In mehreren Schichten lag im Herbst 1989 die Asche der Bevormundung auf den Programmen des DDR-Fernsehens (DDR-F) in Berlin-Adlershof. Nach einem Höhenflug des Deutschen Fernsehfunks (DFF/*) während der späten fünfziger Jahre, als fast alle Sendungen live ausgestrahlt werden mussten und zentralistisch nicht zu kontrollieren waren, hatte sich ab 1962/63 eine dichte Ascheschicht über die Arbeit des DFF gelegt. In den achtziger Jahren gingen die Eingriffe durch das SED-Zentralkomitee schließlich soweit, dass Sendevorhaben, die als besonders wichtig galten, unter "Parteikontrolle" standen. Beiträge des zeitkritischen Magazins PRISMA fielen oft in letzter Minute der Zensur zum Opfer. Um die Aufsicht lückenlos ausüben zu kön
ausüben zu können, wurde im Juni 1984 eine spezielle SED-Kreisleitung innerhalb des DDR-Fernsehens gebildet, die dem Sekretariat des SED-Zentralkomitees direkt unterstellt war. Bis zum Ende seines Wirkens behielt es sich das für die Medien zuständige Politbüro-Mitglied Joachim Herrmann vor, die Beiträge der Nachrichtensendung Aktuelle Kamera, deren Abfolge und selbst die Texte zu redigieren.Diese Praxis überdauerte die Öffnung des "Eisernen Vorhangs" am 27. Juni 1989 an der ungarisch-österreichischen Grenze, auch noch den 3. Oktober, als ein Sonderzug mit ausreisewilligen DDR-Bürgern aus der Prager BRD-Botschaft durch Sachsen rollte. Ein Reporterteam des DDR-Fernsehens hielt die harte Konfrontation zwischen der Volkspolizei und ebenfalls ihre Ausreise fordernden Bürgern am Dresdener Hauptbahnhof mit der Kamera fest - doch die Leitung in Adlershof entschied: das Bildmaterial wird nicht ausgestrahlt. Kurz darauf endete der 40. Jahrestag der DDR im Zentrum Berlins mit heftigen Attacken technisch hochgerüsteter Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende, die mit dem Ruf auf der Straße waren: "Wir sind das Volk!" Die Aktuelle Kamera durfte auch darüber nicht informieren. Erst über den friedlichen Verlauf der bis dahin größten Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober wurde am folgenden Tag ein knapper Bericht ausgestrahlt. Den wirklichen Ausbruch der DDR-Medien aus der Enge von Dogmen und Demut ermöglichte jedoch erst der 18. Oktober, als auf einer Tagung des SED-Zentralkomitees Erich Honecker, Günter Mittag und Joachim Herrmann zurücktreten mussten.Als ob eine Bleilast von einem überhitzten Druckkessel genommen worden wäre, explodierte danach die journalistische Tatkraft. Innerhalb weniger Wochen verwandelte sich die Aktuelle Kamera von einem Instrument der Hofberichterstattung zu einer brisanten Nachrichtensendung mit einer Einschaltquote von mehr als 40 Prozent. Viele publizistische Formate des DDR-F wie das erst im September gestartete Jugendmagazin ELF99 fanden zu einem investigativen Journalismus, der mehrheitlich auf ein brennendes Interesse der Zuschauer stieß und in gelegentlich voyeuristischer Manier mit überkommenen Tabus brach. ELF99-Reporter"ermittelten", was sich hinter bisher streng abgeschirmten Orten verbarg - von der Urlaubsinsel Vilm in der Ostsee bis zur "Waldsiedlung" der SED-Prominenz in Wandlitz.Die wiedergewonnene Freiheit, in Live-Sendungen mit den Zuschauern in einen offenen Dialog zu treten, löste bereits am 19. Oktober - 24 Stunden nach der Demission Erich Honeckers - eine Flut von Telefonanrufen aus. 50.000 Anrufer an einem Fernsehabend schienen ein Indiz dafür, dass der Damm der Entfremdung zwischen Ost-Fernsehen und Bevölkerung zu brechen begann. Am Vorabend der von Berliner Künstlern organisierten Demonstration für Presse- und Meinungsfreiheit am 4. November bat die SED-Kreisleitung des Fernsehens die Zuschauer und die vom Dirigismus betroffenen Mitarbeiter des Senders um Entschuldigung. Als die Abschlusskundgebung auf dem Alexanderplatz vollständig und live via DDR-F übertragen wurde, hatte die "Medien-Wende" eine Eigendynamik erreicht, die sich nicht mehr aufhalten ließ. Kurz danach trat der ansonsten ausgesprochen