Ein Hauch Weihrauch

Weltjugendtag Welchen Sinn hat das neue Interesse an Religion?

Man möchte dieser Tage an den alten Moses denken, der, mit Gesetzestafeln bepackt, vom Berg Sinai hinabstieg und die Israeliten im selbstvergessenen Tanz um ein goldenes Kalb vorfand. Während Moses oben mit Gott rang, langweilte sich das Fußvolk unten und buk sich einen Götzen. So sind sie, die Massen. Die alttestamentarische Fabel von Monotheismus, Askese, Vergeistigung und dem Verdacht gegen den falschen Schein ist fester Traditionsbestand christlichen und bürgerlichen Denkens, und sie hat doch nie zu eindeutiger Moral beigetragen. Weshalb die katholische Kirche jetzt zum Weltjugendtag wieder einmal den Mammon anprangert und zugleich ihre Marketingstrategen auf Hochtouren Papst-T-Shirts, Schweißbänder und Schlüsselanhänger mit Weltjugendtagslogo produzieren. Weshalb Presse, Funk und Fernsehen das kirchliche Großereignis fett begleiten - auf 400.000 registrierte Dauergäste kommen 4.000 Journalisten - und parallel kommentieren, dass das alles nur eine große Show sei, nichts Ernstes. Ja was denn sonst?

Zum Weltjugendtag herrscht Skepsis über die "wahre" Motivation und Bedeutung des Ereignisses. Allenthalben wird gefragt, ob sich eine "Wiederkehr der Religion" ankündige. Doch dass diese Jugendlichen - mit Pille und Kondomen im Gepäck, Gott sei Dank - wirklich der offiziellen katholischen Lehre folgen wollen, glaubt niemand. Und dass die Kirche selber an ein Comeback der frommen Christlichkeit in Europa glaube, auch nicht.

Irgendetwas wie Weihrauch liegt aber doch in der Luft, und es sind nicht allein die im vergleich mit den Vorjahren sogar gesunkenen Pilger-Zahlen, die diesen Duft ausmachen, sondern das Quantum und die Art der Berichterstattung. Sicher, der Papst kommt, und es ist ein deutscher Papst, und Kurie rangiert publizistisch sowieso auf einer Ebene mit Königshaus - aber es ist, als würden die Medienmacher sich selber wundern, warum sie sich in Sachen Spiritualität plötzlich so ins Zeug legen. Eine Erklärung ist immer schnell bei der Hand und niemals falsch: Das neue Interesse an Religion stamme aus einem Sinndefizit. Da ist was dran, aber warum soll ausgerechnet ein Papst, ausgerechnet der konservative Katholizismus für Sinnstiftung wieder hoffähig werden? Er hat Bilder. Er hat mehr Bilder als die anderen Religionen, und er hat Bilder, die wir kennen.

Die gesteigerte Berichterstattung übers Christentum, und sei es nur als Kult und Trash, mag gegenwärtig einem Bedürfnis geschuldet sein, sich der eigenen Kultur zu versichern. Seit der kalte Krieg ideologisch um Religion, nicht um Politiksysteme geführt wird, kramt man - bewusst oder unbewusst - auch in alten Residuen, und da ist der Gekreuzigte näher als Allah, auch wenn man nicht mehr "wirklich" daran glaubt. Die Ikonen christlicher Prägung, die wie verpuppte Sinngehalte noch in großen Teilen der Gesellschaft schlummern, bergen zudem Gefühle. Religiöses lässt sich über Bilder als unmittelbare Ressource im Affekthaushalt quasi "anklicken" - schon regt sich etwas wie Erinnerung oder Rührung. Auch das hat vielleicht nicht viel mit "wirklichem" Glauben zu tun, fühlt sich aber so an.

Letztlich aber scheint der Christentums-Trend, wenn es ihn denn gibt, nicht wirklich eine Hinwendung zu Religion zu sein, sondern ein Ablassen von der expliziten Distanzierung von ihr. Religiöse Themen und Argumente sind heute diskursfähiger und weniger tabu als noch vor 10 oder 20 Jahren. Und das hat nicht nur mit existenzieller Sinn- und politisch motivierter Kultursuche zu tun, sondern mit veränderten Wahrnehmungsstrukturen. Der Umgang mit neuen Medien, mit virtuellen Realitäten, verändert schleichend eben auch das, was wir für möglich, wirklich und für rational halten. Die Bildlogik des Christentums ist dem Computerzeitalter näher als der logos der Aufklärung. Warum soll das nicht auch Auswirkungen auf religiöse und weltliche Überzeugungen haben?

Zurückdrehen lässt sich die Uhr nicht, trotz Retro-Look. Wenn es eine neue, durchs Virtuelle geprägte "Religiosität" gibt, wird sie nicht das alte monotheistische Christentum sein, das Konservative sich wünschen. Und wenn wir annehmen, dass Gott die Geschicke lenkt, hat er sich wohl etwas dabei gedacht.


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