Ein Aufbruch wie 1989

Zukunft der PDS Die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer über Existenzfragen und die Utopie einer PDS-geführten Bundesregierung

FREITAG: Wie gehen Sie damit um, dass es die Friedenspartei PDS nun plötzlich mit einem Friedenskanzler Schröder zu tun hat?
GABI ZIMMER: Zunächst begrüße ich natürlich, dass der Kanzler eine Position einnimmt, von der wir meinen, dass sie dringend geboten ist. Aber es geht nicht nur um die Verhinderung einer deutschen Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak, sondern vor allem darum, dass ein solcher Krieg überhaupt nicht stattfindet. Andererseits stelle ich mir natürlich die Frage, wie glaubwürdig die Positionen von Kanzler und Außenminister sind und wie weit sie sich ernsthaft mit den USA anlegen wollen.

Wie glaubwürdig sind Schröder und Fischer?
Ich wünsche mir, dass es nicht nur vor dem 22. September eine rhetorische Zuspitzung in der Haltung der Regierung gibt, sondern auch der Ausstieg aus dem Bündnisfall der NATO erklärt wird, um jeden Versuch einer Vermischung zwischen dem, was derzeit in Afghanistan stattfindet, und einem Krieg gegen den Irak auszuschließen. Das ist das Mindeste, was zu fordern wäre, wenn die Regierungsposition wirklich glaubwürdig sein soll. Woran ich momentan erst einmal große Zweifel habe.

Mit Blick auf den 22. September könnten nun viele sagen: Wenn ich gegen einen Irak-Krieg bin, kann ich Rot-Grün wählen. Es muss nicht die PDS sein.
Ich begegne anderen Reaktionen. Viele fragen mich: Wie schätzt ihr das ein? Kann man Rot-Grün vertrauen? Welche Garantie gibt es, dass am 23. 9. noch gilt, was bis zum 22. galt? Was könnt ihr dann tun?

Denken Sie, dass Schröders jetzige Position nach der Wahl Bestand hat?
Ich geh nicht davon aus. Zum einen ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass der Kanzler wirklich eine Abkehr von der uneingeschränkten Solidarität mit den USA und der unbedingten Erfüllung von Bündnispflichten innerhalb der NATO vollzogen hat, die bis zuletzt immer vehement verteidigt wurden. Jetzt heißt es: man habe ja schon immer gesagt, es werde keine Beteiligung an Abenteuern geben. Um das zu beweisen, gab es im vergangenen Jahr Chancen genug. Zum anderen bezweifle ich, dass sich Gerhard Schröder wirklich ernsthaft auf einen Konflikt mit den USA einlässt. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass er ausgerechnet im Wahlkampf bereit ist, das Verhältnis mit den USA aufs Spiel zu setzen. Nirgendwo ist die Rede von einer grundlegenden Kurskorrektur deutscher Außenpolitik. Aber das eine gehört ja zum anderen. Drittens ist nicht zu übersehen, dass mehr und mehr Hintertüren geöffnet werden.

Dennoch geben Sie Schröder einen gewissen Vertrauensvorschuss, indem Sie sagen, die PDS könne sich unter bestimmten Bedingungen vorstellen, ihn als Kanzler mit zu wählen.
Wir haben deutlich erklärt: das geschieht nur, wenn durch unser Votum ein Krieg gegen den Irak tatsächlich verhinderbar ist. Wir haben auch gesagt, woran eine Unterstützung für Schröder überhaupt gebunden ist. Und wir haben das alles in den Konjunktiv gestellt, weil eine solche Entscheidung Gerhard Schröder den Mut für einen grundlegenden Politikwechsel abverlangen würde, den er schon 1998 nicht hatte. Wir halten ja an unserer Aussage aus dem Wahlprogramm fest, es wird mit uns keine Unterstützung für die jetzige Politik von Rot-Grün geben.

Was sagen Sie denen, die meinen, man müsse zuerst einmal daran denken, Stoiber zu verhindern?
Denen sagen wir, wenn tatsächlich die PDS für die Wahl von Schröder das Zünglein an der Waage sein sollte und es tatsächlich auf die Stimmen der PDS ankäme, dann könnten wir uns unter den genannten inhaltlichen Prämissen vorstellen, Schröder zu unterstützen. Das nimmt nichts weg von unserer klaren Option: Wir treten für uns an - dafür, dass die PDS als sozialistische Partei gestärkt im neuen Bundestag vertreten ist. Und wir werden alles dafür tun, dass Stoiber nicht der nächste Kanzler wird. Wir sagen klar, wer wirklich Stoiber verhindern und wer Druck von links auf Rot-Grün ausüben will - die letzten vier Jahr haben gezeigt, wie notwendig das ist - muss PDS wählen.

