Ein Hauch von Hochstapelei

SPANIEN Premier Aznars "Partido Popular" im Rhönrad zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex

Als sich jüngst die 14 EU-Regierungen auf Sanktionen gegen den 15. im Bunde verständigten und damit Österreichs neues Rechts-Rechts-Regime in Quarantäne steckten, legte Spaniens Premier José Maria Aznar großen Wert darauf, unter den Hütern demokratischer Werte in der ersten Reihe zu stehen. Das war pikant. Wenn es in Westeuropa eine Partei gibt, die alle ideologischen Versatzstücke beider Wiener Koalitionspartner allein in sich vereinigt, so ist es Aznars Partido Popular (PP): Von dem mit neoliberaler Tünche überschminkten reaktionären Klerikalismus der ÖVP bis hin zum philo-faschistischen Populismus der FPÖ.

José Maria Aznar ist zwar in vielem des gleichen Geistes Kind wie Jörg Haider, doch dem verklemmten Spanier fehlt jegliches Talent zum Stammtisch-Einpeitscher. Das hilft ihm, sich so darzustellen, wie er seit einigen Jahren aus taktischem Kalkül gern gesehen werden will: als Mann der Neuen Mitte, der eine staunende Öffentlichkeit ungeniert wissen lässt, sein Rang in Europa werde der eines Tony Blairs sein. Was der Brite für eine "Neue Sozialdemokratie" getan habe, gedenke er für die Transformation des rechtsbürgerlichen Spektrums zu leisten. Aber nicht nur Blair gilt als Maßstab - auch an der Statur des Konservativen Jacques Chirac pflegt Aznar gelegentlich Maß zu nehmen: Sein Versuch, sich mit dem französischen Staatschef auf eine Stufe zu stellen, weist auf einen tradierten Wesenszug der spanischen Konservativen: Nicht erst nach den 40 Isolationsjahren der Franco-Diktatur - doch insbesondere als Folge derselben - schwanken sie im Blick auf den Rest der Welt in grotesker Weise zwischen anmaßendem Größenwahn und den uneingestandenen Minderwertigkeitskomplexen des ewigen Provinzlers. "Französisiert" gilt zwar als Schimpfwort, aber man schielt neidvoll auf die aristokratischen Tischsitten des Elysée.

Eine logische Folge der Sozialstruktur des konservativen Milieus in Spanien, wo ein unternehmerisches Großbürgertum in nennenswertem Ausmaß nur in Katalonien und dem Baskenland existiert. Regionen, in denen es zudem bürgerlich-nationalistische Parteien gibt, die zu Regierungszeiten von Felipe González die Sozialisten gegen den PP unterstützt haben. Ansonsten wurzelt der beinahe nur in seiner rabiat rechten Erscheinungsform existierende spanische Konservatismus vorrangig unter ländlichen Oligarchen und städtischem Beamten-Kleinbürgertum, das der einer Familie von Staatsdienern entstammende, gelernte Steuerprüfer Aznar trefflich präsentiert. Dieses Biotop stützt sich traditionell auf drei Säulen, die mangels anderer Ideen zu Grundwerten an sich erhoben wurden: die Krone, die Armee (einschließlich Guardia civil) und die Kirche. Auf diesen Felsen ist allerdings längst kein Staat mehr zu bauen. Wohl ist auch unter jungen Spaniern die übliche exhibitionistische Form der Religionsausübung weit verbreitet, doch handelt es sich dabei eher um unbewusste heidnische Folklore. Der Einfluss des Klerus sank nicht zuletzt als Folge gründlich gewandelter realer Sexualmoral - die rigide Bevorzugung der Kirche durch die PP-Regierung im Bildungswesen tut dem offenkundig keinen Abbruch.

