Der Name sollte Programm sein. Mit der »Agenda 2000« verbindet die Europäische Union vier weitreichende Reformvorhaben, die nur scheinbar nichts miteinander zutun haben: Die Erstellung eines neuen Finanzrahmens für die EU; die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP); die Neuregelung der Europäischen Strukturfonds; und die Erweiterung der Gemeinschaft um sechs neue Mitglieder, fünf davon aus Mittelosteuropa. In der Praxis hängen die vier Reformvorhaben jedoch eng zusammen. Daher auch der Beschluß, die »Agenda 2000« als Paket auf dem Berliner Gipfel zu verabschieden. Und da das nur einstimmig erfolgen kann, waren Kompromisse programmiert. Der Europäische Rat verabschiedet jedoch keine konkreten Gesetze, sondern politische Leitlinien, d
ien, deren legislative Umsetzung in den europäischen Fachministerien erfolgt. Hier ist die Einstimmigkeit zum Teil aufgehoben. Dann muß das Europäische Parlament mitentscheiden. Andernfalls besteht lediglich eine Pflicht zur parlamentarischen Anhörung.Diese Zustimmungspflicht des Europäischen Parlaments erzeugt einen Großteil des Zeitdrucks, unter dem die Agenda-Verhandlungen stehen. Am 13. Juni sind Europawahlen, und die meisten EU-Staaten wollen, daß die jetzt gewählten Abgeordneten entscheiden. Dafür gibt es unterschiedliche Motive. Zum einen grassiert in Brüssel die Furcht vor der Wahl eines »reformfeindlicheren« Parlaments. Zum anderen will man die Chance eines geballten inneren und äußeren Reformdrucks nicht ungenutzt lassen.Zum inneren Reformdruck trägt vor allem die vergangene Erweiterung der EU auf inzwischen 15 Mitglieder und die Einführung des Euro bei. Der äußere Reformdruck ergibt sich aus den Zwängen (und Chancen) der Globalisierung sowie der beschlossenen Osterweiterung. Hinzu kommt die simple, aber wirksame Tatsache, daß nach EU-Recht für die Jahre 2000 bis 2006 ein neuer Finanzrahmen und eine neue Verordnung für die Strukturfonds fällig sind. Einigt man sich hier nicht, gelten die alten Rahmenbedingungen weiter, mit denen keines der Mitgliedsländer mehr leben möchte.Beim Geld übt sich die EU an einer Quadratur des Kreises, die da heißt: Mit weniger Mitteln, wachsende Aufgaben erfüllen. Die Obergrenze für den Gesamthaushalt liegt seit 1994 bei 1,27 Prozent des Bruttoinlandprodukts der EU, das 1998 etwa 15 Billionen Mark betrug. Etwas mehr als 50 Prozent der Mittel gehen in den Agrarhaushalt, 30 Prozent in die Strukturförderung und die restlichen 20 Prozent bleiben für interne Politikbereiche der EU (einschließlich Beschäftigungspolitik), externe Aufgaben (einschließlich EU-Förderprogramme wie PHARE und TACIS), sowie Verwaltungskosten und Reserve (u.a. für Soforthilfen).Um die erweiterten Gemeinschaftsaufgaben der EU (zum Beispiel in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) zu bewältigen und zusätzliche Mittel für die Vorbereitung der Beitrittskandidaten bei einer konstanten Eigenmittelobergrenze bereitstellen zu können, müssen in den EU-Staaten und den Beitrittsländern Wachstumsraten von 2,5 bzw. 4 Prozent erreicht werden. Doch selbst unter dieser optimistischen Prognose geht die Rechnung nur auf, wenn an anderen Stellen gespart wird.Dies trifft in erster Linie die Agrarpolitik. Nachdem die nationale Kofinanzierung vom Tisch ist, sollen hier vor allem durch lineare Haushaltskürzungen und durch die Umwidmung der Mittel von der bisher praktizierten Agrarpreissubventionierung hin zur Strukturförderung des ländlichen Raums Ressourcen freigesetzt werden. (siehe Interview auf dieser Seite)Bei der Strukturförderung wird die Zahl der sogenannten Zielgebiete von sieben auf drei reduziert. Priorität genießen dabei die strukturschwächsten Regionen der EU (Ziel 1), mit weniger als 75 Prozent des durchschnittlichen Bruttosozialprodukts der EU. Die Förderung gilt bis zu sieben Jahre nach Überschreiten dieser Grenze und umfaßt circa 20 Prozent der EU-Bevölkerung. Hierzu zählen alle neuen Bundesländer mit Ausnahme (Ost)Berlins. Etwa 18 Prozent der EU-Bürger leben in sogenannten Ziel-2-Gebieten. Das sind Zonen mit rückläufiger Industrieentwicklung und sich wandelndem Dienstleistungssektor, Krisenviertel in Ballungsräumen sowie ländliche Gebiete und solche, die stark von der Fische reiwirtschaft abhängen. Die Ziel 3-Förderung umfaßt im wesentlichen den Europäischen Sozialfonds und dient vor allem dazu, nationale Beschäftigungsprogramme zu unterstützen.Die »Agenda 2000« bildet den kleinsten gemeinsamen Nenner der 15 EU-Mitgliedsländer. Gleichwohl ist es ein ehrgeiziges Reformprojekt - mit drei entscheidenden Geburtsfehlern. Der erste besteht darin, daß die EU bei ihrer Reform nicht dem Primat der Politik, sondern dem Diktat des knappen Geldes folgt. Deshalb bleibt, zweitens, die (dringend notwendige) Diskussion um Ausgabeneffizienz und veränderte Einnahmestrukturen einseitig. Gerechtigkeitslücken gibt es auch jenseits der Netto-Zahler-Debatte. Zum Beispiel zwischen jenen Unternehmen, die überproportional vom europäischen Binnenmarkt profitieren und den EU-Bürgern, die mit ihren Steuern die Rahmenbedingungen für das Funktionieren dieses Marktes finanzieren. Drittens schließlich stellt sich die Europäische Union bei ihrer Osterweiterung als eine relativ geschlossene Gesellschaft dar, für die Integration eine bloße Einbahnstraße ist. Wer beitreten will, muß sich anpassen - egal, wie reformbedürftig das System ist. Zum Thema siehe auch: Im GesprächFalsche SignaleJens RennerMeister des KonsensesGabriele Lesser, WarschauAckerbau und ViehzuchtLutz HerdenMilch und Honig