Es ist schon eine paradoxe Situation: Das weltweit bekannteste Enthüllungstrio wurde mit Preisen geradezu überhäuft, doch die politische Resonanz auf die Enthüllungen nimmt stetig ab. Zuletzt haben Edward Snowden und die beiden journalistischen Aktivisten Glenn Greenwald und Laura Poitras für ihre Enthüllungen und Dokumentationen den Alternativen Nobelpreis bekommen, die Carl von Ossietzky-Medaille, den Geschwister Scholl-Preis, den Henri-Nannen-Preis, den Berliner Preis für Zivilcourage, den Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union, den Internationalen Whistleblower-Preis von Transparency International, eine Nominierung für den Friedensnobelpreis, einen Oscar für den besten Dokumentarfilm: „Citizenfour“ von Laura Poitras. Und diese Aufzählung ist beileibe nicht vollständig. Zuletzt ist in einem New Yorker Park von Kunstaktivisten sogar eine Büste Edwards Snwodens aufgestellt worden – bevor sie wenige Stunden später von der Polizei entfernt und in Gewahrsam genommen wurde.
Fast könnte man aus der Lawine von Ehrungen und Preisverleihungen eine Formel für die Irrelevanz des Kulturbetriebs ableiten: Die politische Wirkung von Aufklärung nimmt in dem Maße ab, wie die kulturelle Wertschätzung für die Aufklärer zunimmt. Denn nach beinahe zwei Jahren schier endloser Enthüllungen berichten die Medien nur noch verhalten und pflichtschuldig über die neuesten Skandale. Und überlässt es der Satire zu überlegen, wie man Bürgern das nötige Maß an Empörung näher bringen kann.
Der von Glenn Greenwalds Internet-Plattform „The Intercept“ kürzlich dokumentierte „Fall Gemalto“ müsste eigentlich jedem Handy- und Kreditkartennutzer den Empörungszorn ins Gesicht treiben, aber es reicht bestenfalls zu einem fatalistischen Achselzucken. Dass die Geheimdienste NSA und GCHQ auch die Verschlüsselungscodes des weltgrößten SIM-Karten-Herstellers in ihren Besitz gebracht haben, bedeutet, dass sie alles mitlesen und mithören können, was wir über Mobiltelefone und Kreditkarten abwickeln: Geschäfte, Verabredungen, Freundschaften, Neigungen, alles. AT & T, T-Mobile, Verizon und 450 andere Telekommunikations-Anbieter sind davon betroffen. Doch das Publikum reagiert auf solche Hiobsbotschaften kaum noch. Es ist enthüllungsmüde. Die Regierenden sitzen das Problem aus und die Medien haben ihr Empörungs-Pulver verschossen. Jeder Anschlag auf eine Redaktion, jede Attacke auf eine Synagoge, jeder Terror-Überfall auf eine Veranstaltung wird die grundrechtswidrige Schnüffelpraxis der Geheimdienste moralisch legitimieren und ihre Machtbasis weiter ausbauen. So lange der „Krieg gegen den Terror“ als politisches Konzept nicht zu den Akten gelegt wird, weil diese Form der Gewaltbekämpfung den Terror nur immer weiter nährt, wird kulturelle Aufklärung gegen rücksichtslose Machtpolitik nicht gewinnen.
Preisverleihungen können die Ohnmacht der Menschen aber lindern. Sie kompensieren die Angst vor dem eigenen Aufstand, indem sie den Widerstand an Hollywood oder Transparency International delegieren. Sie schmücken die Arbeit der Aufklärer mit den Namen berühmter Vorkämpfer (Ossietzky, Geschwister Scholl). Solche Ehrungen entlasten – und mahnen zum Durchhalten und Weitermachen. Es sind Antidepressiva, Schmerzstiller und manchmal sogar Glückspillen.
Also freuen wir uns mit Laura Poitras, Glenn Greenwald und Edward Snowden über die verdienten Auszeichnungen. Ihr Oscar etwa überdeckt die Beschämung, die das „Nichts-tun-können“ in uns auslöst. Aber er fordert uns zugleich auf, die Abrüstung der Geheimdienste zu organisieren: Indem wir auf die Straße gehen und anders wählen als bisher, nicht nur in Griechenland, sondern auch hier.
Kommentare 2
Treffend beobachtet, Herr Michal.
So, wie die, in Form gebrachten, Enthüllungen Snowdens, Greenwalds und Poitras, dem Pfingstochsen gleich, mit Ehrendekorum geschmückt werden, sind sie doch den in Stellen weiter aufgewachsenen und ausgebauten, mittlerweile fast unangreifbaren, privaten, wie verbeamteten Hoch & Guck, global und national, völlig egal.
