Ein Buch, das Schwule heilen will?

Ex-Gay-Literatur Nach Protesten verschwand ein Buch des „Homoheilers“ Joseph Nicolosi aus dem Sortiment von Hugendubel und Thalia. Wie konnte es da überhaupt landen?
Ausgabe 32/2020
Aufnahme von einer Anti-Homo-Demonstration in den USA, 1999
Aufnahme von einer Anti-Homo-Demonstration in den USA, 1999

Foto: David Mcnew/Getty Images

Ist ein „Wechsel“ von homosexuell zu heterosexuell möglich? Nach der Meinung des selbst ernannten „Homoheilers“ Joseph Nicolosi: ja. Bis zu seinem Tod im Jahr 2017 war der Mitbegründer der National Association for Research & Therapy of Homosexuality eine treibende Figur der amerikanischen Ex-Gay-Bewegung. In seinen pseudowissenschaftlichen Theorien erklärte er Homosexualität zur Entwicklungsstörung, die er zu „heilen“ vermochte. Healing Homosexuality – das war nicht nur seine Ansicht, sondern ist auch der Titel seines Buches, das in Deutschland unter dem Titel Homosexualität muss kein Schicksal sein erhältlich ist. Darin wird suggeriert, dass Homosexualität eine Krankheit sei. Bis vor wenigen Wochen wurde es hier unter anderem von den Buchhandlungen Hugendubel und Thalia verkauft.

„Homoheiler“ legitimieren sich dazu, sexuelle Orientierungen durch oft jahrelange, desubjektivierende Gespräche zu unterdrücken. Manipulative Ursachenunterstellungen und angebliche Erfolgsgeschichten sollen junge Menschen dazu bringen, zu glauben, dass sie kein Recht auf ein glückliches und erfülltes Leben außerhalb der Heteronormativität haben. Die Folgen solcher Angriffe auf die Menschenwürde sind oft fatal und können zu ernsthaften Krankheitsbildern führen, die schlimmstenfalls im Suizid enden.

Deswegen sind die Methoden zur Unterdrückung der sexuellen Orientierung in Deutschland seit Juni 2020 gänzlich verboten – allerdings nur bis zur Volljährigkeit. Bei volljährigen Personen ist es strafbar, durch Fremdeinwirkung, also äußeren Zwang oder Täuschung, zu einer Konversionsbehandlung gebracht zu werden.

Auf Nachfrage des queeren Magazins Mannschaft, wie so ein Buch ins Sortiment gelangen konnte, folgte von Thalia keine Reaktion. Hugendubel berief sich auf die Meinungsfreiheit. Es folgte eine Welle an Empörung gegen die Buchhandlungen. Dank dem Druck und der Boykottaufrufen durch Aktivist*innen auf Social-Media-Kanälen haben die beiden Unternehmen die Titel aus ihrem Sortiment entfernt.

Laut Berichten von Mannschaft empfahl Hugendubel später, ein Indizierungsverfahren bei der Bundesprüfstelle anzuregen, damit diese und weitere Bücher zur verbotenen Konversionstherapie gar nicht erst publiziert werden dürfen. Im Hinblick auf die erste Rechtfertigung klingt hier fehlendes Schuld- und Handlungsbewusstsein zwar mit, aber das Unternehmen macht auch einen Punkt. Der Experte für Konversionstherapien des Lesben- und Schwulenverbandes, Hartmut Rus, beteuert: „Für uns gehören diese Schriften und Anleitungen zur Selbsttherapie wie unter anderem von Gerard van den Aardweg zu der nun in Deutschland verbotenen Werbung und Vermittlung von Konversionsbehandlungen. Bücher von Joseph Nicolosi, aber auch andere Bücher der Ex-Gay-Literatur verbreiten gefährliches Propagandamaterial zu Konversionstherapien und sollten von der Bundesprüfstelle unbedingt stärker kontrolliert werden.“ Meinungsfreiheit hört bei der Diskriminierung und der Gefährdung von Menschen auf. Die Empörung gegenüber Unternehmen, die solchen Inhalten eine Plattform bieten, war wichtig und richtig. Eine Indizierung solcher Bücher über „Homoheilung“ wäre es ebenfalls.

Paul Dorsch studiert im Master Interdisziplinäre Public und Nonprofit Studien an der Universität Hamburg

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