Sieger machen Beute. Sieger bringen Trophäen mit nach Hause. Sieger würden sich nie als Räuber bezeichnen. Die Logik von Kriegen ist nicht schwer zu verstehen. Die Logik, die die siegreichen Franzosen um 1800 entwickelten, um ihren europäischen Kunstraubzug zu rechtfertigen, auch nicht. Sie erklärten: Die legitime Heimat von Kunstwerken sei das Land der Freiheit – denn Kunst stelle wesensmäßig eine Schöpfung der Freiheit dar und könne sich daher auch nur an freie Menschen richten. Wer so argumentiert, ist sich sicher, zu den freien Menschen zu gehören. Nun kann man durchaus bezweifeln, ob Kunst immer eine Schöpfung der Freiheit ist, aber Spitzfindigkeiten dieser Art interessieren Sieger nicht. Sie wollen besitzen. Und zwar schnel
nell.Köln fiel am 6. Oktober 1794. Drei Tage später wurde das erste Kunstwerk – die Kreuzigung Petri von Peter Paul Rubens – abgehängt. Es folgte ein Raubzug durchs Rheinland, der sich vor allem auf Kirchen und Schlösser konzentrierte, in denen seit Jahrhunderten Bücher und Manuskripte gesammelt wurden. In den nächsten fast 20 Jahren folgten Italien, Österreich, Spanien und Preußen.Minutiös dröselt Bénédicte Savoy diese folgenreichen Plünderungen in ihrem Buch Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen auf, das vor zehn Jahren auf französisch und jetzt endlich auf deutsch erschienen ist. Detailliert verfolgt sie die zeitgenössischen Diskussionen über den Raub und stellt erstaunt fest: „Niemand kommentierte öffentlich die unerhörte Verschleppung der Rubensgemälde aus Belgien, der antiken Säulen aus dem Aachener Dom oder der Bücherschätze Kölns.“ Der erste moderne Kunstraub ließ die deutschen Intellektuellen kalt. Erst als zwei Jahre später aus ihrem Lieblingsland Italien Kunst abtransportiert wurde, begannen sie zu protestieren. Zumindest ein wenig. Als die Franzosen dann mit einer Fête des Arts den Einzug der geklauten italienischen Kunst in Paris feierten, war schon wieder Schluss mit der lauten Kritik.Wilhelm von Humboldt schrieb nach Hause: „Einzugsfest der eroberten Kunst und andern Sachen. Ein wahrhaft schönes Fest für den Anblick. (...) Der Zug nahm sich sehr gut aus. (...) Die Ordnung war sehr groß.“ Und als die Kunst dann – ordentlich – im Louvre hing, waren die Kritiker gänzlich eingelullt. Auch für Goethe bedeutete der massenhafte französische Kunstraub so etwas wie ein unabänderliches Schicksal. 1807 schrieb er an seinen Freund Karl Friedrich Zelter: „Können Sie mir das Verzeichnis der von Berlin weggeführten Kunstschätze erteilen (...). Wenn man nur weiß, wo sie aufbewahrt werden, so sind sie uns nicht verloren.“ Zelter antwortete in schönster deutscher Selbstzweiflermanier, er habe das Verzeichnis der Kunstsachen, welche „Herr Denon bei uns für das Pariser Museum auswählte, gesehen“. „Der einzige Trost, den man beim Anblick solcher Dinge hat, ist: dass das Gute für die Welt gehört, es sei, wo es sei, und dass wir dieser schönen Dinge unwürdig waren. (...) Die Nichtachtung gegen Albrecht Dürer und Lucas Cranach, an deren Werken wir reich zu nennen waren, bestraft sich hart genug an unseren Künstlern, die sich am meisten darüber ärgern, dass ihre Werke nicht entführt wurden (...).