krisenresistente Fernsehchef Heinz Adameck samt der ihn flankierenden SED-Kreisleitung Fernsehen zurück - die Asche der Bevormundung schien vorerst verflogen.Hans Bentzien - cleverer Werbevertrag mit der Pariser Firma IPDer am 1. Dezember 1989 als neuer Generalintendant berufene, zuvor oft zurückgesetzte Ex-Kulturminister Hans Bentzien sah - besonders nach dem Mauerfall - seine Mission vorzugsweise darin, das DDR-Fernsehen aus einem staatlichen Institut in eine öffentlich-rechtliche Anstalt in einer mutmaßlich früher oder später gesamtdeutschen Medienlandschaft zu überführen. In den Künstlerverbänden der DDR hatten sich derweil Reformer soweit durchgesetzt, dass sie als Reaktion auf eine zunehmend der D-Mark nachjagenden Entwicklung den "Schutzverbund Künstler der DDR" gründeten. Der drängte darauf, in die im April 1990 beginnenden Verhandlungen zum ersten Staatsvertrag über eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unbedingt das Thema "Kulturunion" einzubeziehen. Auch viele Fernsehautoren im Westen sahen darin eine Chance. Sie forderten ihre DDR-Kollegen auf, bei den laufenden Verhandlungen das als vorbildlich empfundene Urhebervertragsrecht der DDR in einem neuen gesamtdeutschen Rechtssystem zu verankern.Anfang Februar 1990 hatte die DDR-Volkskammer in ihrem "Medienbeschluss" den Status von Funk und Fernsehen als "unabhängige öffentliche Einrichtungen" definiert und einen Medienkontrollrat gefordert. Acht Tage später unterzeichnete Generalintendant Bentzien in Wien den Vertrag über die Teilnahme des DDR-F am 3sat-Satellitenprogramm. Kurz darauf nahm der Sender wieder seinen altbewährten Namen "Deutscher Fernsehfunk" an und startete neue Sendungen wie das Kabarettprogramm Der Scharfe Kanal oder die Reihe Nachdenken über Deutschland mit Prominenten aus Ost und West. Außerdem bot der Kanal dem renommierten Gesprächsporträt Zur Person mit Günter Gaus ein neues Domizil.Als nach der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 in der Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten Lothar de Maizière (CDU) von einem längeren Weg zur deutschen Einheit die Rede war, hielt es Hans Bentzien für logisch, dass der DFF als öffentlich-rechtliche Anstalt mit einem dritten, bundesweit zu empfangenden Vollprogramm diesen Weg begleiten würde. Der DFF- Generalintendant hatte allerdings bei der CDU- und SPD-Ost für erheblichen Unmut gesorgt, als er Ende März 1990 nicht mit den bei ARD und ZDF tätigen Werbeunternehmen, sondern mit der Pariser Firma IP (Information et Publicité) einen bis Ende 1991 laufenden Werbevertrag abschloss.Während der Medienkontrollrat das vom DFF entworfene Statut beriet und der DGB-Kongress in Hamburg ebenso für den Erhalt des DFF votierte wie bei einer INFAS-Umfrage 88,1 Prozent der Noch-DDR-Bürger, wurde Bentzien zum 31. Mai 1990 jäh abberufen. Da im Kabinett de Maizière der Medienminister Gottfried Müller der CDU und dessen Staatssekretär Becker der SPD angehörten, sollte dem Druck der FDP folgend das ehemalige Mitglied der DDR-Blockpartei NDPD (**), Gero Hammer, Generalintendant für Funk und Fernsehen werden - doch legte der Medienkontrollrat sein Veto ein, so dass Müller den abberufenen Bentzien schließlich bitten musste, die Amtsgeschäfte solange zu führen, bis eine andere Personallösung gefunden sei.Parallel dazu arbeitete seit Mai 1990 eine Gesetzgebungskommission aus Fachleuten an der Formulierung eines "Rundfunküberleitungsgesetzes", das Fernsehen und Hörfunk der DDR die Konversion in einen öffentlich-rechtlichen Status ermöglichen sollte. Anfang Juli sickerte dank einer gezielten Indiskretion durch, die CDU-Ost wolle ausscheren und plane, einen eigenen Entwurf in die Volkskammer einzubringen. Als ein Vertreter der düpierten Kommission daraufhin meinte, die SPD-Fraktion warnen zu müssen, wurde ihm im Auftrag Wolfgang Thierses mitgeteilt, Grund zur Sorge gebe es nicht, man habe gleichfalls einen eigenen Gesetzesentwurf in der Schublade. Kein