Ein Graffity in Kapstadt

SÜDAFRIKA Prozess gegen den Arzt Wouter Basson - der Kopf des Chemie- und Biowaffenprogramms des Apartheidregimes leugnet jede Schuld

Seit gut 15 Jahren arbeitet Vicky nun schon als Stenografin beim Gericht von Pretoria. Tag für Tag hält sie fest, was Richter, Angeklagte, Zeugen, Staatsanwälte und Verteidiger zu Protokoll geben. In dieser Woche hatte die Stenografin wieder Probleme mit ihrem Ellenbogen, eine Sehnenscheidenentzündung macht ihr seit Jahren zu schaffen. Was für ein Glück, dass gerade ein Arzt im Saal ist, der ihr auch prompt verspricht, am nächsten Tag ein paar gute Schmerztabletten mitzubringen. Doch plötzlich, als sie das Medikament tatsächlich bekommt, zögert sie: Bis jetzt habe sie noch keine Tablette angerührt. Denn der Doktor sitzt auf der Anklagebank des Sitzungssaales, angeklagt unter anderem des Massenmords - beschuldigt, seine Opfer teilweise vergiftet zu haben.

"Make love, not war"

Dr. Wouter Basson galt bis vor kurzem noch als einer der besten Herzchirurgen Südafrikas - spricht man heute von ihm, gilt er als Reinkarnation des Teufels, als skrupelloser "Dr. Death". Angeklagt des Massenmordes, des Drogenhandels und der Veruntreuung von Staatsgeldern, sitzt der 49jährige höchst konzentriert und scheinbar gelassen auf der Holzbank im Sitzungssaal "G.D.". Elegant gekleidet in grauem Anzug, weißem Hemd und rot-grau gemusterter Paisley-Krawatte. Neben sich die Prozessunterlagen, Block und Stift, unaufhörlich notiert er ihm wichtig erscheinende Aussagen der aufgerufenen Zeugen. Zuweilen schaut er sich um und grüßt lächelnd in die Riege der lauernden Journalisten. Dann wieder lehnt er sich nach vorn, stützt lässig seinen fast kahlen Kopf auf die geballte Faust, und folgt nach außen hin völlig unbeeindruckt dem Geschehen im Gerichtssaal.

Basson hat als Kopf des "Project Coast" das geheime Chemie- und Biowaffenprogramm der letzten Apartheidregierungen geleitet. Er war inkognito in etlichen Ländern unterwegs, um als Geheimagent die nötigen Komponenten zur Produktion tödlicher Gase und Viren zu beschaffen. Er war mit Tarnunternehmen des libyschen Staates vertraut und als Doppelagent in ausländische Geheimdienste eingeschleust. Kein Wunder, dass Basson sichtlich erleichtert gewesen sein soll, als er im Januar 1997 "nur" von der südafrikanischen Drogenfahndung verhaftet wurde - mit Waffenhändlern und Spionen wird in der Regel rigider verfahren. 1.000 Tabletten der Designer-Droge Ecstasy sollen bei ihm an jenem Tag auf dem Parkplatz von Magnolia Dell, einem Park in Pretoria, gefunden worden sein. Basson der Drogendealer? Schätzungsweise 900 Kilogramm Ecstasy, dazu Mandrax-Tabletten, LSD und Marihuana wurden - mutmaßlich unter seiner Aufsicht - im Auftrag von Apartheid-Regierungen hergestellt, um Staatsfeinde "zu neutralisieren" und die Schwarzen in den Townships zu beruhigen. "Make love, not war" - aus dem Slogan der Hippiebewegung kreierte eine rassistische und verkalkte Politikerriege eine so menschenverachtende wie wahnwitzige Konfliktlösungsstrategie.

Doch zurück zum "Agenten Basson", unter dessen Federführung eine militärische Sonderabteilung ein ebenso abenteuerliches wie tödliches Instrumentarium entwickelt haben soll: Regenschirme, die Giftkügelchen schießen, Schraubenzieher, die als tödliche Nadeln verwendet werden konnten, und Ringe, die Geheimkammern für Giftpulver enthielten. Mehr als 200 Menschen wurden mit Hilfe dieses Arsenals umgebracht, heißt es in der Anklageschrift. Bei den meisten handelte es sich um schwarze Anti-Apartheid-Aktivisten, aber auch um Mitarbeiter oder Undercover-Agenten des eigenen Dienstes - Leute, die aus irgendeinem Grund als "Sicherheitsrisiko" eingestuft waren. Um Spuren zu verwischen, sollen die Leichen in der Regel von Flugzeugen aus ins offene Meer geworfen worden sein.

