Ein gerechter Lehrer

Nachruf Was Wolfgang Ullmann sagte, war nie nebensächlich

Nur wenige Wochen nach dem Abschied von Günter Gaus, wenige Tage nach dem Tod meines Freundes Lothar Baier habe ich erneut Abschied zu nehmen.

Der Theologe, Philosoph und Kirchengeschichtler, der Politiker, Abgeordnete, Verfassungsrechtler und Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann ist für immer gegangen.

Ich kannte ihn seit einigen Jahrzehnten. Er war Lehrer an einer kirchlichen Hochschule, und ich wusste, dass er von den Studenten hoch geschätzt war. Er galt als streng, als ungemein anspruchsvoll, aufgeschlossen und unnachgiebig, er war ein gerechter Lehrer. Wir trafen uns gelegentlich, sprachen aber eigentlich immer nur kurz miteinander: seine Zeit war knapp bemessen. Stets trug er eine Tasche mit Büchern bei sich, manchmal zeigte er stolz eine bibliophile Kostbarkeit, die er gerade erworben hatte, ein Wörterbuch, eine uralte Kirchengeschichte.

Was er sagte, war nie nebensächlich. Für einen lockeren, gemütlichen Schnack war er nicht zu haben, dafür stand ihm keine Zeit zur Verfügung. Wenn ich an ihn denke, so sehe ich ihn vor mir stehen, den Kopf leicht zur Seite geneigt, ein ironisches Leuchten in den Augen, dazu sein examinierender Blick, intensiv und durchdringend.

Bei unseren Herausgebertreffen war er häufiger als die anderen verhindert, seine Mandate in Bonn, Berlin und Brüssel ließen ihm selten Zeit. Wenn er erschien, wollte er rasch zur Tagesordnung übergehen. Unterhaltsame Abschweifungen konnte er lediglich tolerieren. Er lächelte dann freundlich und genoss den Witz, um dann, mit einem halb unbewussten Blick auf die Armbanduhr, wieder rasch zum eigentlichen Thema zu kommen.

Sein halbes Leben lang hatte er seine blinde Frau zu versorgen. Darüber verlor er nie ein Wort. Ihretwegen hatte er einen unvorstellbar disziplinierten Tagesablauf und übernahm trotz allem eine Fülle weiterer Verpflichtungen, die ihm als Bürger unabweisbar schienen.

Ein für mich nicht vorstellbares Bild: Wolfgang Ullmann bei einem Glas Wein oder einem Tee plaudernd in einem Café sitzend.

Als seine Frau vor kurzem starb und ich ihm zu ihrem Tod einen längeren Brief schrieb, antwortete er mir herzlich und aufgeschlossen. Das war das einzige Mal, wo ich ihn ganz weich und empfindsam erlebte.

In den vergangenen Jahren konnte ich wiederholt in verschiedenen Zeitungen die seltsame Formulierung "ehemaliger Bürgerrechtler" lesen, womit Personen gekennzeichnet wurden, die sich in der Wendezeit hervor taten. Offenbar wollten die Zeitungen damit mitteilen, dass sich diese Leute bis 1989 um die Bürgerrechte in der DDR gesorgt hätten, sich seitdem aber eher um andere Rechte bemühen, um Eigentums- oder Beamtenrechte beispielsweise. Als hätte das Jahr 1989 zu einem Justitium geführt, das die Bürgerrechte obsolet machte.

Wolfgang Ullmann heftete kein Journalist ein solches Appendix an. Er blieb auch als Abgeordneter ein Philosoph, er blieb der Kirchengeschichtler und Verfassungsrechtler. Und er war nie ein ehemaliger, sondern blieb lebenslang ein aktiver Bürgerrechtler, auch wenn dies einigen seiner früheren Mitstreiter und vielen seiner neuen Kollegen nicht zeitgemäß erschien.

Er war ein redlicher Mann, selbstlos, streng, pflichtbewusst.

Er war ein vorzüglicher Lehrer, auch für den Freitag, auch für dessen Redakteure und Herausgeber.


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