der Freitag: Nach dem Selbstmordanschlag von Suruc hat die Türkei eine Wende in ihrer Militärstrategie vollzogen. Wie wirkt sich die auf das Kurdengebiet in Nordsyrien aus?
Sinem Muhammed: Nachdem hier der IS besiegt worden ist, hat die türkische Regierung erklärt, dass sie den IS-Terror bekämpfen will. Doch sie hat damit angefangen, die kurdischen Volksschutzeinheiten der YPG anzugreifen, statt gegen den IS zu kämpfen. Am 24. Juli nahmen türkische Panzer das YPG-Gelände westlich von Kobane in Zor Magar unter Beschuss. Und am 26. Juli wurde das gleiche Terrain von sieben Panzern erneut beschossen. Das ist die Fortsetzung ihrer Versuche, unser demokratisches Experiment zu behindern.
Ist die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien, der Sie angehören, wirklich demokratisch legitimiert?
Seit Beginn der syrischen Revolution haben syrische Kurden alle Bereiche des Lebens im Auftrag des Volkes zu organisieren begonnen. Es ging um soziale und wirtschaftliche Belange ebenso wie um die Verteidigung. Dadurch waren sie in der Lage, ihr Volk und ihre Region gemeinsam mit allen Bevölkerungsgruppen zu schützen. Araber, Kurden und syrische Christen haben im Rojava eine Selbstverwaltung mit drei Kantonen errichtet – Afrin, Kobane und Al Jazira (Cizire), die demokratisch verwaltet werden, und in denen jede Einrichtung von einem Mann und einer Frau gemeinsam geleitet wird. Die rechtliche Grundlage dafür ist ein Gesellschaftsvertrag, der von allen Bevölkerungsgruppen im Rojava angenommen wurde.
Warum, glauben Sie, ist die Türkei dagegen?
Von Anfang an hat die türkische Regierung alles versucht und tut immer noch ihr Bestes um unser demokratisches Experiment im Rojava zu behindern und scheitern zu lassen, etwa durch Unterstützung der IS-Banden beim Angriff auf Kobane. Nach wie vor nutzt die türkische Regierung die IS-Terroristen um unsere Gebiete anzugreifen. Eine Woche, nachdem wir deren Verbindungswege bei Tel Abiad gekappt hatten, war am 25. Juni 2015 das Massaker von Kobane die Antwort, bei dem Frauen und Kinder getötet wurden.
Wollen die Kurden in Nordsyrien einen eigenen Staat?
Kurden sind die ursprüngliche Bevölkerung im Rojava. Sie haben ihre eigene Sprache und Kultur und besitzen Ländereien. Gemeinsam mit anderen Kurden, Arabern und syrischen Christen haben wir dort unsere eigene Selbstverwaltung aufgebaut, ein in Syrien einzigartiges System. Wir fordern die Errichtung eines demokratischen und pluralistischen Syrien. Wir wollen uns nicht von Syrien absondern. Und unsere Selbstverwaltung ist für keines unserer Nachbarländer eine Bedrohung.
Die türkische Regierung rechtfertigt ihre Angriffe auf Sie und die PKK im Nordirak mit der Ermordung von türkischen Polizisten nach dem Attentat in Suruc am 20. Juli.
Die türkischen Angriffe gegen die PKK sind nach unserer Erkenntnis keine Reaktion auf die Ermordung der beiden türkischen Polizisten, sondern schon vor dem Suruc Attentat vom türkischen Geheimdienst geplant und vorbereitet worden, einfach weil der IS im Senjar Gebirge und in Kirkuk von Kurden besiegt wurde, genauso wie im syrischen Rojava, wo Kurden den IS in Kobane und Tel Abiad bezwungen haben. Die türkische Regierung greift die Kurden an, weil sie den IS besiegt haben.
Der türkische Premier Ahmet Davutoglu hat der kurdischen Demokratischen Union (PYD) über die Medien angeboten, in einem künftigen syrischen Staat unter zwei Bedingungen eine Rolle zu spielen: Sie soll jede Verbindung zum Assad-Regime kappen und mit bestimmten anderen Gruppen kooperieren.
