Ein Held und sein Verräter

Spielfilm Black-Panther-Führer Fred Hampton wurde 1969 vom FBI ermordet. „Judas and the Black Messiah“ widmet sich dieser Geschichte
Ausgabe 26/2021

William O’Neal hat die Wahl. Jedenfalls behauptet das FBI, ihm eine solche zu geben. Entweder er geht mindestens fünf Jahre ins Gefängnis oder er arbeitet für die geheime Staatsgewalt. Denn O’Neal hat sich erdreistet, sich ausgerechnet als Schwarzer mit einem gefälschten FBI-Ausweis eine kleinkriminelle Existenz zu erwirtschaften. Weshalb er jetzt als Spitzel bei der Illinois-Sektion der Black Panther Party anheuern muss. Man schreibt das Jahr 1968, Chicago gleicht einem Pulverfass, und der sozialistische Panther-Aktivist Fred Hampton ist ein aufsteigender Stern, der durch O’Neal nunmehr zum Verglühen gebracht werden soll.

Judas and the Black Messiah funktioniert auf dieser ersten Ebene tatsächlich wie ein schlichter Maulwurfkrimi: Langsam erwirbt der Neuzugang das Vertrauen der Panther-Gemeinschaft und ihres charismatischen Anführers, überspielt dabei geschickt so manchen gerechtfertigten Verdacht und steigt bis zum Sicherheitschef auf, der Hampton zu den wichtigsten Auftritten und Treffen begleitet.

Die Infiltration des Gegners als kriminalistisches Genrestück zu inszenieren, straft den Titel Judas and the Black Messiah jedoch Lügen. Denn O’Neal, von LaKeith Stanfield als stets leicht nervöser Charmeur gespielt, ist zwar letztlich ein Verräter, aber sicher kein Jünger, der in Hampton den Schwarzen Erlöser sieht. Und dessen politische Reden wiederum, von Daniel Kaluuya sichtlich mit Leidenschaft vorgetragen, sind keineswegs dazu angetan, alle Schwarzen des Viertels hinter sich zu versammeln: Politische Reden zu schwingen kann auch harte Arbeit sein.

Judas and the Black Messiah, der auf einer wahren Geschichte basiert, präsentiert am Ende einen kurzen Interviewausschnitt mit dem echten O’Neal sowie einige Texttafeln, die von der Zerschlagung der Chicagoer Black Panther im Dezember 1969 erzählen, als das FBI Hamptons Wohnung stürmte und den Bürgerrechtler dabei vorsätzlich erschoss. „Prison is only a temporary solution“, hört man FBI-Chef Hoover im Film sagen. Die lachenden Polizisten beim Abtransport der Leiche Hamptons zeigt Judas and the Black Messiah nicht mehr, man kann sie sich aber auf Archivbildern ansehen. O’Neal wiederum konnte seine Enttarnung noch bis 1973 verhindern – nicht aber die persönlichen Konsequenzen für seinen Verrat.

Man merkt, wie schwer es Regisseur Shaka King fällt, die Balance zwischen seinen beiden Hauptdarstellern zu finden (tatsächlich waren Stanfield und Kaluuya beide für den Oscar als Bester Nebendarsteller nominiert; Kaluuya hat ihn bekommen). Dies ist dem Umstand geschuldet, dass King in erster Linie die Geschichte Hamptons erzählen, bei aller erkennbaren Sympathie für den Aktivisten aber in O’Neal den filmisch interessanteren Charakter vorfindet: Von Gewissensbissen geplagt, verliert der Maulwurf zunehmend die Kontrolle auch über sich selbst.

Dass Judas and the Black Messiah wie manch andere Produktion der vergangenen Monate, von The Trial of the Chicago 7 bis The Underground Railroad, als Film der Stunde rezipiert wird, macht ihn weder besser noch schlechter. Merklich gestiegen ist indes das Interesse der großen Studios am gesellschaftskritischen Geschichtsunterricht. Dies hinterlässt einen ambivalenten Eindruck: Einerseits erreicht ein Spielfilm über einen ermordeten Black-Panther-Führer nicht nur ein dokumentarisch interessiertes Nischenpublikum; mit der Tradition des tatsächlich politischen Kinos der 1960er-Jahre hat Judas and the Black Messiah als starbesetzte Hollywoodproduktion aber nichts gemein. Im Gegenteil erzeugen Frisuren, Autos und Klamotten als Zeitkolorit ein perfektes Sprungbrett, um in die Geschichte der Black Panther einzutauchen wie in ein fernes Abenteuer.

Info

Judas and the Black Messiah Shaka King USA 2021; 126 Minuten

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