Pakistan Als Neuntklässlerin wurde Malala Yousafzai von den Taliban angeschossen, weil sie für die Schulbildung von Mädchen kämpfte. Nun hat sie den Friedensnobelpreis erhalten
Bereits im letzten Jahr war Malala Yousafzai, heute 17-jährig, Favoritin für den Friedensnobelpreis
Foto: Bas Czerwinski/ AFP/ Getty Images
Im Herbst 2012 sorgte ein 14-jähriges pakistanisches Mädchen weltweit für Schlagzeilen: Am 9. Oktober wurde Malala Yousafzai aus Mingora bei einem Mordanschlag der Taliban in den Kopf und den Nacken geschossen. Und nun hat die pakistanische Schülerin den diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten – zusammen mit dem Kinderrechtler Kailash Satyarthi. Damit werde ihr Engagement gegen die Unterdrückung von jungen Menschen und für deren Recht auf Bildung gewürdigt, begründete das Komitee die Entscheidung.
Das Attentat vor zwei Jahren ereignete sich, als Malala mit dem Bus von der Schule nach Hause fuhr. Die pakistanischen Taliban übernahmen die Verantwortung für den Anschlag. Ihr Sprecher Ehsanullah Ehsan begründete ihn damit, dass
2;ndete ihn damit, dass Malalas Forderung, Mädchen müssten zur Schule gehen, sie zu einem Symbol der „westlichen Kultur“ gemacht habe. Wenn sie nicht an den Folgen dieses Anschlages sterbe, werde es einen weiteren Mordversuch geben, sagte er weiter und drohte: „Das soll ihr eine Lehre sein.“ Danach erhielt auch ihr Vater, Ziauddin Yousafzai, Drohungen.Mit elf Jahren begann Malala unter dem Pseudonym Gul Makai ein Blog für BBC Urdu, also die pakistanische BBC, zu schreiben, in dem sie darüber berichtete, wie die Taliban in ihrer Heimatstadt die Kontrolle übernahmen und sie sich auch weiterhin dafür einsetzte, dass Mädchen in die Schule gehen können. Sie sprach damals bereits Englisch und wollte Medizin studieren. 2011 wurde sie für den International Children’s Peace Prize nominiert. Auch ihr Vater engagiert sich sehr für die Schulbildung von Mädchen und leitete entgegen der Anordnungen der Taliban eine der letzten Schulen in der Gegend. Es ist eine tragische Ironie, dass auf Malala geschossen wurde, als sie von der Schule nach Hause fuhr. Mit ihr wurden zwei andere Kinder verletzt, die es nicht in die Schlagzeilen schafften.Es gibt nicht nur MalalaAber es gibt nicht nur eine Malala. Ihre Geschichte ist die von Tausenden pakistanischen und insbesondere paschtunischen Mädchen. Was ihr im Namen von Politik und Religion angetan wurde, offenbart die dunkelste Seite der pakistanischen Gesellschaft: In allen Kulturen, auch in den frühen islamischen Gesellschaften, ist Gewalt gegen Frauen und Kinder tabu.Doch es gibt auch einen Lichtblick: In der Region Swat und im ganzen Land artikulierten Frauen nach dem Anschlag ihren Protest auf der Straße gegen den Mordversuch. Sie schrieben darüber oder gaben Erklärungen ab, in denen sie verurteilten, was geschehen war. Es zeigte sich, dass das Land trotz seiner mannigfaltigen Probleme mit Recht und Gesetz und rechtsradikalen islamistischen Vorstellungen in der Lage ist, im Falle von Gewalt gegen Unschuldige gemeinsam zusammenzustehen. Nicht nur die sogenannten Säkularen verurteilten den Anschlag, sondern auch konservative Islamisten und „antiwestliche“ Parteien. Das darf nicht vergessen werden.Am wichtigsten aber ist, dass es Mädchen wie Malala gibt und dass sie alles andere als eine Ausnahme darstellt. Es gibt Tausende von Malalas, die nicht entdeckt, deren Tagebücher nicht in einem BBC-Blog veröffentlicht und die nicht für Friedenspreise nominiert werden. Sie leisten im Stillen Widerstand. Dass das Schicksal Malalas weltweit wahrgenommen wird, macht sie zu einem Symbol, aber es ist wichtig, sich klarzumachen, dass sie als Symbol für viele Kämpfe von in Swat kämpfenden Frauen und Männern steht.Kämpfe, die