Ein Geschäftsmodell aus der Steinzeit

Verlegerschicksale Wie man die „Berliner Zeitung“ nicht rettet: Ausgerechnet die Public-Private-Partnership-Ideen des IT-Unternehmers Holger Friedrich erweisen sich als oldschool
Ausgabe 47/2019

Wer als Unternehmer die Mehrheit an einer Gesellschaft erwirbt, die das Stadtportal berlin.de mit über eineinhalb Millionen monatlichen Nutzern betreibt, und dann in einem Interview beschreibt, wie man als Bürger auf einer App einen Ausweis scannt und die Steuernummer abgeglichen wird, kann sich der Aufmerksamkeit sicher sein. Dies gilt erst recht, wenn sich der Unternehmer wenige Tage zuvor als selbstgebackener Zeitungsverleger vorgestellt hat, der den Wert von Nutzerdaten schätzt, und er von einer anderen Zeitung als Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit enttarnt wird. Doch ein Skandal sind die Sätze über das Stadtportal nicht. Holger Friedrich antwortet auf die Frage der NZZ nach einem „Behördengang auf berlin.de“ genau so, wie es der Vertrag mit dem Land Berlin seit 1998 vorsieht: In einer „Public Private Partnership“ werden private und öffentliche Angebote auf der Oberfläche miteinander verzahnt, es handelt sich aber um verschiedene Softwaresysteme, deren Datenbasis nicht verbunden ist. Diese Funktionen existieren auch noch gar nicht und es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte, ob und wie diese Systeme sensible Bürgerdaten austauschen.

Goldgrube?

Dass dies sofort Datenschützer kritisch auf den Plan gerufen hat und der Senat mitteilte, die Partnerschaft sei längst gekündigt, zeigt aber die Sensibilität des Themas. Denn es ist unklar, was die vollmundige Formulierung das Portal sei „der Hebel“ und „der eigentliche Schatz unseres Deals“ zu bedeuten hat. Nach erster Lektüre der Verträge sieht es so aus, als seien die vom Land eingeräumten Nutzungsrechte an der Domain berlin.de bis Ende 2021 befristet, wohingegen berlinonline.de der von den Friedrichs kontrollierten Gesellschaft zusteht. Und wenn 2022 das Portal auf eine neue Domain umziehen muss, wird das viele Nutzer kosten.

Dass vertraglich die berlin.de-Mailadressen erhalten bleiben sollen, hat allerdings schon ein Geschmäckle: Der Verleger wäre an einem E-Mail-Dienst nach Art von GMX beteiligt und hätte, wie GMX und Google, die Möglichkeit, den Mailverkehr in irgendeiner Weise technisch auszuwerten. Doch selbst dann ist ökonomisch unklar, ob das die Goldgrube werden kann, wenn das Land gekündigt hat.

Man fragt sich: Sind der Ex-McKinsey-Mann Holger Friedrich, seine Frau und deren Anwälte schlauer als das Land Berlin, haben Sie bei der Due Diligence einen „Hebel“ für sich gefunden? Die handwerklich eher unsorgfältig unpräzisen Verträge legen diese Vermutung nahe, ihre drei knappen „Side letters“ mit diversen Klarstellungen wirken laienhaft. Oder hat Holger Friedrichs einfach nur die NZZ auf einen Fehler in der Aufzählung der Beteiligungen hinweisen wollen und dabei an Kleinspurigkeit missen lassen den Mund sehr voll genommen?

Damit hätte er den Kommunikations-Malheurs ein weiteres hinzugefügt. Man mag das für unverbrauchte Frische halten, im Umfeld einer Zeitung aber, die gerade jetzt Vertrauen braucht, setzt er vor allem auch die Redaktion ein weiteres Mal Verdächtigungen aus. Auch die Berichterstattung über ein Unternehmen, in dem er eine Organstellung hatte, brachte die Redaktion in Verlegenheit, ebenso wie die wirtschaftliche Verwertung von Interviewfragen eines Wettbewerbers, die ihm als Person gestellt wurden. So agiert ein Eigentümer, kein Verleger, der ohne Rücksicht dealt und hebelt.

So sieht es aus

Umso verstörender ist, mit einem Geschäftsmodell aus der Internet-Steinzeit heute einen „Schatz“ verdienen zu wollen. In den 1990ern war es naheliegend, regionale Angebote zu entwickeln, die alles miteinander verschmolzen: Content, Community, Transaktionen. Diese Spätausläufer von AOL und Compuserve sollten als „Web-Portale“ der Ausgangspunkt der Nutzerreise sein, E-Plus und Commerzbank boten News, Wetter und Börseninfos. Sie wurden von Facebook und Google verdrängt, die weit mehr leisten, und heute kommen viele Spezialisten wie Ticketing (Eventim), Restaurants (Opentable), Reisen (Tripadvisor) und Autofahrten (ShareNow) hinzu, gegen die für einen kleinen Verlag nicht anzukommen ist. Auch die Stadtportale entstanden im Grunde aus der Not einer öffentlichen Verwaltung, die mit der Technik überfordert war und keine Budgets bereitstellen wollte. Damit war kein Blumentopf zu gewinnen, schon weil Werbung auf Behördenseiten stark reguliert war, man zugleich Dienstleister war und der Gewinn gedeckelt.

Heute besteht ohnehin weitgehend Konsens, dass es öffentliche Daten gibt (Open Data) und die Technikkompetenz selbstverständliche Anforderung an Behörden ist, die ebenso selbstverständlich digitale Bürger-Dienste anbieten. Das ist, um es im besten McKinsey-Beratersprech zu sagen, „Kernkompetenz“, das reine Portalgeschäft „skaliert nicht“.

Niemand wird freilich etwas dagegen haben, wenn der Berliner Zeitung nach harten Schrumpfjahren während des Weiterreichens von Westverlagen und Private Equity ein weiterer Niedergang erspart und die Pressevielfalt erhalten bliebe. Der große Wurf, der einen Bernstein (Deckname) von einem Bezos (Washington Post) unterschiede ist noch nicht zu erkennen. Wenn es wirklich um eine disruptiven Schritt ginge, läge er wohl eher in der Entwicklung einer digital-urbanen Kultur mit Open Source-Software und vielen kleinen Initiativen und Nachbarschaftsdiensten, die irgendwann einmal zu einem Bürgerportal „von unten“ zusammenwachsen würden.

Christoph Kappes ist Jurist, Publizist und IT-Unternehmer

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