Den verantwortlichen Innenpolitikern und Nationalpolitikern der mächstigsten Länder der Welt, verursachen diese Erkenntnisse höchstens eine störende Reibung, weil sie doch noch auf das Thema angesprochen werden, die es beim nächsten Mal auszuschalten gilt, indem man intensiv nach Quellen und Kanälen der Whistleblower und Journalisten fahndet.
Es gibt übrigens eine deutsche Partei, die die Heuchelei dabei mittlerweile in einsame Höhen getrieben hat: Das ist die SPD.
Der Parteivorsitzende, der Justizminister und der Fraktionsvorsitzende und wichtige Ausschussmitglieder, wollen eher vertuschen, verhindern und strenger bestrafen, damit nichts ans Tagelicht kommt. Sie befinden sich in völliger Übereinstimmung mit den Innenministern der Länder und den Diensten, die sie immer wieder für gute Arbeit loben.
Für sie gehören Snowden und Konsorten in eine, aus Beton gegossene, von innen nach außen völlig schalldichte Zelle, wie die tapfere Gefreite Manning.
Angela Merkel macht es geschickter, aber nicht weniger stilprägend: Sie hält die Klappe, denkt aber diesbezüglich nicht anders, als deMaizière und die rosaroten Koalitionäre. Und die rechtskonservativen Politiker der CDU/CSU setzen sowieso immer schon auf Überwachung, Kontrolle und Strafen. - Bei jeder unpassenden Gelegenheit, ein neuer Schrei nach Gesetzen und Verordnungen. - Leider kommt auch das blendend an.
Die universelle Abhör- und Kontrollpraxis, hat lange, analog der Radioaktivität, analog polychlorierter Kohlenwasserstoffe, analog dem CO2 und Methan, analog Glyphosat keine direkt sichtbaren Folgen für den Wahlbürger in den mächtigsten Staaten. Ihm tut, den Tag über, davon nichts weh und nächtens schläft er sich die dunklen Ahnungen aus.
Was nicht spürbar ist und derzeit nur auf begrenzt viele Menschen, massiv, gar tödlich wirkt, ist nicht im öffentlichen Sinn und nicht wichtig.
Von unseren Presse- und Medienorganen erwarte ich schon lange nicht mehr viel. Die sind übrigens weit handzahmer, regierungstreuer und stromlinienförmiger, als die vergleichbaren Presseorgane in den USA oder in Frankreich.
Unter Journalisten und auch bei ein paar Hochschulleuten kenne ich noch welche, die nicht alles schlucken. Die werden aber in der Masse marginalisiert (Bei der ZEIT, vielleicht noch zwei, bei der SZ einer, beim "Sturmgeschütz" ganz wenige, zwei, drei, bei der FAZ zwei und ein paar Gäste, im Anstalten- TV nur noch selten, irgendwo in den Magazinen und, das ist der Gipfel, nur noch bei kabarettistischen Unterhaltungssendungen die unter Anstalt firmieren.
Bürgerrechtliche NGOs, außer Tierschutz, Rotkreuz (heute ein Konzern) und karitative Kirchen, haben in Deutschland traditionell keine große Bedeutung. Da ist auch keine Rettung zu erwarten.
Und der Bürger? Er ist nicht einmal mehr als "Wutbürger", an solchen Fragen interessiert. Er jagt auf der Straße derzeit lieber Fremden Angst ein und hat selbst Angst vor dem Gespenst der neuen und jungen Gegner der marktkonformen Demokratie, die vor den Bankentürmen eher hilflos protestieren.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Danke für den Artikel.
Es macht mich unglaublich wütend das politisch kaum Konsequenzen aus den Snowden Enthüllungen gezogen wurden und die absolute Überwachung durch einen fremden Geheimdienst einfach hingenommen wird. Dennoch beruhigt es mich dass die Leistungen Snowdens immerhin kulturell durch Preise gewürdigt werden. (Ich finde es übrigens eine Schande dass Mr. Drohnenkrieg den Friedensnobelpreis bekommen hat und Mr. Snowden leider nicht).
Weiterhin beobachte ich derzeit mit Fassungslosigkeit wie deutsche Volksvertreter, nach mehr Totalüberwachung ("Vorratsdatenspeicherung") schreien und dabei Lügen und Halbwahrheiten verbreiten als kennen sie keine Scham. Gabriel ist bei weitem nicht der einzige, aber tut dies trotz breitem Widerstand in der eigenen Parteibasis. Mehr noch, man könnte meinen dass die Enthüllungen durch Greenwald/Snowden/Poitras vergessen worden sind und genau so unterdrückt werden sollen wie die Aufklärung im Untersuchungsausschuss des Bundestags zu diesem Thema.
PEGIDA treibt die Menschen hierzulande noch auf die Straße, die Werte die eine/unsere Demokratie einmal ausmachten leider nicht mehr.