1961 in Jerusalem zum Tode verurteilt: Adolf Eichmann, Organisator des Holocaust
Foto: United Archives International/Imago
Ein paradoxes Ergebnis der Wahlen zur Knesset in Israel war, dass die nationalen und religiösen Parteien als Befürworter strikter Machtpolitik des starken Staats auftraten. Die liberalen und traditionsbedingt zionistischen Kräfte hatten hingegen für eine Politik des Ausgleichs mit den palästinensischen Nachbarn geworben. Paradox ist dies deshalb, weil es in der Vorgeschichte des Staats Israel und in seinen ersten Jahren genau andersherum war. Die Religiösen hatten der Staatsgründung überhaupt widersprochen, weil sie darin ein Sakrileg sahen, und wehrten sich gegen alles, was den Staat wie einen Staat aussehen und handeln ließ. Die meisten der Zionisten, zumal die liberalen und pragmatischen Emigranten aus Europa, wollten einen lebensfähigen
gen Staat, weil sie nach den Erfahrungen mit dem Holocaust überzeugt waren, dass nur ein Staat Israel den Juden die Heimat geben könne, in der sie künftig vor Verfolgungen sicher seien. So dachten auch viele in Deutschland lebende Juden, und zu ihnen gehörte der in Münster lehrende Philosoph Hans Blumenberg, der zurückgezogen in seinem Haus in Altenberge die Nächte damit verbrachte, Blatt um Blatt mit Lesefrüchten, Reflexionen und kleinen Essays zu füllen.Da entstanden – nur unterbrochen von langen Telefongesprächen mit Freunden – massenhaft Manuskripte, fertige, halbfertige, aufgegebene. Marbach, wo der Nachlass liegt, zählt 23.000 Karteikarten mit Exzerpten und Notizen. Seit Jahren erscheinen Bücher aus dem Nachlass, mal sorgfältig, mal weniger sorgfältig ediert. Dem nun bei Suhrkamp erschienenen Band Rigorismus der Wahrheit hat der Herausgeber Ahlrich Meyer viel Sorgfalt angedeihen lassen. Das ist gut so, denn er behandelt ein heikles Thema und konfrontiert den Leser in Bezug auf Blumenberg mit Unerwartetem, „Moses der Ägypter“ annonciert der Untertitel und „weitere Texte zu Freud und Arendt“. Die Schriften von Sigmund Freud zu Moses und der „monotheistischen Religion“ hatte Blumenberg schon in den 60er Jahren kennengelernt. Hannah Arendts Buch Eichmann in Jerusalem, das den Prozess gegen den Organisator der „Endlösung“ 1961 beschreibt und kommentiert, las er sehr viel später, obwohl er die Autorin schon früh zur Kenntnis genommen hatte, ihr wohl auch begegnet war. Für Freud empfand er durchaus Hochachtung, er beschäftigte sich intensiv mit ihm. Hannah Arendt schätzte er weniger, wahrscheinlich konnte er nicht davon absehen, dass sie eine Schülerin Heideggers gewesen war. Für ihr Eichmann-Buch hatte er – wie viele andere – nur Empörung übrig. Aber aus anderen Gründen als die anderen. Und da kommt jählings Freud ins Spiel.Analyse oder Mythos„Gefaßt meinerseits auf Empörungen“, schreibt Blumenberg zu Arendt, „bin ich bestürzt über die tiefliegenden Gemeinsamkeiten des ,Mann Moses und des ,Eichmann in Jerusalem.“ Was sind die Gemeinsamkeiten? Blumenberg schreibt: „Wie Freud den Mann Moses seinem Volk genommen hat, nimmt Hannah Arendt Adolf Eichmann dem Staat Israel.“ Da muss man als Leser erst einmal durchatmen: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?Um zu verstehen, muss man auf Blumenbergs Ausgangspunkte zurückgehen, die er freilich in diesem kurzen Text sichtbar macht. Freud hing bekanntlich der These an, Moses sei Ägypter gewesen, habe den Hebräern – er spricht stets von Juden – den Monotheismus des Pharaos Echnaton als neue Religion aufgedrängt und sie aus Ägypten fortgeführt. Die Hebräer aber hätten dann später Moses ermordet, seien zwar bei dem Monotheismus geblieben, hätten aber den Sonnengott Aton durch den Vulkangott Jahwe ersetzt.Freud hat den Juden eine schwere Kränkung zugefügt, als er Moses gleichsam als Volksfremden entlarvte. In Blumenbergs Worten: „Freud hat den ägyptischen Prinzen Moses das Volk verachten lassen, das er aus der Sklaverei herausbrachte.“ Und, das hätte der Traumdeuter voraussehen können: „Sobald die Befreiten erkannt hatten, nur Medium einer abstakten Erhebung gewesen zu sein“ – der Etablierung einer neuen Religion –, „würden sie ihn ermorden. Sie mussten es ebenso tun wie alsbald vergessen, es getan zu haben, um sich der dennoch gewonnenen Geschichte nicht schämen zu müssen.“ Sie waren ja nun immerhin ein Volk geworden. In Österreich hatte Freud solches nicht publizieren wollen. In England, wohin er im Sommer 1938 emigrierte, war er unbefangener. Das billigt Blumenberg nicht: „In dieser Situation, auf dem Höhepunkt von Hitlers Macht und der Erbärmlichkeit der von ihm Gejagten, gab es kein anderes Motiv, diese Publikation zu verantworten, als den Absolutismus der Wahrheit.“ Blumenbergs Urteil ist streng. „Moses den Ägypter von pharaonischem Geblüt hat Sigmund Freud zur Kränkung seines Volkes erfunden.