Emmanuel Macron profiliert sich mit medialen Selbstdarstellungspirouetten, diplomatischen Theatercoups und seichter Europa-Rhetorik. Zwischendurch lässt er mit Christophe Castaner seinen Regierungssprecher per Akklamation und ohne Gegenkandidaten zum Chef der Bewegung ausrufen. So läuft, was Macron „effiziente Demokratie“ nennt. Fragt man danach, was außer der Arbeitsrechts- und Steuerreform zugunsten der Reichen gewesen ist, stößt man auf genau ein Resultat: Macron hat mit seiner Bewegung En Marche das französische Parteiensystem plattgemacht und den Parti Socialiste (PS) dezimiert, sind doch der Partei nur noch 28 Mandate in der Nationalversammlung geblieben.
Keine Frage, die Sozialisten stecken in einer tiefen Krise – personell, finanziell, politisch. Parteichef Christophe Cambadélis verabschiedete sich am 30. September in den Ruhestand, aber Name und Funktion waren auf der Website der Partei noch Mitte November zu lesen. Unter den auf die Hälfte reduzierten Mitarbeitern in der Parteizentrale hatte offenbar niemand Zeit, das zu korrigieren. Dazu passt, dass die Parteizentrale an der Rue de Solférino veräußert werden muss, damit der PS solvent bleibt. Ein Verkauf der herrschaftlichen Villa mit 3.000 Quadratmetern Bürofläche im 7. Pariser Arrondissement soll die tote Partei durch einen Erlös von 50 Millionen Euro wiederbeleben.
Krisen gehören zur Geschichte der französischen Sozialisten. Für die Section Française de l’Internationale Ouvrière (SFIO), die von 1905 bis 1969 existierte und seither unter dem Namen PS firmiert, gewann Gaston Defferre bei den Präsidentenwahlen 1969 ganze 5,01 Prozent. Ab 1972 führte François Mitterrand den PS, begann buchstäblich bei null und bescherte der Partei 1981 die Präsidentschaft ebenso wie 2012 François Hollande.
Aber nach der Totalniederlage gegen den Businesspräsidenten Macron Anfang Mai steht es für die Partei schlechter denn je. Es fehlt die Führungsfigur vom Format eines Mitterrand, programmatisch und strategisch gleicht der PS einem ausgetrockneten Brunnen. Christophe Cambadélis hatte sich mit dem frommen Wunsch verabschiedet, die „Linke von morgen“ möge auf dem für Februar vorgesehenen Parteitag einen Weg finden jenseits der „passiven Hinnahme der Globalisierung und des kurzatmigen Widerstands“ dagegen. Ob das gelingt, bleibt eine offene Frage und wird selbst in linksliberalen Medien bezweifelt. Viele befürchten Zustände wie in Italien, wo Linksparteien nur noch ein marginales Dasein fristen.
Benoît Hamon, letzter PS-Präsidentenbewerber, sucht sein Glück mit der Bewegung Mouvement du 1er Juillet und Anhänger unter Kommunisten, Grünen wie den Linkssozialisten von Jean-Luc Mélenchon. Seine Selbstaussage, wonach außer 30.000 Mitgliedern bereits 500 lokale Gruppen existieren, sind nicht überprüfbar. Wie schon im Wahlkampf mit der Forderung nach dem garantierten Grundeinkommen bringt Hamon zumindest neue Ideen für eine sozialistische und ökologische Perspektive in die Debatte. Für ihn steht fest: „Die Epoche der europäischen Sozialdemokratie ist zu Ende.“ 28 sozialistische Politiker, mehrheitlich Abgeordnete und Bürgermeister, bilden eine kollektive Parteiführung mit Senator Rachid Temal als Primus inter Pares. Dieses Gremium, das für die Öffentlichkeit unsichtbar ist, bereitet den Parteitag vor und nimmt Wortmeldungen wie jüngst von François Hollande zur Kenntnis, der vorschlug, eine neue Generation müsse „die Verantwortung in der Partei übernehmen“, etwa sein einstiger Agrarminister Stéphane Le Foll und Olivier Faure, Gründer der „Neuen Linken“ in der Nationalversammlung.
Als Aspiranten für ein Parteiamt bringen sich auch Ex-Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem und Ex-Innenminister Matthias Fekl ins Gespräch. Unter denen, die es mit der Erneuerung der Partei ernst meinen, haben diese beiden Zöglinge Hollandes allerdings so gut wie keine Anhänger. Nicht weniger als drei Frauen – Ex-Staatssekretärin Carole Delga, dazu Johanna Rolland und Nathalie Appéré, beide Bürgermeisterinnen – kämpfen gegen den Nachteil, dass sie überregional kaum bekannt sind sowie gegen den Makel, im Präsidentschaftswahlkampf Hamon unterstützt zu haben, der jetzt eigene Wege geht. Ein Ausweg aus der Krise, in der sich die französischen Sozialisten befinden, ist nicht in Sicht.
