbild: Fast 50 Prozent der Tatortermittler*innen sind weiblich. Außerdem sind sie oft jünger als 40; wiegen (geschätzt) unter 60 Kilo; bis auf eine Ausnahme (Florence Kasumba als Anaïs Schmitz) tragen sie die Haare (mittel)lang und frisch geföhnt; und im Gegensatz zu der wirklichen Welt, in der circa 63 Prozent der Erwachsenen mit Fehlsichtigkeit geschlagen sind, brauchen sie keine Brille (vielleicht benutzen sie heimlich Kontaktlinsen). Diesen Sonntag, am 18. August, endet einmal mehr die Sommerpause des Tatort, und in Bezug auf Frauen bleibt vieles wie gehabt.

Dass die Diversität der Tatorte zu wünschen übrig lässt, liegt, zumindest zum Teil, an mangelnder Gleichstellung der Geschlechter. Schauspielerinnen müssen sich stärker den normativen Schönheitsmerkmalen unterwerfen, haben einen wohlproportionierten Körper und ein ebenmäßiges Gesicht vorzuweisen. Dies zeigt nicht nur der direkte Vergleich der ARD-, ORF- und SF-Ermittlerteams – zu Charaktergesichtern auf gemütlichen BMIs wie bei Axel Prahl (Münster) und Dietmar Bär (Köln) gibt es keine weiblichen Pendants. Irgendwie „tough“ sind sie dagegen alle, und den Ermittlerinnen werden genauso gern Schwächen mitgegeben wie den Männern. Denn wer keine Probleme mit dem Alleinerziehen, dem Suff, der Liebe oder den Eltern hat, der (oder die) ist, zumindest in der Dichtung, kein ambivalenter und damit erzählenswerter Charakter.

Die Ungleichheit wiegt hinter der Kamera traditionell stärker: Nur 35 von 322 Regisseur*innen (bei 1096 Filmen) waren bislang weiblich – der gesellschaftlichen Entwicklung folgend, steigt der Prozentsatz. Viele Regisseurinnen haben allerdings nur einen Film aus der Reihe inszeniert, während Kollegen wie Hajo Gies oder Hartmut Griesmayr an über 20 Sonntagabenden Täter*innen suchen ließen.

Regisseurinnen haben natürlich nicht die Hoheit über weibliche Figuren – vielschichtige, handlungsrelevante, üblicherweise als „stark“ bezeichnete Frauenrollen können auch Männerschreiben und inszenieren. Dass es jedoch wichtig ist, ob Filme von Männern, Frauen oder sich irgendwo dazwischen ansiedelnden Personen stammen, steht fest: Wer die Geschichten erzählt, egal ob wahr oder Fiktion, der gestaltet die Welt mit. Wer sie ausschließlich konsumiert, bleibt in dieser Hinsicht passiv.

Dennoch könnte es neben den in der Branche schon lange beklagten, gewohnt misogynen Zuständen weitere Gründe für die relative Tatort-Homogenität geben: Der seit 1970 ausgestrahlte Städte- (oder Regions-)krimi ist ein hochformatiertes Produkt. Selten (aber mit viel Erfolg) brechen Folgen aus der Standarddramaturgie aus, normalerweise laufen die unrealistisch vielen und unrealistisch außergewöhnlichen Mordfälle nach dem gleichen Erzählschema ab: Tat, Opferfund, Ermittlung, Lösung. Tatorte sind „plot driven“, nicht „character driven“ – bei den vielen unterschiedlichen Autor*innen und Regisseur*innen wäre Letzteres gar nicht möglich. Und je nach ausführendem Sender können sich Gewerke wie Musik, Kamera, Schnitt ebenfalls unterschiedlich frei kreativ ausleben – meist gelten strenge Regeln. Dazu kommen, wie bei allen Fernsehfilmen und – finanziell bedingt – zunehmend im Kino, redaktionelle Mitsprachen und große Konkurrenz. Wer sich das freiwillig antut, der braucht neben der Lust auf ein Kapitalverbrechen anscheinend auch Lust auf Stress. Vielleicht sind Frauen ja einfach weniger masochistisch.

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