Ein großes Coming-out

Entdeckung Charles Jackson schrieb 1946 über Homosexualität wie noch keiner vor ihm in den USA
Ausgabe 21/2016

Auf dem Markt kam The Fall of Valor, wie Die Niederlage im Original heißt, 1946. Charles Jackson war damals bereits bekannt: Sein Debütroman The Lost Weekend – eine gute Übersetzung ist bei Dörlemann erschienen – hatte Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert. Die gleichnamige Verfilmung von Billy Wilder, der vier Oscars und die Goldene Palme in Cannes erhielt, vergrößerte den Ruhm noch. Die Erwartung war somit groß, als Jackson nun Die Niederlage veröffentlichte. Und siehe da, Thomas Mann bescheinigte ihm: „Another sensational hit!“

Aus dem Blickwinkel der Frau

Der Plot spielt Ende Juni 1943. Die USA sind seit anderthalb Jahren im Krieg; allen voran im Pazifik gegen die Japaner. PJohn Grandin, Mitte 40, macht mit seiner Ehefrau Ethel auf der Atlantikinsel Nantucket Urlaub. Sie haben diese Auszeit bitter nötig. Ihre Ehe steckt in einer Krise und soll dort gerettet werden. Auf der Fähre lernen sie die frischvermählten Cliff und Billie Hauman kennen. Cliff ist ein gutaussehender Marine-Captain, Typ: Footballspieler, der bei der Schlacht um Guadalcanal auf den Salomonen verwundet wurde.

Während die Beziehung zwischen John und Ethel weitere Abgründe, Entfremdung und Demütigungen erfährt, freunden sich John und Cliff immer mehr an. Cliff ist warmherzig, kindlich-freudig, naiv. Es dauert aber, bis der Englischdozent John, sich eingesteht, dass er Cliff begehrt. Doch wie damit umgehen? Es Ethel erzählen? Liebt er sie noch? Kann er Cliff seine Liebe eingestehen? Eine Liebe, die in den USA der 1940er Jahre unter Strafe steht? Liebt Cliff John auch? Sind es versteckte Homo-Hinweise, wenn Cliff ihm erzählt, immer nur gemeinsam mit seinem Marine-Kumpel Sex mit Prostituierten gehabt zu haben?

Bedenkt man, wie Schwule damals diskriminiert wurden, war dieser grandiose Roman im Nachkriegsamerika mehr als mutig: Homosexualität wird im Text als normal betrachtet, das innere Coming-out ernst genommen und die Implikationen, für die bestehende Ehe minutiös verhandelt. Auch weil Jackson aus dem Blickwinkel der Ehefrau Ethel erzählt.

Dieses Dilemma war dem bisexuellen Autor gut bekannt. An seinen Bruder schrieb er: „It’ll be all about ME!“ Denn jahrzehntelang haderte Jackson mit seiner Homosexualität; erst 1965 trennte er sich von seiner Frau und zog im berühmten Hotel Chelsea in New York mit seinem viel jüngeren Partner Stanley Zednik ein. Auch Cliff hat eine reale Vorlage: Jackson verbrachte 1944 den Sommer in Nantucket und lernte den Marine-Captain Vincent Kramer kennen. Er wurde wie Cliff in Guadalcanal verwundet. War Jackson in Vince verliebt?

Das andere große Thema in dem Roman ist der Krieg. Jackson schildert, wie er auf vielen Ebenen in den Alltag eindringt, ihn verformt. Dies macht sich etwa in der Alltagssprache bemerkbar: „waltende Umstände“ wird für „kriegsbedingt“ zum geflügelten Wort. Ebenso deutet Jackson die aufkeimende Kriegskritik an, wenn bei einer Parade von angehenden Rekruten geschrieben steht: „Die ganze Straße atmete Verlegenheit und Scham.“ Zudem listet Jackson im Text eindrücklich einen Auszug der Herald Tribune mit Namen von Gefallenen auf. Unheroisch geht es auch auf dem Schlachtfeld zu: Cliff erzählt, dass die US-Marines Japaner in einem Hinterhalt gelockt und getötet haben, in dem sie weiße Fahnen schwenkten. In der US-Öffentlichkeit wurde dies nur über die Japaner berichtet.

Spektakuläre Erfolgszahlen

Es überrascht nicht, dass Die Niederlage im Stil an Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig erinnert. Jackson verehrte Mann; sie verkehrten sogar zwischen 1944 – 48. Allerdings variierte Jackson den Schluss: Sein Protagonist sollte sich mit dem Schwulsein auseinandersetzen. Der Roman war zwar weniger erfolgreich als der Trinkerroman Das verlorene Wochenende und die Kritiker waren mehr als gespalten. Doch die Verkaufszahlen sind allemal spektakulär: „Beinahe 75.000 Hardcover-Exemplare und 291.000 Taschenbücher“ wurden verkauft, wie Blake Bailey in seiner Jackson-Biografie weiß. Und bei einer ganzen Generation von Schwulen fand der Roman Bewunderung. Sie lasen darin ihr Schicksal.

Info

Die Niederlage Charles Jackson Männerschwarm Verlag 2016, 304 S., 22 €

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