Herr Davutoglu weiß sehr genau, dass wir keine Beziehungen zum Assad-Regime haben, sondern uns mit diesem im Krieg befinden, etwa in Al Hassaka. Wir kämpfen jedoch nur, um unser eigenes Volk zu beschützen, nicht um Wünsche und Ansprüche von Dritten zu erfüllen. Das hat die PYD immer wieder erklärt. Und unsere Streitkräfte bestehen nicht nur aus Kurden der YPG, hier kämpfen viele Truppen anderer revolutionärer Gruppen wie Burkan Al Furat und Thuwar Al Raqah gemeinsam Seite an Seite gegen den IS. Die anderen Gruppen, bei denen der Ministerpräsident will, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten, sind solche wie Jabhat Al Nusra, dazu salafistische Formationen. Die türkische Regierungspartei AKP gilt zwar als „gemäßigt islamistisch“, akzeptiert aber anderweitig keine gemäßigten Gruppen, gerade jetzt hat die Jabhat Al Nusra die moderaten Gruppen in Azaz verhaftet.
Und was ist mit der vom Westen anerkannten syrischen Exilregierung? Wäre eine Zusammenarbeit möglich?
Die vom Westen anerkannte Nationale Koalition der syrischen Revolutionskräfte hat dieselbe chauvinistische Mentalität. Sie respektieren nicht die Rechte der Kurden und die – auch von Arabern und Christen getragene – demokratische Selbstverwaltung im Rojava. Als wir Tel Abiad vom IS befreit haben, war die Nationale Koalition dagegen und hat uns wegen angeblicher ethnischer Säuberungen kritisiert, die wir nicht begangen haben. Wir sind aber bereit, uns mit demokratischen Kräften in der Koalition zu verständigen, die an ein demokratisches Syrien glauben.
Hat der Westen mit dem Eintritt der Türkei in die Anti-IS-Koalition die eben noch mit ihnen kämpfenden Kurden verraten und im Stich gelassen?
Die Rolle der Internationalen Koalition unter Führung der USA wissen wir zu schätzen, sie unterstützt nach wie vor Seite an Seite die Einheiten mit Luftschlägen, die gegen die IS-Terroristen kämpfen und gezeigt haben, dass sie bislang die einzigen Truppen sind, die den IS in Syrien besiegen konnten. Im Rojava sind wir von niemandem abhängig. Wir hängen vor allem von unseren Bodentruppen ab, zu denen arabische, christliche und kurdische Streitkräfte gehören, und diese Truppen verraten uns nicht. Im Rojava verlassen wir uns auf unser Volk und die Freunde der Kurden. Solche wie die Internationale Koalition gegen den IS.
Und was ist mit Wiederaufbauhilfe? Der Deutsche Evangelische Kirchentag zum Beispiel hat sie in einer Resolution für Nordsyrien dringend gefordert – im Gegenzug für die Gewährleistung von Menschenrechten.
Was die Menschenrechte betrifft, ist die Selbstverwaltung im Rojava von deren Grundsätzen überzeugt. Wir sind offen für Besuche von Menschenrechtsorganisation in unseren Gebieten. Wir hatten bereits Beziehungen zu einigen dieser Organisationen wie Geneva Call, Human Rights Watch und Amnesty. Besonders wichtig sind uns Frauenrechte. Frauen spielen eine große Rolle in jedem Gremium der Selbstverwaltung. Sie stellen das Regierungsoberhaupt im Kanton Afrin, die Leiterin der Finanz- oder der Wirtschaftskommission und sie hatten eine führende Rolle beim Schutz der Menschen im Rojava aus allen Bevölkerungsgruppen. Im Rojava kämpfen Volksschutzeinheiten und Frauenschutzeinheiten gegen die IS Terroristen und schützen alle Bevölkerungsgruppen wie Araber und syrische Christen oder Turkmenen. Als YPG sind sie zu einer weltberühmten Streitmacht geworden, weil sie für die Belange aller Frauen in der Welt kämpfen.
Kommentare 21
Danke für das Interview.
Danke für den Kommentar!
Eine ähnliche Überzeugung wie Sinem Muhammed hat jetzt auch - ohne das Interview zu kennen - Jürgen Trittin geäußert. In einem Brief an Tilman Zülch, Präsident der int. Gesellschaft für bedrohte Völker, vom 7. August, der demnächst auch auf Trittins Homepage veröffentlicht wird, schreibt der Grünen-Abgeordnete u.a. Folgendes:
Ich teile vollständig die Besorgnis über das Vorgehen der Türkei in der Autonomen Region Kurdistan in Nord-Irak und in Syrien. Es ist aus meiner Sicht mitnichten so, dass der türkischen Präsident Erdogan einen Strategiewechsel im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) vollzogen hat. Im Gegenteil – durch die offensive Bekämpfung einer der einzigen Kräfte, die dem IS noch erfolgreich Widerstand leisten konnte, wird dieser in der Region wieder gestärkt.
[...]
Ich unterstütze daher ausdrücklich Eure Forderung nach einer fraktionsübergreifenden Resolution, die den Präsidenten der Türkei auffordert, diesen fatalen Weg zu verlassen, die Angriffe auf deren Stellungen einzustellen und den Friedensprozess mit der PKK wieder aufzunehmen.