“Dann kommt Blumenberg zur Heidegger-Schülerin: „Der Rigorismus der Hannah Arendt ist dem des Sigmund Freud sehr ähnlich. Sie glaubt an die Wahrheit – dass es ihre Wahrheit ist, kann sie nicht ändern und verhindern.“ Und wie kommt Blumenberg zu solchen Gemeinsamkeiten? Blumenberg: „Es gibt Staaten, die durch ihre Feinde gegründet werden.“ Durch den Holocaust, für dessen Organisation exemplarisch Eichmann steht, sei die von Zionisten lange geplante Errichtung des Judenstaats möglich geworden. Indem Arendt nur soziologisch hinschaue und „juridisch“ kommentiere, lasse sie den „Ausnahmezustand“, den dieser Prozess für Israel bedeute, nicht zu „und braucht es als Bürgerin der USA auch nicht“. Nur dieses eine Mal habe es in Israel die Todesstrafe gegeben. Hier sei sie mit zweifelhaftem Recht, aber im Namen unbezweifelbarer Gerechtigkeit verhängt und vollstreckt worden, weil es Juden unerträglich war, mit dem auf Erden zu leben, der darüber befunden hatte, dass sie nicht auf Erden sein dürften. Mit der Tötung Eichmanns hätten die Juden den Mythos ihrer Staatsgründung geschaffen. Eichmanns Asche wurde im Mittelmeer verstreut und durfte nicht im Land des Judenstaats bleiben.Professoral merkt Blumenberg zu Hannah Arendts Buch an: „Man kann nicht beides haben, die Analyse und den Mythos.“ Der heftige Vorwurf gegen die Politologin aber geht auf den Punkt, der Arendts Analyse anschaulich werden lässt: Der deutsche Staatsgründer ohne Absicht und Willen durfte niemals als „Hanswurst“ hingestellt werden, wie es Eichmann in Jerusalem tut. Der Prozess war ein Beitrag zur mythischen Befestigung von Israel. Blumenberg also: „Eine Vogelscheuche der Jämmerlichkeit gefangen zu haben und zu richten, diskreditierte den Staatsakt, zu dem es gemacht worden war und gemacht werden musste.“ Und nun meint er doch: Freud hätte das verstanden: „Die mythische Dimension der Tötung des negativen Staatshelden.“ Der war aber hier „der Staatsgründer, der dies durch das größte Massaker der Geschichte – mit eben deren Hinterhältigkeit – geworden war“. Das waren zwölf Seiten, und Schluss. Das Buch enthält aber noch etliche kleine Texte, Nebenarbeiten und Vorarbeiten beider Autoren zum Thema.Was nun Blumenberg zu seiner These sagt, ist das eine. Was er mit seiner These über sich selbst sagt, ist das andere. Da bekennt er überraschenderweise seine starke Empathie für die Juden als Volk und für Israel als Staat. Von daher ist auch noch einmal seine Abneigung gegen Hannah Arendt zu verstehen. Ihr war vorgeworfen worden, sie lasse es an Liebe für die Juden ermangeln. Sie erwiderte, sie fände es absurd, ein Volk zu lieben. In einem Nebenpunkt seiner Ausführungen kommt Blumenberg darauf zu sprechen, Arendt habe den sogenannten „Judenräten“ ihre Mitwirkung an der Organisation des Massakers vorgeworfen. Ohne diese wäre für die Nationalsozialisten bei der Deportation und Ermordung so vieler wohl manches nicht gegangen. Blumenberg weist sie spitz zurecht: „Hannah Arendt wusste nicht, was alles ging, wenn es nur den gehörigen ,Stellenwert‘ hatte.“Harte LehreDas ist der älter werdende Philosoph in seiner Klause im entlegenen Altenberg. Er hatte eine jüdische Mutter, war in der Nazizeit übel drangsaliert worden, hatte am Schluss mit knapper Not überlebt. Was wussten schon die Emigranten, wie es damals für Juden in Deutschland zuging? Aus dieser Erfahrung müssen zu ihrem Schutz die Juden ihren eigenen Staat haben – wie Franzosen, Schweden, Deutsche und alle anderen.Dies war die harte Lehre, die auch Paul Celan aus der Zeit der Diktatur gezogen hatte und die ihn heftig für den Staat Israel eintreten ließ. Selten hat Blumenberg seine Biografie vorgezeigt. Hier, wo es um das Volk der Juden und den Staat Israel geht, tut er es. Rigorismus der Wahrheit: „Nichts ist weniger sicher“, schreibt er, „als dass Wahrheit geliebt werden will, geliebt werden kann, geliebt werden darf.“Der deutsch-israelische Historiker Dan Diner hat nun ein Buch vorgelegt, in dem er schildert, unter welchen Schwierigkeiten die materielle Hilfe 1952 auf den Weg gebracht wurde, die die Bundesrepublik Deutschland für Israel leistete – man muss sagen: leisten durfte. Die Religiösen waren gegen jeden Kontakt zu Deutschland. In einem brillanten Kapitel erläutert Diner den „Bann“, mit dem die europäischen Juden auf das Spanien der Inquisition reagiert hatten. Das Gleiche sollte mit Deutschland geschehen. Die Pragmatiker sagten, Wenn wir der Staat sein wollen, den die Juden brauchen, dann müssen wir Hilfe annehmen, wo wir sie kriegen. Die Debatten in der Knesset waren stürmisch. Bei der Konferenz in Luxemburg musste Englisch gesprochen werden, obwohl beide Seiten besser Deutsch konnten. Es war absurd, aber es machte Geschichte mit der Fähigkeit, Rücksicht zu nehmen.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.