“ Mutig war das nicht, aber Mut gegenüber den Franzosen und vor allem gegenüber dem Chef der Trophäensammler – Dominique-Vivant Denon – war weder von Zelter noch von Goethe zu erwarten. Denn vor allem Goethe war mit dem gleichaltrigen Franzosen eng befreundet.Rechtzeitig in Sicherheit gebrachtDenon, der erste Direktor des Louvre höchstselbst, plünderte die Schätze Preußens mit System und transportierte Tausende Kunstwerke ab. Waren zu Anfang nicht unbedingt die kunstsinnigsten Abgesandten in den eroberten Gebieten unterwegs, suchte sich in Preußen und in Spanien, in Österreich und in Italien der Direktor selbst die neuen Museumsstücke aus. Und wäre er nicht als Plünderer gekommen, hätte die Freude über den Besuch des bekannten Künstlers, bewunderten Ägyptenreisenden und Museumsdirektoren-Kollegen grenzenlos sein können. So mischten sich der Stolz der deutschen Sammlungshüter über den berühmten Gast mit dem guten Gefühl, die kostbarsten Werke rechtzeitig vor ihm in Sicherheit gebracht zu haben. Die Quadriga vom Brandenburger Tor konnte niemand verschwinden lassen, weshalb Denon auch ihren Abtransport organisierte.Allerdings war die Beute so groß, dass vieles von dem, was da in Paris ankam, plötzlich nicht mehr wertvoll war. Die Säulen, die man mühsam vom Grabmahl Karls des Großen im Aachener Dom abgebrochen und „auf sehr stabilen Wagen“ nach Paris transportiert hatte, lagen monatelang im Freien, dann wurden sie im Antikenmuseum verbaut – allerdings nur als Teil der Dekoration, man besaß bereits weitaus wertvollere Antiken.Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach positiven Auswirkungen des napoleonischen Raubzuges durch Schlösser und Klöster, Bibliotheken und Museen nicht unproblematisch, aber durchaus gerechtfertigt. Denn es gab sie durchaus. Erst als die Deutschen nämlich merkten, welchen Wert ihre alten Meister für die Franzosen hatten, begannen sie sie zu schätzen. Cranach und Dürer, Altdorfer und Memling – bisher eher für primitiv gehalten – waren plötzlich die Höhepunkte der Restitutionsausstellungen nach 1815. Patrioten wie Frühromantiker bezogen sich auf sie, wenn sie von einer deutschen Einheit träumten. Für die Preußen hatte die Rückkehr aus Frankreich außerdem einen nahezu revolutionären Effekt. Ihre Kunstwerke kehrten nicht als Schloss-Dekorationen zurück, sondern wurden – nach der Wiedereroberung durch das Volk – als Besitz des Volkes empfunden. Und dieses Volk forderte die längst überfällige Einrichtung eines öffentlichen Museums, das es 1830 schließlich bekam.BeigelegtDoch nicht nur die Deutschen lernten dazu. Um sich als würdige Sieger inszenieren zu können, mussten die Franzosen gut mit den Kunstwerken umgehen, mussten sozusagen vor den Augen Europas zeigen, dass sie die besten Bilderbewahrer sind. Der Beruf des Restaurators, bisher eher eine geheime Spezialistenbeschäftigung, wurde etabliert und die restauratorische Arbeit öffentlich diskutiert. Zwar waren die Praktiken noch nicht perfekt – die 100 Kisten mit Antiken aus Berlin und Potsdam wurden ebenso wie der Inhalt von 150 Kisten aus Hessen-Kassel unter freiem Himmel ausgepackt und vom Hof des Louvre ins Museum transportiert. Immerhin wurden die wertvollsten Stücke von den besten Restauratoren behandelt.Als ihre Arbeit getan hatten, mussten die meisten Kunstwerke und Schriften Paris und Frankreich wieder verlassen, denn Napoleons Herrschaft war zu Ende. Über genaue Zahlen verfügte man damals nicht, weshalb sich dieser Kunstraub perfekt instrumentalisieren ließ und nach 1870 sowohl in den ehemals von Frankreich besetzten und beraubten Gebieten als auch in Frankreich selbst Teil nationalistischer und revanchistischer Argumentationen wurde. Dabei hätte man auf beiden Seiten schon damals kennen können, was Bénédicte Savoy erstmals zusammengeführt und ausgewertet hat: die akribisch geführten Beschlagnahmeverzeichnisse von Denon, den Katalog der Pariser Ausstellung von 1807, das Inventaire Napoléon aus dem Louvre und die deutschen Rückgabe-Verzeichnisse. Auf einer dem Buch beigelegten CD-ROM werden alle identifizierten Werke abgebildet, ihre Provenienzgeschichte erzählt und in den meisten Fällen ihre Restitution verzeichnet. Schöner und klarer kann ein Jahrhundertstreit nicht beigelegt werden.
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