Ein Hundesohn macht noch keinen Schurkenstaat

USA-REALPOLITIK IN SÜDOSTASIEN Einst galt Suhartos Ausrottungskrieg gegen die Kommunisten für die CIA als Modell zur »Befriedung« Vietnams

Dass die indonesischen »Sicherheitskräfte« bei ihrer 24-jährigen Besetzung von Osttimor mindestens ein Fünftel der Bevölkerung umgebracht haben und jetzt in Dili Leichenberge auf den Straßen liegen: Schuldig und verantwortlich sind auch die Schreibtischtäter und kissingerischen Realpolitiker aus Washington. Man muss sich nur an die indonesische Geschichte erinnern wollen. Gerade weil die journalistischen Stenographen der Macht die historischen Ereignisse säubern oder ganz verschweigen.

Daher zurück zum Jahr 1965, als die Weichen gestellt wurden für General Suharto, den Mann, der später als indonesischer Präsident Osttimor terrorisieren ließ. Selbst eine Studie des US-Geheimdienstes CIA bezeichnete Suhartos Machtergreifungsmassaker an 250.000 Kommunisten als »einen der schlimmsten Massenmorde des 20. Jahrhunderts«. Andere Schätzungen sprechen von einer halben Million Toten: Die etwa drei Millionen Mitglieder zählende Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) war damals die stärkste Partei des Landes und drittgrößte kommunistische Partei der Welt.

»Ich habe vermutlich viel Blut an meinen Händen, aber das ist nicht unbedingt schlimm. Manchmal muss man hart durchgreifen«. Kein Zitat aus dem Munde Augusto Pinochets, sondern aus dem von Robert Martens, 1965 Mitarbeiter des US-Botschaft in Indonesien und Fachmann für Fragen des Kommunismus. Er habe zwei Jahre lang mit einer Arbeitsgruppe von Diplomaten und Geheimdienstlern Namenslisten indonesischer Kommunisten zusammengestellt, die von der US-Mission dann der indonesischen Armee übergeben wurde, berichtete Martens schon vor Jahren in einem Interview mit dem US-Pressedienst States News Service. Die Informationen der Amerikaner über die Parteistruktur der Kommunisten seien oft besser gewesen als die des indonesischen Militärs.

Was mit denen, die auf den Botschaftslisten als Kommunisten genannt oder einer Mitgliedschaft in der PKI verdächtigt wurden, passieren würde, sei bekannt gewesen, so laut States News Service Joseph Lazarsky, damals stellvertretender Leiter des CIA-Stützpunktes in Jakarta. »Wir wussten, was los war. Die Indonesier würden ein paar Kommunisten am Leben halten und vor Scheingerichte stellen, aber Suharto und seine Berater sagten, wenn man sie leben ließe, müsste man sie auch durchfüttern«. Indonesien habe seinerzeit als ein »Modell für Vietnam« gegolten, erläuterte später William Colby, 1965 zuständig in der CIA für den Fernen Osten, dann Chef des »Phönix-Befriedungsprogammes« in Südvietnam und später CIA-Direktor. Bei »Phönix« wurden laut Colby nur »gut 20.000 Vietnamesen« umgebracht, bedeutend weniger als Kommunisten in Indonesien.

Die maßgebenden US-Medien haben Suharto damals gefeiert, ein moderater Mann in Asien, dem man vertrauen könne beim Kampf gegen den Kommunismus. Das Positivimage blieb: In seiner letzten Inkarnation feierten Washington (und Bonn) Suharto noch vor zwei Jahren als Kämpfer für die freie Marktwirtschaft. In Ungnade fiel der Diktator erst, als er im Frühjahr 1998 die »Stabilisierungsprogramme« des IWF und der großen Banken nicht mehr durchsetzen konnte oder wollte. Dann »entdeckte« man plötzlich die Korruption seines Regimes, und er durfte abdanken.

