Es wäre vermessen zu behaupten, Pornos hätten die VHS-Kassette groß gemacht. Geholfen haben die unzüchtigen Filme allerdings gewiss. Bevor die Firma "JVC" das System 1976 zunächst auf den japanischen Markt brachte, waren Pornofilme immer auch eine öffentliche Angelegenheit gewesen: Wer zusehen wollte, musste sich aufmachen, ins Kino gehen, um dort mit anderen zu betrachten, was er zuhause nicht bekommen konnte.
Die VHS-Kassette nun trug das Versprechen der Privatheit schon im Namen: Das "Video Home System" minimierte die Gefahr, in der Kassenschlange entdeckt zu werden. Vor allem aber verhieß ein Heim-Videorekorder die Rückkehr der Lust in die Intimität des Wohnzimmers. Man muss dies bedenken, wenn man sich die Frage stellt, welcher innere Antrieb stark genug sein könnte, um Konsumenten ein neues Medienformat akzeptieren, also: kaufen zu lassen - besonders, wenn ein Rekorder wie damals umgerechnet mehrere tausend und eine Kassette etwa 25 Euro kostet.
Sicher, die Pornoindustrie allein kann den Siegeszug der VHS-Kassette nicht erklären. Schließlich hatte Sony mit "Betamax" und auch Grundig/Phillips Konkurrenzsysteme entwickelt, die elektro- wie lusttechnisch VHS mindestens ebenbürtig war. Dass VHS den so genannten Formatkrieg in den frühen 80er Jahren gewann, hat wohl ebenso mit geschicktem Marketing wie der Dussligkeit der Konkurrenz zu tun. Grundig und Philipps brachten immer neue Kassettenformate auf den Markt, ohne darauf zu achten, dass auch die neuen Kassetten auf älteren Rekordern funktionierten. Sony wiederum gab Lizenzen an andere Betamax-Hersteller nur so zögerlich heraus, dass die VHS-Kassette sich schnell weit verbreitete.
Vielleicht aber liefern Pornos eine Erklärung dafür, warum VHS erst Ende der 90er ernsthafte Konkurrenz bekam, obwohl schon zuvor technisch bessere und kompaktere Kassettenformate auf den Markt gekommen waren. So scheint der Vorteil von digitalem Video nicht in erster Linie in der besseren Qualität der Bilder zu liegen, sondern eher in deren leichteren Verfügbarkeit. Nicht allein, dass eine DVD so klein ist, dass sie in einem Heim-Computer abgespielt werden kann (der üblicherweise außerhalb des von der Familie kontrollierten Wohnzimmer steht). Erst das digitale Videoformat ermöglichte, fürs Abspielen komplett auf ein Speichermedium - und damit den Besuch in der Videothek - zu verzichten. Der Lifestream machte den Empfang pornographischer Inhalte zu einer nach außen ebenso unsichtbaren und wie lautlosen Angelegenheit.
Einige Jahre noch hat die VHS dem Angriff von dieser Seite standgehalten. In dieser Woche gab der letzte Hersteller von VHS-Kassetten, die US-amerikanische Distribution Video Audio Inc., bekannt, dass er die Produktion zum Jahresende einstellen werde.
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