Tilman Zülch hatte zuvor am 3. August an alle Mitlglieder des Auswärtigen Ausschusses geschrieben und eine solche Resolution angeregt. Auch aus anderen Fraktionen kamen hierzu zumindest wohlwollende Singale.
Ähnlich wie Sinem Muhammed und Jürgen Trittin äußert sich z.B. Norbert Röttgen heute in der WAZ:
Die Kurden sind die besten Bodenkämpfer gegen den IS, insbesondere in Syrien. Deshalb brauchen wir unbedingt eine politische Lösung. Die Türkei darf nicht in alte militärische Auseinandersetzungen zurückfallen.
Lieber Christian,
das bedeutet ganz und garnicht, das ich alle Ansichten von Frau Muhammed teile. Es bedeutet lediglich, dass ich die Einstellung und Perspektiven der PYD zu den jüngsten Vorgängen erfahren durfte. Eine Integrale Weltanschauung macht es nötig, die Sorgen und Nöte aller Beteiligten zu verstehen. Weich zu den Menschen, aber hart in der Sache zu handeln, ist nicht nur meiner Ansicht nach sehr wichtig. Auch Frau Muhammed denkt in zutieftst dualistischen Kategorien. Die Probleme sind viel zu vielschichtig, um in Gut oder Böse eingeteilt zu werden, wie, da ist die PYD, die ist gut, da ist die türkische Regierung, die ist böse, kommen wir keinen Schritt weiter.
Herzliche Grüsse
In diesem Zusammenhang ist das folgende auch von Bedeutung.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-08/pkk-kurden-linke-tuerkei
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/gewalt-in-der-tuerkei-neuwahlen-moeglich-13743380.html
Der millitante Arm der PKK möchte wohl offensichtlich weiter als Terrororganisiation eingestuft bleiben. Dafür tut sie täglich alles. Auch heute. Leider.
Liebe Nil,
das war mir schon klar und auch mein Anliegen. Ich bin zwar nicht sicher, ob und wie man (also Du z.B. oder ich) die beiden jetzt wieder gegensätzlichen Interessen friedlich zum Ausgleich bringen kann. Aber in Erfahrung bringen und wiedergeben kann man beide Perspektiven, das ist zumindest der erste Schritt.
Militante Organisationen wie die HPG leben davon, dass sie etwas zum Bekämpfen haben. Gewaltverzicht macht gut ausgebildete und hochmotivierte heldenhafte Guerillieros dann leider überflüssig. Zwei Polizisten, die als Kollaborateure des IS verdächtigt werden, zu Hause zu ermorden - so wirklich "heldenhaft" war das übrigens nicht, eher ein feiger Mord nach europäischen Maßstäben. Aber so funktioniert Terror. Und da galt noch der Waffenstillstand im Friedensprozess. Klar, dass die Regierung darauf reagieren musste - was sie allerdings an der falschen Stelle tat. Gäbe es den IS nicht, hätte es kein Attentat von Suruc gegeben, die beiden Polizisten würden ebenfalls noch leben. Vernünftig wäre, gemeinsam gegen den eigentlichen Friedensstörer gemeinsam anzugreifen, statt sich von ihm als lachendem Dritten aufeinander loshetzen zu lassen.
Aber da liegt das Problem in diesem einzigartigen System in Syrien: Man kann vielleicht noch einigermaßen klar erkennen, was vernünftig wäre, aber nicht mehr, wer hier überhaupt noch dazu in der Lage ist, vernünftig zu denken und zu handeln.
Eine interessante Frage ist, ob sich die Spirale der Gewalt, die hier neu entfesselt wurde, an jeder beliebigen Stelle durchbrechen lässt. Der Idealfall würde so verlaufen: Die türkische Regierung würde es bei den - nach ihrer Zählung - 250 getöteten PKK-Kämpfern bewenden lassen. Die HPG könnten dann auf Demirtas von der HDP hören und ohne Gesichtsverlust "den Finger vom Abzug nehmen" (siehe den von NIL weiter oben verlinkten FAZ-Artikel), die Kanzlerin könnte dann aus der dann begründeten Hoffnung auf Frieden heraus für eine Aufhebung des PKK-Verbots zumindest in Deutschland und Europa sorgen. Aber kann man diese Reihenfolge einfach umdrehen und mit der Aufhebung des PKK-Verbots anfangen, jetzt, wo sie sich wieder zum Terror bekennt? Und kann deren Führung dem Terror abschwören, solange deren Kameraden vom türkischen Mlitär angegriffen werden, ohne dass die sich verraten sähen?