Sie hatten auf der Bundeswahlkonferenz Ihrer Partei im Mai für ein geschärftes Oppositionsprofil plädiert. Haben Sie sich damit im Wahlkampf durchgesetzt?
Von der Grundhaltung der PDS her, ja. Das ist auch mehrheitsfähig. Was darüber hinaus in unseren Debatten eine Rolle spielt, hängt mit dem Selbstverständnis der PDS und der Frage zusammen: Welche Rolle soll sie künftig spielen? Das wird uns über den 22.9. hinaus beschäftigen und spätestens auf dem Bundesparteitag im Oktober zu debattieren sein. Die Alternative lautet: Sieht die PDS ihre Zukunft als eigenständige sozialistische Partei oder denkt sie daran, sich in einer gestärkten Linken mehr an die Sozialdemokratie zu binden. Eine Frage an den Parteitag, die entschieden werden muss.

Eine klare Richtungsentscheidung ...
Im gewissen Sinne schon, obwohl die PDS in den vergangenen Jahren viele Richtungsentscheidungen treffen musste. Sie muss definieren, warum sie eigentlich existiert. Es kann ja nicht um den Selbstanspruch, um das persönliche Interesse von Abgeordneten gehen, im Bundestag vertreten zu sein. Es geht darum, wozu wird diese Partei gebraucht. Wenn klar ist, dass es ohne die Sozialdemokraten, ohne Grüne, ohne außerparlamentarische Bewegungen, ohne die neuen sozialen Bewegungen langfristig keine Veränderungen in der Bundesrepublik geben wird, dann sollte auch klar sein: Man braucht eine eigenständige sozialistische Partei, die dazu beitragen kann, dass es eine entsprechende Mehrheit gibt. Wenn wir uns allerdings darauf einlassen, dass wir eigentlich die besseren Sozialdemokraten seien, dann ist der Gebrauchswert der PDS offenbar für viele zu gering.

Lautet die Frage nicht eher so: linke Reformmehrheit, in die sich die PDS integriert, wie das Gysi und Brie sinngemäß in ihrem Brief an Lafontaine angedeutet haben, oder eigenständiges sozialistisches Profil der PDS ...
Ich sehe diesen Gegensatz nicht, auch nicht bei Gysi und Brie. Eine linke Reformmehrheit wird es ohne eine profilierte sozialistische Partei nicht geben. Gysi und Brie fordern die Linke in Deutschland heraus, miteinander um Lösungen für die drängenden Probleme der Menschen zu ringen. Lösungen, die Schröder schuldig geblieben ist. Lösungen, ohne die es keinen Politikwechsel in Deutschland geben wird. Gregor Gysi und André Brie haben mit ihrem Brief an Oskar Lafontaine noch einmal ein Signal gesetzt, dass die PDS weiter auf diesen Politikwechsel drängt und die Linke eine konkrete Verantwortung hat, mit der Wahl der PDS für den entsprechenden politischen Druck zu sorgen. Ich stehe weder für ein Aufgehen der PDS in der Sozialdemokratie, noch für eine sektiererische PDS, die sich selbst für den Nabel der Welt hält und meint, sie selbst könne revolutionäres Bewusstsein definieren und davon ausgehend die Welt verändern. Wir wollen für Veränderungen im Alltag sorgen und zwar dort, wo wir auch etwas bewegen können. Dazu muss sich die PDS weiter öffnen und bündnisfähiger werden. Die Chance dazu besteht, sie wahrzunehmen, ist in gewisser Weise mit dem Aufbruch von 1989 vergleichbar, als sich die Partei für Erneuerung und Demokratisierung entscheiden musste, um zu überleben. Einen solchen Aufbruch muss es jetzt wieder geben.

Ist für Sie ein Verbleib der PDS im Bundestag eine Frage von existenzieller Dramatik?
Diese Dramatik sehe ich natürlich. Sie besteht immer für eine Partei, die zwischen vier und sieben Prozent schwankt. Wenn ich mich als Partei ausschließlich über den Parlamentarismus definiere, dann ist parlamentarische Präsenz eine existentielle Frage. Aber das hat die PDS in dieser Absolutheit nie getan. Ich teile übrigens auch nicht die Auffassung von einigen wenigen in der Partei, die meinen, die PDS müsse aus dem Bundestag fliegen, um die Chance der Erneuerung zu haben. Das halte ich für völlig unpolitisch. Mit den tatsächlichen Abläufen, unter denen sich politische Kräfte entwickeln, hat das nichts zu tun.

