Ein glasklarer Blick

Diaspora Eine Filmreihe in Köln zeigt wahrhaft globales Kino. Ihre Macher sind in Deutschland kaum bekannte afrikanische Regisseure
Ausgabe 38/2015

Zu sakral anmutender Musik bewegen sich Menschen in weißen Schutzanzügen durch die Nacht, ab und zu Nachbeben. Raoul Pecks Film Mord in Pacot zeigt ein Paar in den Tagen nach dem Erdbeben auf Haiti 2010, nach dem Verlust seiner Mittelschichtsexistenz. Während die Frau im Schutt wühlt, blickt der Mann nach vorne – und geht dabei über Leichen.

Unter den Trümmern des Hauses liegt auch der Adoptivsohn begraben. Um die Ausbesserungen am Haus bezahlen zu können, nimmt das Paar in dem kleinen Teil, der noch bewohnbar ist, den Mitarbeiter einer NGO als Mieter auf. Um den Mieter nicht zu verlieren, weigert sich der Mann, die Leiche des Sohns zu bergen. Pecks Film webt eine filigrane Analyse gesellschaftlicher Machtstrukturen in die Handlung ein – er kritisiert die aktionistische Wurstelei der NGOs und gewährt in der Vorgeschichte der Adoption oder den Begegnungen des Paares mit Armut einen Einblick in die haitianische Gesellschaft.

In einer Partyszene trifft die Frau (der Film ist das Schauspieldebüt der nigerianischen Sängerin Ayo) auf einen jungen Mann. Sie flirten. Immer wieder zieht er sie mit der gleichmachenden Wirkung des Bebens auf, selbst Gerüche würden die Reichen nun ebenso ignorieren wie die Armen. Filme wie Mord in Pacot zeigen die Vorzüge des Blicks von außen. Raoul Peck ist in Port-au-Prince geboren, in Kinshasa aufgewachsen, hat in Berlin an der DFFB studiert und lebt vor allem in Paris. Dieser seiner Perspektive – dem Blick von fern, aus der Diaspora – widmet die Gruppe Filminitiativ Köln zum Start von Pecks Film eine Reihe unter dem Titel African Diaspora Cinema.

Machtanalysen bilden auch den Kern von Moloch Tropical (2009), dem zweiten Film von Peck, den die Reihe in Köln zeigt. Ebenfalls mit zwei Filmen vertreten ist die französisch-senegalesische Filmemacherin Dyana Gaye, mit dem Kurzfilm Une femme pour Souleymane (2000) und ihrem Spielfilmdebüt Des étoiles (2013).

Afrika an der Seine

Darin folgt die Senegalesin Sophie ihrem Mann Abdoulaye nach Turin, der auf der Suche nach einem besseren Leben schon in die USA weitergereist ist. Verloren wartet Sophie auf die Rückkehr Abdoulayes. Erst nachdem sie bei Sprachlehrerin Ada eingezogen ist, beginnt sie, sich auf das Leben in Italien einzulassen. Das Zentrum von Dyana Gayes Film bilden Frauen, neben Sophie vor allem ihre Tante Mamy. Mit einem weltoffeneren Verleihbetrieb hätte Des étoiles in Deutschland womöglich ein Indie-Sommerhit werden können.

Der Äthiopier Dagmawi Yimer lebt seit 2006 in Italien. Bekannt gemacht hat ihn 2008 Come un uomo sulla terra, den er gemeinsam mit Andrea Segre von der antirassistischen Produktionsfirma Zalab realisierte. Der Film zeichnet in Gesprächen mit Menschen, denen die Flucht übers Mittelmeer geglückt ist, Routen nach und widmet sich der Rolle Libyens an Europas Außengrenze. Va’ Pensiero, storie ambulanti (2013) ebenfalls von Yimer, kreist um die Erfahrungen schwarzer Menschen in Italien und zwei Attentate in Mailand und Florenz. Yimers aktueller Film Asmat – Names in Memory of all Victims of the Sea ist ein filmisches Denkmal für die vor Lampedusa Ertrunkenen.

Globales, transnationales Erzählen prägte das Kinoschaffen von afrikanischen Filmemachern, die im Ausland leben, von Beginn an: 1955 drehte Paulin Vieyra gemeinsam mit Mamadou Sarr Alltagsszenen in Paris und entdeckte Afrika an der Seine. Elf Jahre später legte Ousmane Sembène sein Langfilmdebüt La noire de ... (Black Girl) vor über Diouana, eine junge Frau, die aus Dakar aufbricht, um in Frankreich als Hausangestellte zu arbeiten.

La noire de ... und Vieyras Afrique sur Seine bilden die filmhistorischen Bezugspunkte der Reihe. Die macht die Filme nicht als ortloses „Weltkino“ erfahrbar, sie stellt sie als Mosaik der Diaspora nebeneinander. Diaspora meint hier nur selten eine verstreute kollektive Identität, sondern vielmehr eine komplexe Positionierung im Dreieck von Herkunft, Aufenthaltsort und umgebender Gesellschaft.

Info

Mord in Pacot Raoul Peck Frankreich/Norwegen/Haiti 2014, 135 Minuten African Diaspora Cinema Bis 27. September, Programm unter filminitiativ.de

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