Wunder, dass der Kreis engagierter Fachleute über eine nur vorgetäuschte Demokratie frustriert war. Gleichfalls im Mai 1990 hatte der Bundesfachausschuss Medienpolitik der CDU-West unter Bernd Neumann Konturen einer gesamtdeutschen Medienlandschaft entworfen und den DFF als "Altlast des SED-Regimes" bezeichnet, die es zu entsorgen gelte. Dabei war auch von Belang, dass im Falle einer Liquidation der Anstalt in Adlershof Liegenschaften des DFF im Wert von 1,5 Milliarden D-Mark zu übernehmen waren, und die Rundfunkgebühren der DDR-Bürger weitere 1,5 Milliarden D-Mark erwarten ließen, die nicht länger als nötig mit dem ungeliebten Ostfernsehen geteilt werden sollten.Rudolf Mühlfenzl - zart mit den Blumen im eigenen GartenDer noch von Hans Bentzien als Intendant des 1. DFF-Programms eingesetzte Kameramann Michael Albrecht sah sich im Juli 1990 - unter dem Eindruck der überfallartig beschleunigten Vereinigung - von Medienminister Müller mit der Verantwortung für den gesamten Sender betraut. Nach einer ersten Kündigungswelle Ende 1989 hatte er nun eine zweite zu verordnen. Das Personal wurde von rund 7.000 Mitarbeitern auf 4.700 reduziert. Intendanz und Personalrat erarbeiteten Vorschläge für einen neuen Programmauftrag, doch alle Hoffnungen, wenigstens Teile des DFF als Dienstleistungsbetrieb zu erhalten, wurden durch ein Generalverdikt Helmut Kohls zunichte gemacht. Die Regierung de Maizière unterwarf sich dessen Willen zur Zerschlagung von Hörfunk und Fernsehen der DDR, wie es schließlich dem Artikel 36 des Einigungsvertrages zu entnehmen war. Dass der Deutsche Fernsehfunk in Berlin-Adlershof die untergegangene DDR dennoch um 15 Monate überlebte, war kein Geschenk an die Belegschaft, sondern dem erwähnten Werbevertrag mit IP Paris zu verdanken. Dessen Laufzeit (bis 31. Dezember 1991) vorfristig zu beenden, hätte eine Konventionalstrafe von bis zu 250 Millionen D-Mark heraufbeschworen.Eine letzte Chance, diese Galgenfrist zu Gunsten hocheffektiver Produktionsbereiche wie Kinderfernsehen, Unterhaltung, Publizistik und Fernsehdramatik zu nutzen, hätte im September 1990 in der Wahl eines weitblickenden Rundfunkbeauftragten durch die kurz vor ihrer Selbstauflösung stehende Volkskammer bestanden, doch gerade dieser Teil des Artikels 36 erwies sich als Schimäre. Kanzler Kohl hatte längst seine Wahl getroffen, und so bestimmten unmittelbar nach dem 3. Oktober 1990 so genannte "Beauftragte der neuen Bundesländer" als Exekutor den rabiaten Bayern Rudolf Mühlfenzl (CSU) zum Rundfunkbeauftragten, dem der Ruf vorausging, zart gehe dieser Mann nur mit den Blumen in seinem Garten um. Mit sichtbarer Genugtuung stieß Mühlfenzl den DFF in die Asche staatlicher Bevormundung zurück. Seine Erlass-Demokratie per Dienstanweisung ist schnell bilanziert: Anfang Dezember 1990 übergab er dem ZDF eine ursprünglich für DFF-Regionalprogramme reservierte Sendefrequenz im Osten. Ab 15. Dezember 1990 folgte die ARD und belegte mit ihrem Gesamtprogramm die Sendeschiene, die bis dahin dem 1. Programm des DFF vorbehalten war. Nur auf den schwächeren UHF-Sendern des vom DFF ausgestrahlten 2. Programms durfte noch bis zum 31. Dezember 1991 die sogenannte "DFF-Länderkette" die Endlichkeit ihres Daseins auskosten. Dann gingen auf diesen letzten DFF-Frequenzen die neuen ARD-Anstalten MDR und ORB auf Sendung - am 31. Dezember 1991 erloschen in Adlershof für immer die Lichter. Nach 39 Jahren und zehn Tagen war auch das Ostfernsehen nur noch eine "Fußnote der Geschichte".(*) Offizieller Sendestart der zunächst als Fernsehzentrum Berlin, später als Deutscher Fernsehfunk firmierenden DDR-Fernsehanstalt war am 21. Dezember 1952.(**) Nationaldemokratische Partei DeutschlandsDer Autor arbeitet als Dramaturg und Schriftsteller, von ihm sind u.a. erschienen: Blaues Wunder aus Adlershof, Das Neue Berlin 2000 / Gelobt sei, was hart macht, Nora-Verlag Berlin 2002, s. www.archiv-muencheberg.de
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.