EEG, nicht Herzecho deutscher Öffentlichkeit

20 Jahre Freitag Zum 20. Geburtstag: Der konsequente Verzicht auf die fast rückmeldungsfreie Zeitung, ist eine nicht mehr ganz ferne Utopie, findet Blogger Columbus

Der Freitag, war das nicht diese Zeitung ohne breite Fotostrecke, mit sperrigen Texten, geschrieben für ein vorwiegend linkes und gebildetes Publikum, der eine fast urtümliche Schwere anhaftete? Genau dieses bleierne Vorurteil brachte mich zur „Ost-West-Wochenzeitung“. Freitag lesen hieß, wenigstens eine durchdachte Gegenmeinung zu den meinungsmachenden und kampagnenfähigen Großblättern der Republik zu kennen. Darum las ich die Zeitung, ohne den bestimmten Artikel im Namen. Sonst, ganz ehrlich, hätte ich als „Wessi“ wohl kaum einen längeren Blick auf dieses Blümlein am Wegesrand der deutschen Publizistik geworfen.

Im Freitag vermisse ich, rückblickend, vergangene Stimmen, an die ich mich gewöhnt hatte. Mir fehlt Gaus´ Präzision und Weitblick. Er wusste, wie schnell die aus der zweiten Reihe agierenden Entscheider aus der Wirtschaft und der Finanzwelt die Berufspolitik zur besseren Sales- and Promotion-Abteilung ihrer Interessen umfunktionierten. Die Rangfolge im Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik ist gestört. Mir fehlt Wolfgang Ullmann, dessen Ruf nach direkter Demokratie heute mehrheitsfähig wäre. Herausgebernamen stehen stellvertretend für die Haltung der Freitag-Redakteure und Autoren. Drei Frauen, für mich vorbildlich und heute noch im Blatt schreibend, Sabine Kebir, Daniela Dahn und UIlrike Baureithel, mag ich noch nennen. Damit genug der Geburtstagsnamen, die hier ohnehin nicht wertend, sondern stellvertretend stehen. Die heute Schreibenden und redaktionell Verantwortlichen wirken an einem anderen Blatt, passend zu einer anderen Zeit.

Der Freitag ist, mit den Worten Jakob Augsteins, eine „irgendwie linke“ Zeitung. Einerseits gefällt mir das gut, weil allzu lange Linke starr überzeugt wussten was eine Linke ist. Befreiender Zweifel und ein Quantum Selbstironie tun sehr gut. Andererseits signalisiert „irgendwie“ eine Gefahr, sich in allerlei Unschärfen zu verlieren. Ein Meinungsmedium braucht Haltungen und Grundsätze, denn Beliebigkeit ist eine verbreitete Massenwährung.

Aufatmen, denn der Freitag hat klare Positionen, z.B. gegen den Krieg als Fortsetzung der Politik, gegen das Nachlassen bei gesellschaftlichen Emanzipationsanstrengungen, gegen leichtfertige Wissenschaftsgläubigkeit, gegen den Primat der Ökonomie über das Politische, für soziale Gerechtigkeit und für einen toleranten Alltag, auch am Herd und im Garten. Er steht für eine, in Deutschland einzigartige, Beteiligung des schon lange mündigen Lesers, der nun ein Mitschreibender wurde. Das fasziniert mich!

Artikel werden nicht mehr „einfach über die Mauern der Redaktion“ geworfen (Alan Rusbridger, Guardian), sondern die Antworten folgen auf dem Fuß. Sie sind umfangreich und weder von Zeitvorgaben, noch ganz engen Zeichenbeschränkungen gehemmt. Das ist anstrengend für alle Beteiligten, selbst wenn es inhaltlich anregt und Spaß macht. Verständigungsprobleme über die Art und Form des Diskurses müssen sein, denn keine Seite hat schon ausreichend Übung. Der konsequente Verzicht auf die fast rückmeldungsfreie Zeitung, ist eine nicht mehr ganz ferne Utopie, weil der Freitag ihr beträchtlich nahe kommt. Herzliche Glückwünsche und dawei, dawei.

Columbusbloggt seit über einem Jahr in der Freitag-Community und ist hauptberuflich Arzt

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