Dass ein Rausschmiss aus dem Bundestag zur Erneuerung gebraucht wird, ist mit Sicherheit ziemlicher Blödsinn ...
... wird aber von dem einen oder anderen vertreten.

Aber ist nicht das Hineingehen in eine Exekutive künftig genauer und kritischer zu erwägen als das in der Vergangenheit der Fall war? Stichwort Berlin. Man ging in die Koalition, muss unpopuläre Entscheidungen mittragen und jetzt damit leben, dass am 22. September das Abschneiden in Berlin für die Gesamtpartei ausschlaggebend sein könnte.
Ich denke, vor der Entscheidung, ob wir in die Opposition oder die Exekutive gehen, muss eine deutlichere Auseinandersetzung darüber stattfinden, was man politisch bewegen kann. Ich bin trotzdem angesichts der Lage in Berlin der Auffassung, dass die Entscheidung richtig war, mit dem Wählervotum im Rücken zu sagen: Wir übernehmen hier Verantwortung in einer Koalition mit der SPD. Ich glaube allerdings, dass so etwas nur funktionieren kann, wenn wir tatsächlich in anderer Art und Weise für Transparenz von Entscheidungen sorgen und die Fähigkeit zum Kooperieren mit anderen außerhalb des Parlaments - außerhalb der Regierung - bewusster entwickeln. Wir müssen damit anders umgehen, als es uns bisher gelungen ist. Das meine ich, wenn ich von einem Lernprozess spreche. Wir müssen nachweisen, dass wir einen anderen Politikstil haben, als er bisher im Berlin der Großen Koalition üblich war. Nur so können wir als PDS erkennbar bleiben. Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, künftig möglicherweise auch in Thüringen oder Sachsen.

Rechnen Sie damit, durch die Flutkatastrophe im Osten Stimmen zu verlieren?
Die Gefahr besteht in einer solchen Situation immer. Ich sehe sie besonders in Sachsen, wo die PDS ja traditionell über viele Wählerinnen und Wähler verfügt, weil viele einfach mit anderen Sorgen konfrontiert sind. Das wird uns schon zu schaffen machen, denn wir brauchen ja in Sachsen oder Brandenburg nicht nur den entsprechenden Prozentanteil für ein gutes Ergebnis - die absoluten Stimmen sind entscheidend. Ich bin optimistisch, denn die Menschen in den Flutgebieten haben die PDS als Partei erlebt, die vor Ort konkret hilft, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Das findet Anerkennung.

Womit rechnen Sie im Westen?
Das wachsende Interesse, das es zuletzt dort gab, könnte prozentual zu einem verdoppelten Stimmenanteil führen. Mir wäre es natürlich am liebsten, es gäbe eine Verdopplung der absoluten Stimmen. Die pure Ablehnung, auf die wir im Westen über viele Jahre gestoßen sind, ist so nicht mehr spürbar. Es sind vor allem grüne oder SPD-Wähler, die sich von ihren einstigen Favoriten getrennt haben und fragen, welche Positionen hat die PDS? Wird man mit ihr die gleiche Erfahrungen machen wie mit den Grünen? Welche Garantien gibt es, dass die PDS nicht den gleichen Weg geht?

Welche gibt es?
Da kann ich nur sagen, dass wir uns selber immer wieder überprüfen und das für andere transparent machen werden. Das liegt allein an uns, doch dazu muss es auch Druck von außen auf die PDS geben.

Sie haben vom Gebrauchswert der PDS gesprochen. Dazu eine utopische Frage, angenommen die PDS erringt in einer Woche 53 Prozent. Was wären die ersten Maßnahmen einer PDS-geführten Bundesregierung?
Auf jeden Fall würde diese Regierung für die Bundesrepublik den noch geltenden Bündnisfall der NATO aufkündigen. Das Zweite wäre die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes und die drastische Reduzierung der Überstunden. Das Dritte wäre, die Voraussetzungen zu schaffen, das die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden kann.

Eine solche Regierung würde nicht Kurs auf sozialistische Verhältnisse nehmen?
Das wäre wohl kaum möglich.

Aber wenn der Souverän so entscheidet?
Eine Insel der Glückseligen in Europa oder weltweit wird es nicht geben, wir wären ja nach wie vor in der NATO und hätte diverse andere Verpflichtungen, Man kann nicht ein System sozusagen über Nacht durch ein anderes System ersetzen. Es ist eben utopisch.

Das Gespräch führten Hans Thie und Lutz Herden

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