In der Anti-Globalisierungsbewegung wird viel von Anarchisten oder Autonomen gesprochen und dabei - zumindest in Italien - die Rolle der katholischen Kirche und ihrer Laienorganisationen völlig unterschätzt. Sie stellen jedoch mehr als die Hälfte der Aktivisten in Genua. Seit Jahren fordern schließlich ein ansonsten zumeist reaktionärer Papst und die Kurie einen erneuten Schuldenerlass für die Länder des Südens. Bei der Brüsseler UN-Konferenz über die Least Developed Countries (LDC) im Mai hatte der Heilige Stuhl ganz klar Position bezogen. »Eine Weltgesellschaft, die so viele ihrer Bürger am Rande des Fortschritts lässt, hat keinerlei Recht, sich selbst global zu nennen.«
Das heißt jedoch noch lange nicht, dass die
e nicht, dass die Kirche sich kritiklos hinter eine teils amorphe Anti-Globalisierungsbewegung stellt, steht sie doch im steten Austausch mit Weltbank und IWF, die neben der Welthandelsorganisation WTO zu den Hauptgegnern des Popolo di Seattle zählen. Die Kirche sucht den »christlichen Weg zur Globalisierung«, wie es Genuas Erzbischof Kardinal Dionigi Tettamanzi, ausdrückt.Traditionelle Milieus verschwindenDass die vielen linksorientierten Gruppen und NGO auf ihrem gemeinsamen Weg vom G 7-Gipfel in Birmingham (1998) über den europäischen Marsch in Köln (1999/s. Randspalte) und das WTO-Treffen in Seattle (1999), über Davos, Prag und Nizza im vergangenen sowie Porto Alegre (Weltsozialforum) in diesem Jahr zusammengefunden haben, scheint fast ein Wunder. Das italienische Beispiel wirkt in dieser Hinsicht besonders eindruckvoll. In Neapel etwa, der Millionenmetropole des Mezzogiorno, mit ihren erdrückenden sozialen Spannungen - die Erwerbslosigkeit liegt bei mehr als 23 Prozent - hat sich eine vitale Basisbewegung entwickelt, die das Stigma der sozialen Benachteiligung in politische Aktivität umzuwandeln versteht und sozusagen eine Süd-Süd-Solidarität mit Dritte-Welt-Ländern praktiziert. Gennaro Massimino (35) - ein Krankenpfleger, der in seinem Beruf nur noch Zeitverträge kennt - verdient monatlich nach dem Tarifvertrag umgerechnet 2.200 bis 2.300 Mark, arbeitet dafür aber oft mehr als 45 Wochenstunden. »Für mein politisches Engagement zählt nur die Realität, in der ich lebe«, meint er. Geboren im Quartier Sanità, begann er Anfang der neunziger Jahre mit linken Bewegungen zu sympathisieren. Heute hilft er in einem »Volksambulatorium«, das Immigranten versorgt, die wegen fehlender Aufenthaltspapiere von regulärer medizinischer Betreuung ausgeschlossen bleiben. Massiminos »Dachorganisation« ist das Netzwerk Rebellischer Süden, das nicht davor zurückschreckt, für seine Zwecke auch Gebäude mitten im Zentrum Neapels zu besetzen. Die politische Autonomie solcher Strömungen in dieser Stadt ist auffallend groß. Die Akteure haben teilweise sehr unterschiedliche Sozialisationen durchlaufen. Parteien kommen als Bezugspunkt kaum noch in Frage - außerdem existieren der Partito Comunista, die Democrazia Proletaria oder Lotta Continua nicht mehr, die Ideologien überlagern sich, die traditionellen Milieus existieren nicht mehr.Klassenkampf kehrt zurückAuch diesen anderen Ansatz trägt Gennaro Massimino nach Genua. Dass sich mit dem Popolo di Seattle eine soziale Bewegung neuer Qualität gebildet hat, ist für ihn unübersehbar. Trotz erheblicher Differenzen zwischen Gewerkschaftern, Anarchisten, Centri Sociali, Katholiken und Rifondazione Comunista würden doch alle am selben Strang in ihrem Protest gegen den globalisierten Kapitalismus ziehen.So dürften bei der großen Demonstration am 21. Juli Arbeitslose neben Immigranten, Kurden neben Palästinensern, Studenten neben Schülern, Kommunisten neben Anarchisten marschieren. »In Genua gibt es zum ersten Mal eine wirkliche Koordination«, sagt Francesco Minici (26), verantwortlich für die neapolitanischen Jungkommunisten von Rifondazione. »Dass wir dabei sind, ist von einigem Wert. Wir schaffen die Verbindung zwischen den Arbeitern und dem Popolo di Seattle. Zum ersten Mal nach Seattle ist auch die Arbeiterbewegung wieder präsent ... « Euphorisch erklärt er noch, man werde in Genua Zeuge der »Rekonstituierung des sozialen Subjekts« sein. Die »Idee des Klassenkampfs« kehre zurück.»Bis vor kurzem haben wir und die Centri Sociali nicht miteinander gesprochen«, sagt Francesco noch. Das sei nun anders, man müsse schließlich gemeinsam auf gewalttätige Aktionen eingestellt sein. »Wir lehnen Gewalt auf der Straße ab - die politische Hegemonie erreicht man mit anderen Mitteln.«»Wenn ich in einer Demonstration mitmarschiere, fühle ich mich unterdrückt«, sagt Gennaro Massimino. »Sie greifen dich an und du reagierst instinktiv, wenn du Polizisten mit Steinen werfen siehst. Ich rede nicht von Gewalt, sondern von Selbstverteidigung, aber Waffen wie Steine oder Stöcken nehme ich nie mit.« - Eindeutig gegen Gewalt spricht sich auch Alberto Clarizia (50) aus. Er war schon am Gegengipfel zum G 7-Treffen 1994 in Neapel beteiligt. »Gewalt lag bei all diesen Geschichten immer in der Luft. Genau vorhersagen ließ sich das nie.« Unterschiede zu 1994 sieht er kaum. »Damals vertraten wir schon die gleichen Ziele. Vielleicht aber gibt es heute ein stärkeres Bewusstsein dafür, was Globalisierung bedeutet.«