Vernünftig wäre ein Junktim von allen drei Optionen, das ginge und wäre stabil, enthält für keine Seite einen Gesichtsverlust. Aber so etwas müsste man aushandeln und dann Zug um Zug realisieren, aber das geht leider nicht, solange die PKK auf der Terrorliste steht, denn mit Terroristen kann man nicht verhandeln - außer man nimmt sie von der Terrorliste, dann schon wie mit der UCK geschehen oder der IRA etc. etc. oder zuletzt mit Barzani, bevor er deutsche Waffen bekam, stand er bei den Amerikanern noch auf der Liste. Also geht alles - wenn man nur will, so paradox es sein mag, hier läge der erste Schritt, damit der Rest dann überhaupt verhandelt werden kann.
Stellen wir uns den Realitäten: Assymetrische Kriege werden die Regel, die alten Regularien und Konventionen verlieren an Bedeutung. Auch die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention werden - angeblich notgedrungen - zunehmen ignoriert (Stichwort Killerdrohnen und Guantanamo und andere "Lager"). Wenn schon nichts mehr unmöglöich ist, warum also nicht auch einmal anders herum die Tabus brechen, die hier Verhandeln unmöglich machen?
Lieber Christian,
weisst Du denn nicht, dass die türkische Regierung, erstmals in ihrer Geschichte, bereits seit über zwei Jahren mit der Terrororganisation PKK und dem inhaftierten Herrn Özcalan verhandelt und der Friedensprozess schon in vollem Gang war?
Das weiß wohl jeder, also ich auch.
"But then AKP made a major mistake."
... wie der an anderer Stelle von mir verlinkte Blogger Conn Halinan schrieb.
Vor 1 Jahr gab es einen schweren Fehler, der das Ende des bis dahin gut gelaufenen und voll in Gang befindlichen Friedensprozesses einläuten sollte: Erdogan hatte A gesagt und damit viele kurdische Stimmen für die AKP geholt, dann aber Angst vor der eigenen Courage bekommen, als es darauf angekommen wäre, B zu sagen und die Partner des Friedensprozesses im Kampf gegen den IS zu unterstützen.
When the Islamic State besieged the town of Kobani, Turkey refused to help the Kurdish defenders.
Die Kurden konnten Kobane halten, aber Erdogan danach nicht mehr die Kurden, die stimmten diesmal bei der Wahl für andere Parteien.
That's life.
In dieser Frage würde ich sogar ausnahmsweise Sergej Lawrow zustimmen, der dasselbe wie Du fordert - nur dass der jetzt selbst als Gesprächspartner tabu ist. Das mag Gründe haben, was aber noch nicht heißt, dass wir es uns diese Konsequenz auch leisten können.
Wenn Herr Erdogan B gesagt hätte, hätte Herr Assad das als Kriegserklärung verstanden und womöglich zuruckgebommt, wie er auch unmissverständlich klargemacht hatte. Ferner, ist bei zwei Millionen flüchtigen Syrern in der Türkei, wäre die Lage vollends unübersichtlich geworden. Es war damals die Rede von feigen Soldaden die zu geschaut hätten. Diese Soldaten sind alle etwa 19 bis 21 Jährige Grünschnäbel die Wehrdienst ableisten MÜSSEN. Der grossteil der türkischen Bevölkerung, mich eingeschlossen, wollten keinerlei Kriegshandlungen mit Syrien vom Zaum brechen sehen. Es hätte ja auch Deutschland oder USA oder England oder oder oder Kobane militärisch zu Hilfe kommen können oder nicht? Hinterher hat man gut reden lieber Christian. Hätte, wäre, wenn usw. Was glauben Sie wieviel syrische Kurden und Jesiden die Türkei aufgenommen hat? 100.000? 200.000? 400.000? Die Türkei hat geholfen und hilft auch weiterhin so gut es geht. Hier ist man jetzt schon überfordert mit den ankommenden Flüchtlingsströmen. Es gibt keine einfachen Antworten. Man hätte eben Herr Assad nicht so schnell fallenlassen dürfen. Aber das Kind ist bekanntlich bereits in den Brunnen gefallen. Siehe auch Libyen.
In einem sind wir uns einig, es müssen alle Beteiligten zusammen mit Integral informierten Friedensberatern Psychologen und Soziologen zusammen einen sofortigen Waffenstillstand aushandeln und alle an einen Tisch bringen. Das ist klar!
Was den letzten Punkt betrifft:
In einem sind wir uns einig, es müssen alle Beteiligten zusammen mit Integral informierten Friedensberatern Psychologen und Soziologen zusammen einen sofortigen Waffenstillstand aushandeln und alle an einen Tisch bringen. Das ist klar!
