Ein bekennender Optimist

Nachruf Peter Voigt war einst der jüngste Brecht-Schüler und später ein herausragender Dokumentarfilmemacher
Ausgabe 14/2015

Ein Satz, der am Ende eines Lebens merkwürdig klingen mag, den man aber nicht über jeden sagen kann: Peter Voigt war der jüngste Brecht-Schüler. Bereits mit 20 Jahren kam er ans Berliner Ensemble, nebenbei durfte er als Einziger der Palitzschs, Bessons, Monks Brechts Bibliothek im Wohnhaus in der Chausseestraße 125 betreuen, zu der das wohlgehütete Manuskript-Archiv und grafische Arbeiten gehörten. Dieser „Heilige Gral“ des Meisters wurde zur unerschöpflichen Fundgrube für den späteren Filmemacher Voigt, der zuerst Benno Besson und Peter Palitzsch assistierte. Die Sommer verbrachte Voigt auf Einladung von Helene Weigel in Buckow, er gehörte quasi zur Familie, weswegen er dem BE zeitlebens die Treue hielt, ohne je wieder dort zu arbeiten.

Sein Weg führte ihn, inspiriert von den meisterlichen Arbeiten von Jiří Trnka, 1959 nach Dresden – als Regisseur ins DEFA-Studio für Trickfilme. Nach zwei Jahren zog es den Aktivisten der Ostberliner Boheme zurück in die Hauptstadt zu seiner Frau, eine der schönsten und klügsten ihrer Zeit, der Journalistin Jutta Voigt.

Nach Jahren als freier Filmemacher begann Peter Voigt 1969, als Autor und Regisseur im Studio H & S zu arbeiten. Mit Scheumann & Heynowski, die im Westen getarnt Filme über den bösen Kapitalismus realisierten, hatte Voigt nur den Arbeitsplatz gemein. Sein Interesse galt der deutschen Vergangenheit, vor allem der Nazizeit, die er als Kind noch erlebt hatte. Zu den herausragenden Arbeiten dieser Zeit gehören Martha Lehmann, Friedrich Flick: Das Trauerspiel, Konsequenz, Stehend auf Gäulen – Der Anarchist Erich Mühsam, Schlachtfelder und Stein schleift Schere, die bis 1987 entstanden.

Gemeinsam mit dem Fotografen Arno Fischer entwickelte Voigt das Konzept für die vier Stelen am Marx-Engels-Monument, das eine kryptische Hängung (den auf Lochstreifen angeordneten Marx-Satz „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“) von Fotos aus der Geschichte der Arbeiterbewegungen als Lasernegative in Edelstahl konservierte für den Fall, dass ein Atomkrieg die Erde vernichtete. Nach dem Ende der DDR ließ der bekennende Kommunist und Optimist Voigt sich nicht entmutigen und drehte einige seiner wichtigsten Filme: Wieland Förster – Protokoll einer Gefangenschaft und Dämmerung – Ostberliner Bohème der 50er Jahre. Metanoia – Berichte deutscher Männer war eine Fortführung der Knabenjahre von 1989, in der die Erinnerung an die NS-Zeit nicht nur aus Perspektive von Opfern vollzogen wird.

Eine ungewöhnliche Arbeit war Wofür starb Dirk Boonstra von 1990. Darin wird ohne Achivmaterial, allein in nahezu unbeweglichen Landschaftsbildern eine ungeheure Geschichte erzählt: Als die Nazis in Holland einfielen und die dortigen Juden registrieren ließen, übertrugen sie diese schmutzige Aufgabe der örtlichen Polizei. Einer von 10.000 Beamten, der erzkonservative Dorfpolizist Boonstra, weigerte sich mit den Worten: „Die haben doch nichts getan, und unschuldige Bürger verhafte ich nicht.“ Boonstra kam daraufhin ins KZ Herzogenbusch und starb dort 1944 mit nur 24 Jahren. Voigt setzte ihm ein filmisches Denkmal.

Ende der 90er Jahre wurde es für den eigenwilligen Filmemacher, der viel Energie auf seine Off-Kommentare verwandte, schwieriger, Geld von Fernsehsendern für seine Arbeiten zu bekommen. Trotzdem drehte er weiter, saß monatelang im Brecht-Archiv, studierte Randnotizen und übertrug sie auf Film. So entstanden fast ohne finanzielle Mittel schöne Bilderzählungen wie Ich bin Busch (2000) oder Bertolt Brecht – Bild und Modell (2006).

Am 12. März ist Peter Voigt im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben.

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