Die bürgerliche Gesellschaft in der vergangenen Phase der mehr oder weniger sozialen Marktwirtschaft war durch die Organisation von gesellschaftlichen und staatlichen Funktionsbereichen geordnet: Politik, Ökonomie, Kultur, Religion, Wissenschaft, Medizin, Militär, Erziehung. Die Menschen bewegten sich in verschiedenen Zonen: Arbeit, Freizeit, Information, Familie, Sport, Medien, Mode. Der Neoliberalismus ist, unter vielem anderen, durch das gekennzeichnet, was Joseph Vogl die Zonen der politisch-ökonomischen Indifferenz genannt hat. Instrumente von Macht und Management, in denen die Interessen von Regierungen und Wirtschaft untrennbar und unerkennbar verknüpft sind. Beispiele wären die EZB, TTIP-Verhandlungen, „Behavioral Insight Units“ als verhaltensökonomisch orientierte Instrumente „effizienten Regierens“, Expertengremien und vieles mehr.
Und auch bei uns hier unten, in Arbeit, Pop und Alltag, breiten sich Zonen entsprechender Indifferenz aus. Erfolg hat auf dem Markt der Waren und Dienstleistungen, wer solche Lebenswelten aus Zeichen und Verknüpfungen errichten kann, eine Indifferenzzone zwischen Alltag, Kultur, Politik, Religion, Arbeit und Mode. Dabei geht es um mehr als nur um die Assoziation eines „Lifestyle“ oder das Besetzen von Marktsegmenten.
Die erste Arbeitsphase eines Konzerns zur Herstellung einer eigenen Indifferenzzone — nach der Akkumulation von genügend Kapital für solche Unternehmungen – besteht in der Verbreitung des Markenzeichens als Symbol für einen Lebensstil. Red Bull soll für einen hyperaktiven, sport- und technik-affinen, fundamental postpolitischen und subjektiven Lebensstil stehen, der Erfolg und Spektakel per se zum Ziel macht. Es geht darum, die Arena, in der man gewinnen soll, gleichsam selbst zu definieren. Red Bull heißt, das Leben als endlose Party mit endlosen Superwettbewerben in einem endlosen Freizeitleistungspark zu verstehen.
„Onboarding“ in Fuschl
Hat die Marke einen solche Botschaft etabliert, folgt Phase zwei, in der das eigentliche Produkt – die aus dem asiatischen Raum importierte Brause – der geringste Kostenfaktor ist. Unnütz zu sagen, dass es hier ein absurdes Verhältnis zwischen Herstellung und Verkauf gibt, nämlich eine Bruttomarge von 70 Prozent (Gewinn) zu 30 Prozent (Herstellung). Die eigentliche Produktion wird in gewisser Weise „outgesourct“ (dieses Abfüllgeschäft ist nun reine Routine) und die Konzern-Energie in Marketing, Sponsoring und Image-Kampagnen gesteckt. Bei Red Bull geht das einen entscheidenden Schritt weiter: Aus dem, was ursprünglich Marketing, Merchandising, Franchise, also vieles zwischen Werbung und Verwertung war, wird das eigentliche Geschäftsmodell.
Red Bull besetzt nach und nach Nischen-, Trend- und Massensportarten; vom Papierfliegerwettbewerb zur Spitzen-Fußballmannschaft; man unterhält eine eigene „Musik-Akademie“ und ein eigenes Plattenlabel, eine eigene Zeitschrift und einen eigenen Verlag – mit dem gleichermaßen alles und nichts sagenden Namen Ecowin. Seit 2012 ist Red Bull mit 50 Prozent an Österreichs größtem privaten Wetterdienst Ubimet beteiligt, dessen Emanationen wiederum prominenten Platz in den Medien des Konzerns finden. Man hat TV-Sender, einen Mobilfunkanbieter; zu den von Red Bull geführten Veranstaltungsreihen gehören die Red Bull Flugtage oder das Red Bull Soapbox Race. Der Unterschied zu einer Marke wie Coca Cola, die sozusagen überall „dabei“ sein will, wo Events hip und successful werden, einschließlich des einigermaßen sicher wiederkehrenden Weihnachtsfests, liegt darin, dass Red Bull nicht nur dabei ist. Das Event gehört Red Bull. Und darin steckt die Hoffnung, die Bedohung, die fatale Dynamik, wie man es nimmt: Red Bull gehört immer mehr von unserer schönen, indifferenten Welt.
