Ein Stück weit war es trügerischer Jubel. Als am 12. Dezember 2015 das Paris-Abkommen beschlossene Sache war, fielen im Konferenzzentrum nahe der französischen Hauptstadt alle einander in die Arme. Diplomatinnen, Fachminister, Mitarbeiter der Vereinten Nationen, Umweltschützerinnen. Der Hammer war gefallen. Ein feierlicher Moment. Endlich die Gewissheit, dass der Versuch eines neuen Klimaabkommens nicht schon wieder scheitern würde, wie 2009 in Kopenhagen.
Gleichzeitig war aber klar: Dieselben Staaten, die mit dem Paris-Abkommen versprechen, die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Zeiten aufzuhalten, haben es nicht zustande gebracht, sich auch entsprechende Klimaziele zu geben. Solche freiwilligen Selbstverpflichtung
pflichtungen sind das Kernstück des Paris-Abkommens. Vorgaben dazu, wer wann was tun muss, gibt es nicht.Was die Staaten sich im Vorfeld des Pariser Gipfels an Zielen für 2030 gesetzt hatten, ließe nach mehreren Prognosen eine Erhitzung um drei bis vier Grad zu. Weil das von vornherein bekannt war, vereinbarten die Staaten, ihre Klimaziele alle fünf Jahre gemeinsam hochzuschrauben.Wenn sich vom 2. Dezember an die internationale Klimadiplomatie in Madrid zur nächsten UN-Klimakonferenz trifft, steht das Paris-Abkommen deshalb vor seiner ersten großen Bewährungsprobe: Im kommenden Jahr sollen neue und verbesserte Klimaziele der fast 200 Staaten auf dem Tisch liegen, also sollte der Prozess in Madrid zumindest losgehen.Die Hoffnung: Wenn einige Staaten vorangehen, werden die anderen nach und nach mitmachen. Schließlich bekommen Staaten, die nicht nachziehen, ein Imageproblem. Vor allem die großen Player auf der Weltkarte haben sich bislang zurückgehalten. Russland hat das Paris-Abkommen im September immerhin endlich ratifiziert. Dafür haben die USA ihren Austritt im November offiziell in die Wege geleitet. Deutschland wird mit seinem umstrittenen Klimapaket nach Madrid fahren, das nach allseitiger Einschätzung kaum ausreicht, um auch nur das bisherige Klimaziel einzuhalten. Gemischte Gefühle also.„Irre viele Schlupflöcher“Der Gipfel ist freilich nicht nur für die Präsentation neuer nationaler Pläne da. Die formale Agenda auf dem Verhandlungsparkett ist kurz, aber hat es in sich. Vor allem soll es darum gehen, wie Länder in Zukunft untereinander mit dem Klimaschutz handeln. Das soll im Rahmen des Paris-Abkommens erlaubt sein, wie schon bei seinem Vorgänger-Protokoll von Kyoto. Vor allem die Schweiz und Brasilien haben großes Interesse daran bekundet. Der Gedanke ist, dass die Schweiz dann in Brasilien etwa einen Windpark finanzieren könnte, für den vor Ort die Investoren fehlen. Den Klimaschutzeffekt würde sich die Schweiz dann selbst zuschreiben und käme ihrem Klimaziel so näher. Idealtypisch ist es also eine Win-win-Situation: In Brasilien ginge es diesem Beispiel nach bei der Energiewende schneller voran, die Schweiz hätte gegenüber der Klimaschutzinvestition im eigenen Land Geld gespart.„So ein Handel zwischen den Staaten kann funktionieren, solange dadurch zusätzliche Klimaschutzprojekte angestoßen werden“, meint der Klimaökonom Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. „Um das sicherzustellen, braucht es ein umfangreiches Kontrollsystem für Käufe und Verkäufe von CO2-Zertifikaten.“ Ein solches müsse der Gipfel liefern. „Sonst ist die Integrität des ganzen Paris-Abkommens in Gefahr.“Die Befürchtung vieler Umweltschützer ist: dass etwa Brasilien herunterspielt, was es selbst an Klimaschutz leisten könnte, um sich einen Teil davon bezahlen zu lassen. „Ich sehe es nicht kommen, dass man das wirkungsvoll verhindern kann“, meint Ann-Kathrin Schneider vom BUND. Der CO2-Handel könnte so dem Kernstück des Paris-Abkommens im Weg stehen: der erhofften Aufwärtsspirale bei nationalen Klimazielen.Bloß nicht schuld seinZudem droht die Gefahr, dass Länder wie die Schweiz durch die Zahlungen ihre versprochenen Klimaziele formal erreichen, obwohl sie ihre eigene Wirtschaft gar nicht umstellen – wenn keine Regelung gefunden wird, die eine übermäßige Nutzung von CO2-Zertifikaten unterbindet. „Es gibt wahnsinnig viele Schlupflöcher für alle, die weiter Profit aus der Klimakrise schlagen wollen“, sagt Kathrin Henneberger vom Aktionsbündnis Ende Gelände. Sie wünscht sich, dass es auf der internationalen Ebene mehr darum geht, Schluss zu machen mit der fossilen Energiegewinnung: „Wenn man es ernst meint damit, die Klimakrise aufzuhalten und bald keine Treibhausgase mehr auszustoßen, ist das die logische Konsequenz. Die Diskussion um CO2-Märkte lenkt davon ab.