Ein Eigentor am Hannah-Arendt-Institut

Kulturkommentar Michael Richter vom Totalitarismus-Institut in Dresden (HAIT), war selber Stasi-IM. Nun wurde er entlassen. Und (fast) alle stehen dumm da

Der Fall ist gravierend und auch tragisch. „Kann man, wenn man alles sagen kann, auch sagen, dass man nicht alles sagen kann?“, fragt dieser Richter, nebenbei Aphorismenschreiber. Wortbruch ist die Sammlung durchaus kluger Sätze betitelt, von denen viele plötzlich in anderem Lichte erscheinen. Etwa: „Fragen ist die große Stärke des Menschen, Antworten die kleine Schwäche.“

Ausgerechnet am Buß-und Bettag erschien nach Hinweisen eines alten SED-Professors notabene in Springers 'Welt' ein beinharter Artikel über Michael Richter und seine Vergangenheit als Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staats­sicherheit. Der Fall, der sogar in der Neuen Zürcher Zeitung reflektiert wurde, ist keine klassische Enttarnung nach 20 oder mehr Jahren. Die Insider am Hannah-Arendt-Institut und vor allem diejenigen im Kuratorium und in der Politik, die ihn 1994 einstellten, wussten davon.

Der damals 26-jährige Berliner Theologiestudent unterschrieb im Januar 1979 eine Verpflichtungserklärung und lieferte als „IM Thomas“ gut bezahlte Berichte, bis er zwei Jahre später mit Hilfe der Stasi in den Westen ausreisen durfte. Laut Akte, um dort konspirativ weiterhin für das Mielke-Ministerium tätig zu sein. Im Westen offenbarte er sich allerdings sofort dem Verfassungsschutz und arbeitete unter anderem für die Konrad-Adenauer-Stiftung. Als Mitarbeiter des HAIT-Gründungsdirektors Alexander Fischer kam er 1994 an das neue Dresdner Institut.

Der Fall hat natürlich eine persönliche Dimension. Wer Michael Richter auch nur flüchtig kannte, bemerkte, dass er an etwas zu kauen hatte. Nun fragt man sich: Wie konnte er im Wissen um die für andere geltenden scharfen Vergangenheitskriterien eine Karriere im wiedervereinigten Osten anstreben? Wie konnte er an der Legende stricken, es habe sich nur um einen Anwerbeversuch der Stasi gehandelt und er selbst habe alles getan, um irgendwie in den Westen zu gelangen? Zweitens fällt auf die Gauck-Behörde, die Richter 1991 quasi einen Persilschein ausstellte, ein Schatten. Ein „Fehler“, bedauert die Birthler-Behörde heute. Was also sind solche Auskünfte wert? Und was ein entlastendes Gutachten des Publizisten und DDR-Aufklärers Karl Wilhelm Fricke?

Drittens ist der aktuelle Eklat um Richter der GAU für das ohnehin um seine Reputation kämpfende HAIT. Vordergründig mit Totalitarismustheorie und Diktaturvergleich befasst, war die Gründung des Instituts doch von einer eher kämpferischen DDR-Aufarbeitung motiviert. Diesen Intentionen entsprach gerade Richter mit seinen Veröffentlichungen am auffälligsten. Wenn der Großaufklärer nun selbst verstrickt war, ist das Vertrauen in dieses umstrittene Institut dahin, auch wenn man nun zur Imagerettung Richter ganz schnell hat fallen gelassen. Schließlich muss sich ebenso die sächsische CDU, die Richter gedeckt hat, düpiert fühlen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich protegierte in auffälliger Weise Richter und empfahl seine Bücher jeder Schule. Bleibt offen, ob der gute Beobachter Michael Richter auch weiterhin dem Verfassungsschutz nützlich war.

Michael Bartsch ist freier Autor und Publizist aus Dresden

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