Übrigens wird die Aggressivität solcher Übernahmen nie verborgen. Denn zum Geschäftsmodell des Kultur-Sport-Event-Produktunternehmens gehören drei weitere Eigenschaften. Allen voran die charismatische Mittelpunktfigur. Sie mag messianische Züge aufweisen wie Steve Jobs, kann als mysteriöses Familiendrama wie bei Brüdern (Lidl, Puma und Adidas) inszeniert sein oder, wie beim Red-Bull-Gründer, dem Österreicher Dietrich Mateschitz, in einer populistisch-brutalgemütlichen Variante. Die Indifferenzunternehmen haben zugleich Züge des anonymen Superkonzerns und solche des dramatischen Familienunternehmens. Sie werden autokratisch, in aller Regel antigewerkschaftlich und clever vernetzt geführt.
Diese Unternehmen, das macht einen Teil ihrer Macht aus, werden in der Öffentlichkeit als Ausnahmen wahrgenommen. Die charismatische Mittelpunktfigur und die Ausweitung der Indifferenzzone in die verschiedensten Lebensbereiche erlauben es ihnen, sich gewisser Spielregeln des demokratischen Kapitalismus zu entledigen.
Ein drittes Element scheint in einem magischen Ort zu bestehen, der mehr ist als ein großer Showroom: Natürlich ist Disneyland das unerreichbare Vorbild; aber auch die Zentrale von Red Bull in Fuschl am See als „Red-Bull Headquarters“ ist ein futuristischer Erlebnispark, wo in durchaus tempelhaften Gebäuden die Mitarbeiter beim „Onboarding“ auf die Linie des Hauses eingeschworen werden.
„Redbullisierung“ wird seit geraumer Zeit von einem konservativen wie kritischen Segment in der Kultur, im Sport und im Pop als Bedrohung für „alte Werte“, aber auch für ein Prinzip der Unabhängigkeit angesehen. Aber eben diese Fähigkeit, immer weitere Bereiche des Lebens zu übernehmen, Nachrichten wie die, dass 800 Spitzensportler Red Bull „gehören“, beflügeln die wahren Adepten nicht minder als zeitweilige Verbote von Red-Bull-Cola wegen der möglichen Kokain-Grenzwertüberschreitung. Eine Abfolge von Gewöhnung und Skandalisierung soll das Prinzip von Boom und Krise ablösen.
Kultursportkonsummode-Indifferenzunternehmen werden in absehbarer Zeit das Geschehen auf dem Freizeit- und Sinnmarkt beherrschen. Sie sind letztlich immer auch Metaphern der Auflösung von Politik in Ökonomie. Sie sind populistisch insofern sie ihre Kunden immer zu Mitproduzenten, zu Prosumern machen, und sie sind antidemokratisch, insofern sie Organisation und Transparenz für ihre „Mitarbeiter“ verweigern. Und sie erzeugen Konsum als Ideologie und Ideologie als Konsum. Getrunken wird Red Bull aber auch immer noch. Genauer gesagt: sechs Milliarden Dosen im Jahr 2015.
Kommentare 7
nachdem der glaube an transzendenz geschwächt ist,
versagungs-erduldung nicht mehr so hoch im kurs,
ist industrielle besetzung von phantasie ein massen-markt geworden.
erlebnis-produktion, mit einem multi
als kultiger script-lieferant
von life-style-angeboten,
mit attraktiven flucht-versuchungen
aus dem versagungs-vollen alltag.
das seit menschen-gedenken nötige feiern
hat seinen industriellen master of ceremonies in: red bull.
-was ich nicht verstehe, herr seeßlen, was hat vogls theorem damit zu tun?