“Placeholder infobox-1Tatsächlich taucht das Wort Kohle im Paris-Abkommen nicht auf. Auch die Begriffe Öl oder Gas sucht man vergeblich. Einzig ein kleiner Paragraf findet sich, in dem auf Drängen einiger lateinamerikanischer Staaten vermerkt wurde, dass es auch Klimaschutzmaßnahmen geben müsse, die nicht über Märkte geregelt würden. Ein gemeinsames Vorgehen wie beim CO2-Handel gibt es aber nicht.Für die Politikwissenschaftlerin Lena Partzsch von der Universität Erfurt ist der Fokus auf Marktmechanismen sowohl Symptom als auch Antrieb für globale Ungerechtigkeit. Die Industrieländer können schließlich ihren Wohlstand nutzen, um weiter Treibhausgase auszustoßen. „In einer Welt, in der Kapital so ungerecht verteilt ist, wie in der unseren, droht die gegenwärtige Klimapolitik gesellschaftliche Asymmetrien zu verschärfen“, warnt Partzsch.Neben dem CO2-Handel gibt es ein zweites großes Thema in Madrid: die Überprüfung des „Warschau-Mechanismus“ für Schäden und Verluste. Der wurde 2013 in Polen beschlossen – also zwei Jahre bevor das Paris-Abkommen zustande kam. Nun muss geklärt werden, wie er in die Verhandlungen in diesem neuen Rahmen eingegliedert wird. Das klingt nach einer Formalie, ist aber hochpolitisch. Letztendlich geht es darum, wie die Welt damit umgeht, dass die Klimakrise unvermeidlich dazu führen wird, dass Existenzen, Lebensräume, Naturschätze und Kulturgüter vernichtet werden – vor allem im globalen Süden. „Dort fehlt es an Geld für einen Wiederaufbau, wenn zum Beispiel ein Sturm ganze Landstriche verwüstet hat – dabei haben die am stärksten betroffenen Länder am wenigsten zum Problem beigetragen“, sagt Sabine Minninger von Brot für die Welt. „Es ist nötig und wäre auch nur fair, wenn Geld aus dem Norden in den Süden fließt, und zwar spezifisch für diese Fälle, nicht nur im Rahmen sonstiger Zahlungen oder freiwilliger Spenden.“Das ist umstritten. Nicht etwa, weil die Not der betroffenen Länder in Frage stünde. Es geht um Geld, viel Geld. Die Industrieländer wollen auf keinen Fall, dass ein Beschluss wie eine Art Schuldeingeständnis gewertet werden kann, das dann eine Haftung für die ganze Klimakrise nach sich ziehen könnte. Dass das passiert, ist im Paris-Abkommen eigentlich ausgeschlossen, schwingt in der Debatte aber trotzdem mit. Die Frage nach der Gerechtigkeit zieht sich durch die Streitthemen auf dem Gipfel – gerade weil das Paris-Abkommen sie nicht geklärt hat. Wer ist als Erstes damit dran, seine Emissionen auf null zu bringen? Wer muss wie viel Geld zahlen, um armen Staaten zu helfen? Jeder Staat darf in seinem Klimaziel selbst entscheiden, was er fair findet. Eine Garantie, dass die losen Fäden sinnvoll zusammenkommen, gibt es nicht.Der Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber von der Freien Universität Berlin meint, dass die lose Struktur des Paris-Abkommens zu schwachen Ergebnissen führt. Konflikte würden „immer besser kaschiert“, sagt er. „Auch noch so geringe Ergebnisse werden von der Klimadiplomatie sehr gut ‚verkauft‘ “, sagt er. Durch den Verweis auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes werde begründet, warum schlechte Deals nicht einfach platzen. Sprich: Es wird lieber mit allen zusammen irgendetwas beschlossen – als gar nichts. Lena Partzsch gibt zu bedenken, dass die internationale Zusammenarbeit im Klimabereich im Vergleich zu anderen Politikfeldern trotz aller Unabwägbarkeiten weit fortgeschritten sei. „Immerhin gibt es eine Rahmenkonvention, regelmäßige Verhandlungen und den gemeinsam erklärten Willen, etwas zu tun.“ Ein Normenwandel sei schon sichtbar, findet die Politikwissenschaftlerin. Nur seien es zurzeit nicht die Regierungen, die ihn vorantreiben. „Die Klimakrise steht in der öffentlichen Debatte, viele Menschen achten beim Konsum auf Nachhaltigkeit, gehen auf die Straße, haben ihr Wahlverhalten geändert – und gerade junge Menschen mischen die politischen Parteien auf.“Placeholder authorbio-1
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