In den Laboratorien von Roodeplaat bei Pretoria experimentierte eine Wissenschaftlercrew um Basson außerdem mit vergifteten Vitaminkapseln, Deodorants, Zigaretten sowie mit - durch Krankheitserreger - infiziertem Bier. Ausnahmslos Präparationen für Anschläge auf damalige ANC-Kader, die im Exil lebten. Prominentestes Opfer sollte Nelson Mandela selbst sein. Bei dem einstigen ANC-Vorsitzenden und späteren Präsidenten Südafrikas - für Jahrzehnte Staatsfeind Nummer eins - sollte 1986 im Zuchthaus von Robben Island per Injektion ein Gehirnschaden ausgelöst werden. Das Kalkül: Würde man ihn irgendwann freilassen müssen, sollte er nicht mehr in der Lage sein, dem System Probleme zu bereiten ...

Basson arbeitete nicht zuletzt auch an einem Impfstoff, um schwarze Frauen sterilisieren zu können. Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu bezeichnete die Berichte darüber als "die schockierendsten, die ich in meiner gesamten Zeit als Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission gehört habe".

Insgesamt 67 Punkte umfasst die Anklageschrift, mit der die Staatsanwaltschaft auf 270 Seiten minutiös die während der Apartheid begangenen Verbrechen rekapituliert. Das Dokument beschreibt Basson als gewissenlosen Wissenschaftler, der die abscheulichen Pläne seiner Auftraggeber skrupellos in die Tat umsetzte und überdies an außergewöhnlichen Forschungsreihen Gefallen fand. War er so etwas wie der "Doktor Mengele Südafrikas"?

Für seinen Spitznamen "Dr. Death", der bis dato dem amerikanischen Euthanasie-Enthusiasten Jack Kevorkian vorbehalten war, wird Basson selbst verantwortlich gemacht: In einem Café in Kapstadt soll er sich mit diesem Pseudonym an einer Graffity-Wand verewigt haben.

"So wie ich ihn erlebt habe, kann ich mir das alles überhaupt nicht vorstellen" sagt Anneke van Wyk (*). Sie kenne Wouter Basson als "hervorragenden Arzt, der sich um seine Patienten sehr gewissenhaft kümmerte". Anneke van Wyk assistierte Basson als Ernährungsberaterin in der Herzchirurgie des Militärhospitals von Pretoria. Sie traf ihn gelegentlich auf Parties und Grillabenden: "Er hatte immer Angst davor, seine Patienten würden von zu vielen Medikamenten süchtig!" - Samantha Parker, damals im selben Krankenhaus beschäftigt, erinnert sich, dass sie einmal für zwei Monate krank war. Da habe Basson ihr Blumen geschickt und sie zuweilen besucht. "Er war immer äußerst loyal seinen Leuten gegenüber, hat sie regelrecht beschützt. Ihr sei dieser "Dr. Death" als eine sehr hilfsbereite, sehr fürsorgliche und verlässliche Persönlichkeit im Gedächtnis geblieben. "Einmal war ich nachts auf Stand-by, und als ein Notfall durchgegeben wurde, sprang mein Auto nicht an. Wouter hat sich sofort bereit erklärt, für mich einzuspringen und ist mitten in der Nacht zum Hospital gefahren." - "Dr. Death" als Dr. Brinkmann, der ewig freundliche Vorzeigearzt aus der "Schwarzwaldklinik"?

Neuer Dienstherr ANC?

Seine unbedingter Einsatzwille als Soldat und seine fachliche Brillanz als Arzt ließen Wouter Basson bereits im Alter von 30 Jahren zum Brigadier der südafrikanischen Armee aufsteigen - eine Karierre, die normalerweise 20 Jahre dauert. Als Sohn eines Polizei-Colonels ging er unmittelbar nach dem Studium zur Armee. Man rekrutierte ihn für die Special forces, bei denen er zunächst an verdeckten Aktionen gegen Anti-Apartheid-Aktivisten beteiligt war. Er wurde zum Chef eines paramilitärischen Sanitätsbataillons ernannt, das im Kriegsfall hinter den feindlichen Linien abgesetzt werden und der regulären Truppe im Kampf beistehen sollte. Seine Experimente mit "unorthodoxem Kriegsmaterial" empfahlen in für die erwähnten Laboratorien von Roodeplaat, wo er ab 1984 selbst giftige Substanzen an Apartheidagenten verteilt haben soll.

