Ego auf der Couch

Tagungsbericht In Berlin tagte die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft

Es ist ein eigenartiges Gefühl, mit mehreren hundert Psychoanalytikern in einem Raum zu sitzen. Was sie, diese Priester der Moderne, auf Hunderten von Couchen tagtäglich zu hören bekommen, all die Geschichten, die Geständnisse, scheint unausgesprochen wie ein permanentes Wispern, ein Stimmengeflecht der psychischen Leiden, mit anwesend. Ein wenig sakral wirkt diese Gesellschaft und überdurchschnittlich viele der Redner verfügen - berufliches Handwerkszeug - über angenehm modulierende Stimmen.
"Trennen und Verbinden" war das Motto, unter dem sich die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) vom 9. in zum 12. Mai in Berlin zu ihrer Jahrestagung versammelte. Für die DPG war es eine besondere Tagung, mit viel Aufwand betrieben. Gemeinsamer Bezugspunkt war das "Fort-Da-Spiel", das Freud bei seinem Enkel Ernst Halberstadt beobachtete. Das Spiel steht exemplarisch für den Umgang mit Trennung und den Prozess der Symbolisierung, ohne den wir nicht Subjekte werden. Bei allem Rückgriff auf das Freud-Beispiel fiel ein Satz auf der Tagung häufig: "Die Psychoanalyse hat sich verändert." Die Gesellschaft, auf die sie heute reagieren muss, ist eine andere als die der psychoanalytischen Pionierzeiten. Psychoanalyse gerettet.
Bestechend einfach und grundsätzlich wirkte daher die Präsentation des Baseler Professors Kai von Klitzing, der seine Studien zu Reaktionen von Säuglingen auf Väter vorstellte. Bereits im frühen Stadium werden die Väter vom Säugling als Dritte erkannt; das vom bürgerlichen Setting geprägte psychoanalytische Bild der Mutter-Kind-Dyade bedarf offensichtlich einer Modernisierung. Da es ums Subjektwerden ging, durfte auch die - wohl eher rhetorische - Frage nicht fehlen, ob die Psychoanalyse als Behandlungsmethode angemessen auf die sogenannten Patchworkidentitäten reagieren kann. Der in Magdeburg lehrende Analytiker Jörg Frommer plädierte in einem Beitrag, der nicht alle Tiefen wirklich auslotete, dafür, die klinischen Begrifflichkeiten bei der Beschreibung sozialer Phänomene vorsichtig zu benutzen.
Analytiker beschäftigen sich immer auch mit sich selbst. Das Thema "Trennen und Verbinden" war doppeldeutig und durchaus auch als ein politisches zu verstehen. Denn seit mehr als 50 Jahren bestehen in Deutschland zwei psychoanalytische Organisationen, die DPG und die DPV (Deutsche Psychoanalytische Vereinigung). Hinter den inhaltlichen Differenzen, die zur Spaltung führten, stand auch eine nicht bewältigte Vergangenheit der Psychoanalyse während der Nazi-Zeit. Die DPG reklamiert für sich den älteren Namen. 1910 von Karl Abraham ins Leben gerufen, war die Gesellschaft nach 1933 gezwungen, Juden auszuschließen, ganze 27 Mitglieder blieben in Deutschland, rund hundert mussten das Land verlassen, einige jüdische Psychoanalytiker wurden ermordet. 1938 löste sich die DPG auf - einige Mitglieder überwinterten als "Arbeitsgruppe A" - und wurde 1945 wieder gegründet. Doch 1950 spaltete sich die Vereinigung in einen neo-analytischen Zweig der Schule um Harald Schultz-Hencke (DPG) und einen eher freudianisch-orthodoxen um Carl Müller-Braunschweig (DPV). Ein Kuriosum ist, dass die DPV seit 1951 wieder als Mitglied in der ehemals von Freud ins Leben gerufenen Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) fungiert, die DPG aber hier erst seit 2001 den Status eines (noch provisorischen) Mitglieds hat.
Trennen und Verbinden: Das Besondere der diesjährigen Tagung lag für die DPG darin, dass sie die erste seit dem beschlossenen Wiedereintritt in die internationale Psychoanalyse war. Etliche der Beiträge beschäftigten sich daher auch mit der Institution selbst und ihrer Vergangenheit, Mario Erdheim deutete die willige bis aggressive Unterordnung unter institutionelle Zwänge als ödipalen Wunsch, endlich mal im Schlafzimmer der Eltern mitspielen zu dürfen. Hermann Beland - Mitglied der überdies zeitgleich in Leipzig tagenden DPV - sah die Konflikte der beiden psychoanalytischen Gesellschaften als Ausdruck der "Konflikte privater Objektschicksale" und als Spiegel der "Borderline-Tendenzen der Gesellschaft". Muss man so weit gehen? Das Wispern, da war es wieder. Alle, die hier tagten, haben ja selber auf der Couch gelegen. Sie führen den Diskurs einer immerwährend sich selbst befragenden Berufsgruppe, die nicht wäre, was sie ist, wenn sie aufhörte, ewig auch sich selbst zu analysieren.

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