Ein Bunker für die seelische Apokalypse

Kino Der Tornado als Sinnbild sozialer Bedrohung oder persönlicher Krankheit? Jeff Nichols schlägt mit seinem Katastrophenfilm "Take Shelter" eine dritte Lesart vor

Wenn einer im Kino sagt: „Du hast ein gutes Leben“, hat die Sache meist einen Haken. Curtis LaForche reagiert auf die Worte seines Freundes Dewart entsprechend verhalten, vielleicht rührt seine Skepsis aber auch nur daher, dass Dewart und er gerade aus einer Bar gestolpert sind. Jeff Nichols' Spielfilm Take Shelter, der zweite nach Shotgun Stories, erweckt zunächst den Anschein, als sei im Leben von Curtis alles in Ordnung. Er hat eine hübsche Frau (die leicht ätherische Jessica Chastain), eine kleine Tochter, einen Job, ein Haus, einen Truck, einen Hund. Morgens geht er arbeiten, abends kommt er heim und spielt mit seiner Tochter. Die Kleine ist taub, doch Curtis’ Krankenversicherung zahlt eine Operation. Also alles gut so weit, in Obamaland. Curtis, dem der hünenhafte Michael Shannon eine eindrucksvolle Gestalt verleiht, steht wie ein Fels in der Brandung des Lebens. Man hat zu kämpfen, aber es geht weiter. Eine typische amerikanische Mittelklasse­existenz. Die Turbulenzen haben vorerst nur meteorologische Ursachen.

Ein Tornado kündigt sich an. Wenn Curtis in die Ferne sieht, zeichnen sich am Himmel bedrohliche Wolkenungetüme ab. Man hat sich im amerikanischen Mittelwesten an diesen Anblick gewöhnt, er gehört zum Alltag der Menschen. Der Schutzbunker im Garten ist nur ein Relikt der Vergangenheit. Wenn sich draußen die Wolken zusammenziehen, werden einfach die Kinder ins Haus geholt. Wirklich beunruhigend sind dagegen die Albträume, die Curtis nachts heimsuchen. Seine apokalyptischen Visionen durchdringen langsam das Familiengefüge. Erst wird der Hund ausgesperrt, dann der beste Freund verstoßen, irgendwann zuckt Curtis auch vor der eigenen Frau zurück. Seine Träume werden im selben Maße real, wie er seinem sozialen Umfeld entgleitet. Es ist sozusagen zum Verrücktwerden. Die Halluzinationen sind dabei so plastisch, dass Nichols auf übliche Verfremdungseffekte verzichten kann. Leidet Curtis unter seinen Visionen oder an der Tatsache, dass er als Einziger das Ausmaß der drohenden Katatrophe erkennt?

Nichols stellt Curtis‘ ausufernden Visionen eine Krankengeschichte an die Seite, die zunächst als verlässlicher Gradmesser erscheint: Auch Curtis’ Mutter litt unter Persönlichkeitsstörungen, als Kind wurde er von ihr verlassen. Im Bild des Tornados verdichten sich die Versagensängste des Vaters. Der Bunker wird zur Fixierung in Curtis Zwang, die eigene Familie um jeden Preis zu beschützen. Und so beginnt er gegen den Widerstand seiner Frau mit dem Ausbau des Luftschutzkellers.

Crescendi und Blitze

Take Shelter spielt auf altmodische Weise mit diffusen und daher sehr zeitgemäßen Ängsten, die sich bei Nichols aber immer im konkreten Katastrophenszenario manifestieren müssen. Tornados sind in Amerika nicht bloße Naturkatastrophen, sie stehen seit Katrina in einem Zusammenhang mit der sozialen Krise. Take Shelter greift dieses Unbehagen auf, verzettelt sich aber zusehends in profanen Schockeffekten: dramatische Crescendi, Blitze, Donnergrollen, Zombiegesichter. Das Krankheitsbild, das der Regisseur entwirft, bleibt bis zum Ende vage. Handelt Take Shelter von einer persönlichen oder einer gesellschaftlichen Krise? Wer ist hier krank und wer gesund? Die Frage hat zweifellos eine Aktualität. Nichols aber legt mit der Schlusseinstellung noch eine dritte Lesart nahe, und die ist dann wirklich enttäuschend: dass er sich jetzt auch auf die Seite der mystisch verbrämten Kinoapokalyptiker geschlagen hat.

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