Die Uniformierten wiederum sehen sich mit einem König konfrontiert, der mit seinem Staatsverständnis für Unordnung in den vordem festgefügten Lagern von konservativen Monarchisten und progressiven Republikanern gesorgt hat. Juan Carlos bemühte sich erst gar nicht zu verbergen, dass ihm der weltläufige González sympathischer war als der provinzielle Aznar. Auf das Königshaus werden die Konservativen im Übrigen auch künftig nicht setzen können, denn Kronprinz Felipe macht aus seinem "republikanischen Monarchismus" kein Hehl.

Somit haben Spaniens Konservative ihre ursprünglichen Anker weitgehend verloren, die Franco noch in seinem Regime bündelte. Die nach dessen Tod 1976 mit Hilfe der CSU-nahen Hans-Seidel-Stiftung gegründete Alianza Popular, die später in Partido Popular umbenannt wurde, blieb zunächst denn auch notorisch erfolglos. Der Aufstieg begann erst in den Neunzigern, als der PP zunächst einmal die liberale Konkurrenzpartei UCD inhalierte und damit rechts von der Mitte eine Monopolstellung erlangte. Als man zudem im Schafspelz postmoderner Beliebigkeit aufzutreten lernte, war schließlich 1996 die Ablösung der an der Macht degenerierten Sozialisten keine Überraschung mehr.

Das bescherte dem politischen Konservatismus eine schwer zu erschütternde neue Identität in Gestalt vielfacher Pfründe, die nun zu vergeben waren. Zieht man eine nüchterne Bilanz seiner ersten vier Regierungsjahre, so zeigt sich, dass er nahezu nichts angepackt und bewegt hat. Abgesehen von zwei Bereichen: Ideologische Duftnoten von zweifelhafter Güte wurden in der Bildungs- und Kulturpolitik sowie im Justizbereich in Form restaurativer Postenvergabe gesetzt. Im Dezember sah sich Francos letzter Chef der staatlichen Zuchthausverwaltung zum obersten Staatsanwalt im Rechnungshof ernannt, der in Spanien dem Justizressort untersteht und bei parteipolitischen Kontroversen als Schlüsselbastion gilt. Zweiter Aktivposten war die kräftige Belebung des Sektors Korruption, was indes als neoliberale Wirtschaftsreform verkauft wurde. Der dritte ergab sich mit der schamlosen Gleichschaltung der staatlichen Hörfunk- und TV-Anstalten, so dass der PP nun über eine hörige Medienmacht wie keine andere Regierungspartei in Westeuropa verfügt. Daher schaden Aznar auch aufgedeckte Korruptionsfälle nichts. Die Mehrzahl der Medien, die zu Zeiten der PSOE-Regierung jeden Tag ein vages Gerücht als bewiesene Tatsache sozialistischer Verfehlungen hinaustrommelte, betreibt nun servilen Verlautbarungsjournalismus - ein wirkungsvoller Beitrag zu einer vom PP augenscheinlich gewünschten Narkotisierung des politischen Lebens.

Mit der absoluten Mehrheit für Aznar bei den Parlamentswahlen vom 12. März scheint der Triumph total, doch er ist trügerisch. Die in Spanien häufig anzutreffenden intellektuellen

Beschwichtiger, die versichern, der Franquismo sei nicht mehr zu restaurieren, weil die Rechte ihr Wesen gewandelt habe, liegen in einem Punkt gewiss nicht falsch: Der Konservatismus ist in seiner politischen Form als PP-Regierung zum Weichensteller im Dienst des spekulativen Finanzkapitals mutiert. Die wichtigsten Köpfe des PP während des Wahlkampfes waren die in großer Zahl von den Privatunternehmen abgestellten Propagandaexperten, die das Erscheinungsbild der Partei stärker prägten als eigene Politiker. Der Schein bestimmte das Bewusstsein und sorgte für Mehrheiten. Langfristig sichert das keine stabile soziale Basis - und somit kein eigenständiges Sein.

Die bisherigen Artikel in unserer Reihe erschienen zu Frankreich (Freitag 9/2000), zu Italien (Freitag 11/2000) und Österreich (Freitag 12/2000).

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