aus dem Inneren der Gesellschaft entstanden sind und für Veränderungen gesorgt haben. Es ist wichtig zu verstehen, dass Malala nicht in einem Vakuum lebt. Sie ist nicht die einzige.Malala wurde nach dem Angriff nach Großbritannien gebracht und dort behandelt. Pakistans Präsident Asif Ali Zardari hatte angeordnet, dass auch den anderen beiden Kinder, die der schrecklichen Ideologie der Taliban zum Opfer gefallen sind, die gleiche Behandlung zuteil werden soll. Viele Pakistaner waren der Meinung, dass die Aufmerksamkeit, die Malala und ihren Eltern geschenkt wurde, einen Versuch der Regierung darstellte, den Westen und jene Massen zu beschwichtigen, für die das paschtunische Mädchen zu einer Heldin geworden ist. Denn Vorschläge für eine langfristige Lösung hingegen gibt es nicht. Menschen- und Frauenrechtlerinnen fragen sich, wann es zu einer echten Lösung kommen wird, die die Menschen aus dem Griff der Militanten und die Gegend von den Taliban befreit. Die Pakistaner wollten wissen, wie viele Mädchen und Frauen noch geopfert werden würden, bevor die richtigen Schritte unternommen werden und der Nordwesten von den Taliban befreit wird.Bildung ist nicht MTVMalalas Anliegen war nicht ungebührlich. Sie hat sich nicht „verwestlicht“, indem sie ihr Recht einforderte, zur Schule zu gehen und sich zu bilden. Schulbildung von Mädchen wie von Jungen gehört zur muslimischen und anderen „östlichen“ Kulturen genauso wie zum „Westen“.Im Koran ist häufig davon die Rede, wie wichtig Bildung für Männer und Frauen ist. Und entgegen einem populären Mythos ist „gebildet“ nicht gleichbedeutend mit „westlich“. Viele rechtsgerichtete Islamisten aber behaupten genau das. Zivilisation und Entwicklung verbinden sie allein mit der „westlichen“ Gesellschaft. Das ist für sie gleichbedeutend mit MTV. Malala ist weder westlich noch privilegiert. Sie ist die Tochter einer traditionellen paschtunischen Familie, die, wie viele andere, will, dass ihre Kinder in Sicherheit zur Schule gehen können.Malala wurde mit ihrer Geschichte zur Heldin. Zur Behandlung der Kopfwunde wurde sie von einem Krankenhaus zum nächsten gebracht. Und in Pakistan fragten sich nicht wenige, warum ihr diese Hilfe zuteil wird, wo doch jeden Tag so viele Menschen verletzt werden und sterben, ohne dass sich jemand um sie kümmert. Die Antwort lautet: Weil es eben so ist. Manche leiden still und andere werden für ihr Leiden gefeiert. So ist das Leben. Aber der normale, urbane Pakistaner fragt sich weiterhin: Warum sie? Was ist mit den Leuten, die hier jeden Tag durch Waffengewalt, Drohnen, Verbrechen des Staates oder des organisierten Verbrechens sterben?Die ganze Welt stellt sich hinter Malala. Die englischsprachige pakistanische Tageszeitung The Express Tribune berichtete darüber, dass 50 islamische Kleriker eine Fatwa gegen diejenigen verhängt haben, die Malala ermorden wollten. Gruppen von Frauen und Männern protestierten gegen den Angriff, verschleierte wie unverschleierte Frauen, bärtige Männer ebenso wie Männer ohne Bart und Angehörige von Minderheiten, einschließlich verfolgter religiöser Minderheiten. Als Symbol von Unschuld wie Stärke sprach sie die universelle menschliche Natur an.Und ja, als Frau hat man es in Pakistan schwer. Es wäre lächerlich, das bestreiten zu wollen. Dass die Gesellschaft es aber erlaubt, dass eine Malala ihre Stimme erhebt und mehrere Malalas sie unterstützen können, sagt etwas über die Frauen in diesem Land. Sie mögen leiden, aber sie lassen sich mit Sicherheit nicht unterdrücken. Frauen, die sich unterdrücken lassen, kämpfen nicht, schreiben keine Blogs, auf ihr Leben werden keine Anschläge verübt. Malala, so jung sie auch ist, tat und erlebte all dies.
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