Ein Bot geht shoppen

Darknet-Kunst Die Schweizer Künstlergruppe Bitnik lässt ein Computerprogramm die illegalen Warenhäuser des Darknet erkunden
Ausgabe 46/2014
Ecstasypillen: 1.200-mal im Angebot auf Agora
Ecstasypillen: 1.200-mal im Angebot auf Agora

Foto: !Mediengruppe Bitnik/Copyleft 2014

Am 4. November traf in der Kunsthalle St. Gallen ein gepolsterter Umschlag ein. Er enthielt eine DVD-Hülle und darin, luftdicht verpackt, zehn Ecstasy-Pillen mit aufgedrucktem Twitter-Logo. Gekauft wurden sie im Darknet auf der Plattform Agora. Wo Ebay Produkte in „Haus & Garten“ oder „Schmuck & Beauty“ unterteilt, findet man dort Kategorien wie „Fälschungen“ und „Waffen“.

Die größte Rubrik ist „Drogen“, aufgegliedert in Sorten und Ausführungen. Allein in der Subkategorie „Ecstasy in Pillenform“ gibt es 1.200 Angebote, darunter auch die mit dem Twitter-Vogel. „Schöne, gelbe, runde Pillen“, wirbt der Anbieter. „Großartiges Produkt“, schwärmt ein Kunde und gibt dem Händler fünf von fünf Punkten.

Die Pillen sind ein Glücksgriff, im wahrsten Wortsinn. Ihr Käufer wusste nicht, was er tat. Er ist ein von den Schweizer Künstlern Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo (kurz: „!Mediengruppe Bitnik“) aufgesetztes Computerprogramm, ein so genannter Bot. Ihr RandomDarknetShopper – nennen wir ihn Randy – hat pro Woche ein Budget von 100 Dollar in Bitcoins und den Auftrag, sich etwas Schönes zu kaufen. Randomisiert, per Zufallsgenerator. In der Kunsthalle St. Gallen hängen in Schaukästen nun seine Anschaffungen: ein Feuerwehrschlüssel aus Großbritannien, der Zugang zu städtischen Einrichtungen verschafft. Ein Karton Chesterfield Blue aus Moldawien, versandt in einem Paket mit der Aufschrift „Geschenk“ (die Schmuggelerfolgsrate liege bei 99 Prozent, steht auf Agora). Lord-of-the-Rings-E-Books. Eine gestohlene Platinkarte von Visa. Noch nicht geliefert wurden: futuristische Nike-Turnschuhe aus China und eine gefälschte Louis-Vuitton-Handtasche, Typ „Trevi“, aus den USA. Alles in allem hat Randy eine solide Grundausrüstung für Kleinkriminelle erstanden.

Neben den Schaukästen informiert ein Laptop über die neusten Einkäufe. Die computergenerierte Frauenstimme klingt wie eine Flughafendurchsage: ruhig, klar, mit einem undefinierbaren Akzent. Eine Stimme, die alle Unsicherheiten und Ängste zu überspielen vermag, die die moderne Welt mit sich bringt. Etwa die Frage, wie die Konzepte von legal und illegal im Zeitalter des Internets aufrechtzuerhalten sind.

Die beschäftigt nicht nur Künstler, sondern auch Europol und FBI. 17 Personen wurden gerade verhaftet, über 410 Domains des Anonymisierungsnetzwerks Tor gesperrt, Bitcoins im Wert von einer Million US-Dollar beschlagnahmt. Dazu Gold und Silber, Drogen und Waffen. „Dieses Mal haben wir auch Dienstleistungen im Darknet getroffen“, verkündete der Chef des European Cybercrime Centre stolz. Lange hätten sich Kriminelle dort sicher gefühlt. „Wir konnten zeigen, dass sie weder unsichtbar noch unantastbar sind.“

Man möchte den eifrigen Polizisten auf die Schultern klopfen, wäre Anonymität im Darknet nicht für viele existenziell. Zu Kriegszeiten, in Krisenregionen oder unter Gewaltherrschaften kann es überlebenswichtig werden, im Internet unsichtbar zu sein. Es wäre ein schwerer Schlag, sollte sich herausstellen, dass das Netzwerk nicht mehr vertrauenswürdig wäre, sagen auch Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo.

Agora war von der Operation nicht betroffen, der RandomDarknetShopper ist weiterhin auf Einkaufstour. Für den Fall der Fälle haben die Künstler die Schweizer Rechtslage abgeklärt: Ein widerrechtlicher Eingriff für eine beschränkte Zeit wird durch ein überwiegendes Kunstinteresse gerechtfertigt.

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