Kommentare 3
Das ist unlogisch. Nicht Emmanuel Macron hat den Parti Socialiste "plattgemacht". Wenn man das an einer Person festmachen wollte, müsste man auf François Hollande zeigen.
Selbst das wäre aber unterkomplex. Die sozialdemokratischen Parteien in West-, Zentral- und Südeuropa haben keinen Weg gefunden, Politik zu betreiben, die den Interessen ihrer Wählerschaft diente. Sie gehen daran zugrunde. Frankreich ist dabei nur ein extremes Beispiel. Die SPD läuft Gefahr, genauso zu enden.
Die Personalprobleme im Parti Socialiste wie in der SPD sind nur ein Symptom der inkohärenten Politik und inneren Zerrissenheit dieser Parteien und diese sind wiederum nur ein Symptom der eigentlichen Krankheit. Die eigentliche Krankheit der Sozialdemokratien ist, dass sie zween Herren dienen wollen. Sie sind eng mit den neoliberal denkenden Spitzen grosser Unternehmen verflochten. Es gibt sogar organisierte Netzwerke innerhalb der Parteien, in der SPD den Seeheimer Kreis, die solches Denken vertreten. Das ist mit den Interessen der Wähler dieser Parteien schlichtweg inkompatibel. Auf die Dauer bemerken das halt selbst die etwas langsamer denkenden Wähler.
wo sozial drauf stehauf der Verpackung , aber nichts drin ist wird nicht wieder gekauft .
Wie Herr Jeschke bereits trefflich feststellte, ist die "Schuld" Macrons am Niedergang der PS und anderer linker Gruppierungen, eher eine politisch- psychologische Projektion. Noch nachträglich, wird jede Verantwortung für das eigene Handeln geleugnet.
Es liegt nun schon Jahre zurück, da hatte ich mir viel Mühe gemacht, das Wahlprogramm der PS für die Präsidentschaft Hollandes zu analysieren und in der dFC vorzustellen.
Es war rundheraus fortschrittlich (Frauenpolitik, Gender, Gefängnis- und Strafrechtsreform, Entwicklung der Überseedépartements des Hexagon, Partnerschaft mit dem Maghreb, Regionalförderung, wie einst unter Mittrerand und umfassende EU- Politik, Struktur- und Bildungsförderung in den sozialen Brennpunkten, den Banlieus) und viel sozialer orientiert, als jener "dritte Weg", den Schröder, Müntefering, Clement und Co. in Deutschland einschlugen, den Angela Merkel dann tatsächlich nur fortsetzte, egal mit wem an der Seite; den Blair und Brown in GB vorexerzierten und damit die Tories an die Macht brachten.
Hollande hatte, angesichts der Folgen der Wirtschaftskrise (Staatsschuld) und unter Druck der stärksten EU- Nachbarn (Deutschland und GB, Niederlande und der EU- Kommission, finanzpolitisch streng neoliberal), bald keinen Mut mehr, bei seinen Wahlversprechen zu bleiben. - Das besiegelte den Niedergang der PS.
Ob nun Jean-Luc Mélenchon und France insoumise das politische Vakuum nach dem Zerfall der PS-Linken ausfüllen, bleibt abzuwarten. Zumindest intellektuell, haben sie deutliche Vorteile. Nur nutzt die Brillianz in Theorie und Kultur wenig, wenn man für die Praxis des Alltags der Franzosen so wenig Angebote hat und es einfach nicht für mehr als 20% Glaubwürdigkeit bei Wahlen reicht?
Macron hat zumindest Visionen und er konnte nun geschickt einige symbolische Erfolge sammeln. Es geht auch schnell, bei seiner Regierung. Das ist wichtig, in der politisch- medialen Öffentlichkeit Frankreichs. Gerade aktuell zum Beispiel, in der Frage der Strafbarkeit sexueller Übergriffe. Davor schon, in seinem außenpolitischen Coup, den libanesischen MP einzuladen und damit unter Umständen einen Bürgerkrieg mit verhindert zu haben, der ja weiterhin im Libanon droht.
Die EU- Politik Macrons ist völlig entschieden und klar. Der einfache Grundsatz, der doch auch bei jeder nationalen oder regionalen Politik gilt: Wer kein Budget hat, der hat auch nichts zu sagen und kann nicht entscheidend in Strukturen eingreifen. Mit derzeit ca. 180 Mrd. Euro EU- Haushalt pro Jahr, kann man nicht wirken, neben den 7500 Mrd. öffentlicher Haushalte der EU- Mitgliedstaaten. Zudem will er das EU- Parlament aufwerten.
Was allerdings für fast alle politischen Führungskräfte in Frankreich gilt (Ausnahme FN), wovon man realpolitisch oft zu wenig merkt: Sie sind meist besser und vielfältiger gebildet, als ihre deutschen Partner. - Das kann man nun wieder in zwei Richtungen deuten....
Beste Grüße
Christoph Leusch