Zacharias Louw, der Assistent von Richter Hartzenberg am Pretoria High Court, kennt die Akten seit über einem halben Jahr und sitzt Basson Tag für Tag im Gerichtssaal gegenüber. "Kein normaler Angeklagter. Basson hat die Rolle seines eigenen Anwalts übernommen. Er formuliert die Fragen vor, die seine Anwälte den Zeugen stellen! Ein Mann von überdurchschnittlicher Intelligenz. Mittlerweile verfügt Basson über mehrere Universitätsabschlüsse und berufliche Qualifikationen. Vor Gericht versucht er allerdings, den Eindruck zu erwecken, als sei er schüchtern, zurückhaltend und bescheiden", so Louw weiter. "Aber ein Mann mit derartigen Eigenschaften kann nicht in solche Geschäfte verstrickt sein, wie sie Basson vorgeworfen werden."

Vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission erschien Basson provokativ in ein traditionelles afrikanisches Hemd gekleidet. Daan Goosen, ehemaliger Laborchef in Roodeplaat, erinnerte sich als Zeuge vor der Kommission, wie er und Basson einmal bei einem Bier über ihre Arbeit gesprochen hätten. Auf die Frage, was ihn eigentlich motiviere, habe Basson entgegnet: "Ich habe eine Tochter, und eines Tages, wenn die Schwar zen dieses Land übernehmen, wird meine Tochter mich fragen, was ich dagegen getan habe. Dann bleibt mir wenigstens ein reines Gewissen." Sandra De Lange ist Gerichtsreporterin des Fernsehkanals SABC. "Ich weiß nicht, ob er das Ganze jemals in Frage gestellt hat, vielleicht hat er es ja wirklich genossen, als Wissenschaftler an geheimen Projekten zu arbeiten", sagt sie. "Vielleicht war er genau der Typ dafür, aber ich denke eher, dass es einfach von ihm verlangt wurde, und genau das vergessen heute viele." - Wouter Basson nur als Sündenbock? Samantha glaubt, man brauche jemanden aus dem alten Regime, um ein Exempel zu statuieren. "Ich hoffe, er wird freigesprochen. Er hat sogar einen Zeugen operiert", erinnert sie sich, "einen Zeugen, der gegen ihn aussagen sollte und der kurz zuvor mit einer akuten Angina pectoris ins Krankenhaus eingeliefert wurde!"

"Das wäre nun wirklich das Größte für ihn", resümiert der Jurist Zacharias Louw, "im neuen Südafrika, unter der neuen Regierung, in einem öffentlichen und glaubwürdigen Gerichtsverfahren zu beweisen, dass er in allen Anklagepunkten unschuldig ist." Luis Oelofse, für PUNT Talk Radio ebenfalls täglich im Gericht, ergänzt: "Er weiß viel mehr als wir hier erfahren, er weiß eine ganze Menge Dinge über sehr wichtige Leute - und ich meine damit nicht nur Leute in der alten, sondern auch in der neuen Regierung."

Und tatsächlich, wie von Geisterhand gesteuert, kommt da eine neue Geschichte ans Tageslicht. 1997 noch soll Wouter Basson im Auftrag der ANC-dominierten Regierung Waffen (unter anderem an Syrien) verkauft haben, damit die Anwaltskosten für Mandelas Ex-Frau Winnie im Prozess um den Tod eines 14jährigen Jungen aufgebracht werden konnten. Basson als umtriebiger Finanzmakler der neuen Eliten?

"Unschuldig" antwortete Wouter Basson zackig, als Richter Hartzenberg zur Prozess eröffnung die übliche Frage an ihn richtete. Mit einem abschließenden Urteil wird frühestens in zwei Jahren gerechnet.

(*) Auf persönlichen Wunsch der Betroffenen wurden die Namen geändert. Die tatsächlichen Namen liegen vor.

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