Von dieser Woche wird sich die deutsche Medienlandschaft so schnell nicht erholen; mit welcher Verve und untergriffiger Verbissenheit hier die neue griechische Regierung als Ansammlung irrlichternder Hallodris beschrieben, wie hier mit Un- und Halbwahrheiten hantiert wurde, das war schon ziemlich jenseits des Üblichen. Man will sich gar nicht vorstellen, welch nationalbesoffene Geschlossenheit herrscht, wenn es einmal wirklich ernst wird. FAZ, Süddeutsche, Welt und Bild, ein einziges Getrommle, mit wenigen Ausnahmen wie Zeit oder taz. Von dem unsäglichen Spiegel-Titel „Der Geisterfahrer – Europas Albtraum Alexis Tsipras“ ganz zu schweigen. In den (wohlgemerkt: öffentlich-rechtlichen) Tagesthemen fragt die Moderatorin den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz, ob er Alexis Tsipras doch wohl hoffentlich gesagt habe, dass es „jetzt reicht“.
Geile Frage, freu mich schon darauf, wenn sie Schulz einmal fragt, ob er Merkel gesagt habe, dass es reicht; ob er jetzt einmal endlich mit Merkel „Tacheles“ geredet habe. Aber wahrscheinlich würden der mutigen Dame schon beim Gedanken an eine solche Frage die Knie schlottern. Nein, im Ernst: Eine solche Woche haben wir in einer Zeit der Legitimationskrise großer Medien und der „Lügenpresse“-Vorwürfe gerade noch gebraucht. Wer solche Journalistenkollegen hat, braucht keine Pegidas mehr.
Wirft man einen Blick in die internationale Presse, dann zeigt sich erst, wie sehr Deutschland aus dem Takt ist. Von Guardian, New York Times, Le Monde über Wall Street Journal oder Forbes bis zur Financial Times – überall sachliche, wenngleich natürlich nicht unkritische Berichterstattung. Das betrifft die Beurteilung der griechischen Regierung als solche, aber natürlich noch viel grundsätzlicher den Blick auf die Eurokrise und die Austeritätspolitik. Praktisch überall herrscht mittlerweile Konsens, dass die Anti-Krisenstrategie mit ihrem Mantra aus Sparen, sogenannten „Strukturreformen“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht funktioniert. Erstens, weil man Strukturreformen genau dann am wenigsten hinbekommt, wenn man gleichzeitig die Konjunktur abwürgt; und zweitens, weil man das Verhältnis Schuldenstand zu Wirtschaftsleistung nicht verbessern kann, wenn man die Wirtschaftsleistung erdrosselt. Austerity doesn’t work, das weiß die ganze Welt. Nur Deutschland nicht.
Man ist hier schon so weit jenseits des globalen wirtschaftswissenschaftlichen und -publizistischen Mainstreams, dass Deutschland wie von einem anderen Stern wirkt. Out of touch mit der Welt und mit der Realität. Der halb reale, halb scheinbare Erfolg der Agenda-2010-Reformen hat in Deutschland ein echtes Einheitsdenken befördert: Dass man alle wirtschaftlichen Probleme lösen könnte, wenn nur alle so „solide“ wirtschaften würden wie die Deutschen. Der Sog der Hegemonie dieses Denkens ist so stark, dass sich heute auch Sozialdemokraten und Grüne nur wenige Zentimeter von diesem Mantra zu entfernen wagen, ein Umstand, der das Einheitsdenken wiederum bestärkt. Die gleiche Dynamik hat man in der Medienwelt, und beide Fel-der sind durch Rückkopplungsschleifen miteinander verbunden. Das Resultat: Deutschland, fast ein einzig Tal der Ahnungslosen. Da ist es schon lustig, wenn der Spiegel Tsipras einen Geisterfahrer nennt. Das erinnert an den Witz von dem Geisterfahrer, der im Radio hört, es gäbe auf der Autobahn einen Geisterfahrer, und angesichts des dichten Gegenverkehrs ausruft: „Einen? Unzählige!“
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