... da sind sich Stefan, Du und ich wirklich einig, liebe Nil.
Deine Analyse im Abschnitt darüber deckt sich nur zum Teil mit meiner Wahrnehmung bzw. meiner Intention.
Wenn Herr Erdogan B gesagt hätte, hätte Herr Assad das als Kriegserklärung verstanden und womöglich zuruckgebommt ...
B-Sagen hieß im Kontext meiner Argumentation (auf Conn's These zum schwerwiegenden Fehler basierend): Kobane zu helfen, als es vom IS belagert wurde.
Schriftlich haben wir eine Erklärung des IS dazu, dass jede Art von Hilfe für die Feinde des IS von Seiten die Türkei als abtrünniger "Apostat" (mürtet) aufgefasst worden wäre, das steht so sehr deutlich als Warnung bereits in der Erstausgabe von "Konstantiniyye" (dem Anfang Juni erstmals erschienenen ersten Magazin des IS in türkischer Sprache) im Artikel "Mürted kime denir" (ab Seite 22).
Dabei wären die Kurden (so auch Conn) durchaus mit "passiver Hilfe" zufrieden gewesen, es ging eigentlich nur darum, die Grenzübergänge für Kurden-Hilfe zu öffnen (was damals schließlich die Europäer und Amerikaner gegen den langen Widerstand Erdogans erzwungen haben, so Conn weiter) und erst in zweiter Linie um die Nutzung der Incirlik Air Base (was jetzt die Amerikaner ausgehandelt haben).
Beides war gegen den IS gerichtet und wurde von Assad bis heute nicht als Kriegsgrund aufgefasst. Aber die Kurden haben sich aufgeregt, Barzani vielleicht nicht, aber die kurdischstämmigen Türken auf jeden Fall. Es gab da schon Ausschreitungen und militärische Abriegelungen in den Kurdengebieten der Türkei, bis schließlich die Peschmerga dann durchgelassen wurden.
Etwas anderes wäre gewesen, wenn die Türkei selbst militärisch eingeschritten wäre, das hätte auch Assad nicht gut heißen können, aber solche "aktive" militärirische Hilfe verlangten ja nicht einmal die Kurden in Nord-Syrien, sie haben ausdrücklich das Gegenteil verlangt, dass die Türkei sich militärisch selbst raushält, und das war auch vernünftig, übrigens auch im Sinne der 19 bis 21jährigen Wehrdienstleistenden (wenn es nicht fehlgeleitete draufgängerische Nationalisten sind, soll es ja überall geben und gab es auch mal in DE in dem Alter, sogar noch jünger), wenn auch nicht im Sinne des Westens, der unbedingt einheimische Bodentruppen braucht (eigene wird der Westen nicht mehr senden, diese Falle hat er durchschaut, zum Glück).
Das ist doch mal eine These. Bravo. Wo wir uns selbst im Weg sind, auf den Punkt gebracht.
Ja, aber natürlich hatten alle Angst, dass in diesem Fall genau das eingetreten wäre, was jetzt in Suruc passiert ist. Auch das wollte man vermeiden, zu recht wie ich finde. Es ist nicht ausschliesslich ein Wunder, dass es vier Jahre überhaupt in der Hinsicht ruhig blieb.
vielen, vielen dank, liber Christian.
Warum die Kurden keinen eigenen Staat bekommen sollen, leuchtet mir nicht ein (is ne Anmekrung, keine Kritik)
"Es ging um soziale und wirtschaftliche Belange ebenso wie um die Verteidigung. Dadurch waren sie in der Lage, ihr Volk und ihre Region gemeinsam mit allen Bevölkerungsgruppen zu schützen. Araber, Kurden und syrische Christen haben im Rojava eine Selbstverwaltung mit drei Kantonen errichtet – Afrin, Kobane und Al Jazira (Cizire), die demokratisch verwaltet werden, und in denen jede Einrichtung von einem Mann und einer Frau gemeinsam geleitet wird."
Das nenne ich doch mal einen wirklich basisdemokratischen Ansatz, und es wundert mich nicht, dass Menschen, die so etwas umzusetzen versuchen, zwischen die Fronten geraten.
Erinnerte mich irgendwie an das Reduktionen-Experiment der Jesuiten und Indios in Paraguay, die - ebenfalls aus der Not geboren - immerhin 150 Jahre Bestand hatten.
http://www.deutschlandradiokultur.de/interview-mit-historiker-klaus-schatz-die-jesuiten-und-die.1278.de.html?dram:article_id=326462