Ein bisschen ballaballa sind hier allerdings auch die meist jungen Konsumenten dieses Getränks. Das absurde Verhältnis zwischen Herstellung und Verkauf (auch Wertschöpfung genannt) wird ja erst durch den Kauf der Ware realisiert- und da scheint der überteuerte Preis keine Rolle zu spielen. Von der Öko-Bilanz der Dosen erst gar nicht zu reden.
Marx und Engels setzten als geschichtliche Verlaufsetappen noch Feudalismus und Kapitalismus. Dem Artikel zufolge verhält es sich ganz anders. Georg Seesslen zufolge ist die Menschheitsgeschichte strikt zu unterscheiden in die Etappe vor Red Bull und die nach Red Bull.
Wie immer, haben Sie Augen und Ohren, die lesende Seele, dicht am neuesten Marken- und Markt-Geschehen, das sich so heimlich, still und leise überall, vor allem bei Kultur und Sport, einschleicht. Ich kann nur bestätigen, dass Red Bull mit dieser Masche weltweit agiert und es anderen Marken nachmacht.
Für Brasilien fiel es mir jüngst auf, dass selbst avangardistische und politisch wache KünstlerInnen plötzlich im Red Bull- Studio (das beste Equipment und weniger Zeitdruck) produzieren und der musikalische Nachwuchs Red Bull- Musikakademien besucht.
Die Firma ist einfach in der Lage, sich kulturelle Ressourcen einzukaufen, wo sie sie braucht und baut sie in ihr Marketing ein.
Der Staat und seine Kultureinrichtungen, stellen keine ausreichenden Budgets mehr zur Verfügung und, wie auf dem musealen Kunstmarkt, übernehmen nun wieder Reiche und Superreiche, wenn auch nicht durchgängig geadelt, wie im 18. und 19. Jh., sowie die neuen Firmen mit dem Label- Charakter, die kulturelle Weltregie.
Künstler wie Brasiliens Tom Zé protestieren zwar und kritisieren, mit viel Witz und Ironie, aber gerade letztere Haltung drückt schon ein Quantum Resignation aus, dass es schon länger keinen wirklichen Widerstand gegen diese schleichende Übernahme der Kulturen und Subkulturen durch Konzerne und Eigentümer mehr geben kann.
Zé produzierte folgerichtig einen Coca Cola- Werbeclip für die Fußballweltmeisterschaft. Seine rettende Begründung, die allerdings wohl die meisten Hörer überhören mussten: "Nicht ich habe Werbung für die FIFA und Coca Cola gemacht, sondern die warben für mich." - Das Geld, Tom Zé deklarierte sich selbst als käuflich, steckt bei ihm in weniger werbeträchtigen Projekten.
Die Sporteinkäufe Red Bulls, stellen aber nicht nur eine Demonstration der Marken- und Marktmacht dar, sondern kosten das Leben von Extremsportlern, denen man dann hinterher ruft, sie hätten die Gefahr gesucht und seien, ihr süchtig verfallen, gesponsort erlegen.
Die Olympischen Spiele gehören ja auch nicht mehr der Jugend der Welt, sondern dem IOC und seinen medialen Generalvertretern. Thomas Bach hat gerade einen weiteren Schritt in diese Richtung unternommen, indem er, mit potenten Partnern, immer mehr Kontrolle über die Bildrechte ausübt.
Beste Grüße
Christoph Leusch
nach feudal-patriarchalem mäzenaten-tum
für einen privilegierten hof-staat,
im konsumismus:
das massen-wirksame sponsoring im good-will-modus.
der geber spricht darüber, sein erscheinungs-bild
im publikum mit leistungs-fähigkeit und fortschritt zu färben.
andere verstärken präsentierend eine neue sicht auf die welt:
der marlboro-cowboy mit düsen-antrieb:
vorgelebte angst-lust spielt mit abenteuerlichen phantasien
über noch ungelebtes leben:
weit weg vom wirk-lich langweiligen spießer-dasein.
im grenzenlosen reich u-topia des virtuell-fiktiven.
Egal wie bescheuert die Ideen von Red Bull aussehen, ich finde die Marke Red Bull ist die neue Coca Cola unter den Marketing Pionieren angeht.
weiter so! nach drei-maligem product placement
stellt ihnen die firma eine zweite freundin!