Suhartos Terrorkampagne in Osttimor hatte bekanntlich am 7. Dezember 1975 mit dem Einmarsch in Dili begonnen. Am Tag zuvor waren Präsident Gerald Ford und Außenminister Henry Kissinger bei Suharto gewesen. Das Duo hatte nichts gegen die Invasion. Man wusste im voraus Bescheid, wenigstens ungefähr, und wollte den wichtigen Verbündeten in der Region nicht brüskieren. Die meisten indonesischen Waffen beim Einmarsch in der ehemaligen portugiesischen Kolonie waren made in the USA. Ford schickte zusätzlich Bomber für den Krieg gegen die osttimoresische Guerrilla, obwohl der Einsatz dieser Waffen gegen das vertraglich festgelegte Verbot des Einsatzes von US-Rüstungsexporten zu »offensiven Zwecken« verstieß. Der UN-Sicherheitsrat forderte Indonesien seinerzeit zwar postwendend zum Truppenabzug auf, aber Daniel Patrick Moynihan, damals UN-Botschafter der USA, vermerkte später in seinen Erinnerungen, eigentlich seien die Vereinten Nationen auf Anregung seiner Regierung »vollkommen untätig« geblieben. Richard Holbrooke - Mitte der siebziger Jahre Staatssekretär für fernöstliche und pazifische Angelegenheiten - wurde fünf Monate nach der Invasion zur Zahl der Toten in Osttimor befragt: 10.000 schätzte man in Washington - 50.000 in Jakarta. »Unsere Informationen sind wohl nicht die besten«, äußerte sich Holbrooke daraufhin gegenüber australischen Journalisten, »aber ich will betonen, dass ich überhaupt kein Interesse daran habe, mich über die wirkliche Opferzahl zu streiten«. Holbrooke ist inzwischen UN-Botschafter.

Die US-Politik hat sich trotz der jüngsten Krokodilstränen zwischen 1975 und 1999 nicht grundlegend verändert. Ford, Carter, Reagan, Bush, Clinton. Wenn es hoch kommt ein klein bisschen Rhetorik für Osttimor (vor allem bei Clinton, der eine UN-Friedens truppe zumindest logistisch unterstützen will und ansonsten sauer ist, dass seine Freunde in Indonesien dummes Zeug machen), ansonsten Realpolitik, weil die paar Hunderttausend Timoresen einfach nicht wichtig sind.

Die »freie Presse« Amerikas kann auch nicht glänzen: Bis vor kurzem war Osttimor einfach nicht auf dem Radarschirm der Medien. Abgesehen von vereinzelten Stimmen (besonders des unermüdlichen Noam Chomsky, der die Ungeheuerlichkeiten auf der kleinen Insel und die amerikanische Komplizenschaft in zahllosen Kommentaren und Reden angeprangert hat), hörte Amerika nichts über Osttimor. Und jetzt? Samuel Berger, Clintons Nationaler Sicherheitsberater, in der New York Times: »Weil wir Kosovo bombardiert haben, müssen wir nicht gleich auch noch Dili bombardieren«. Holbrooke, wie gesagt, ist Clintons UN-Botschafter, und Kissinger steht nicht vor einem Kriegsverbrechertribunal, sondern schreibt kluge Kommentare.

»Humanitäre Interventionen«, die nie stattfanden


Ost-Timor, 1975/1976
Im Dezember 1975 - unmittelbar nach der Entlassung aus portugiesischer Kolonialherrschaft - lässt Diktator Suharto indonesische Truppen in Ost-Timor einmarschieren, um das Gebiet anschließend zu annektieren. Eine Landnahme, die mindestens 150.000 Timoresen mit ihrem Leben bezahlen müssen. Die UNO reagiert zwischen 1975 und 1983 auf diesen Völkermord mit insgesamt acht Resolutionen, in denen jedoch nie von der Notwendigkeit eines direkten Eingreifens die Rede ist.

Irak, 1988
Bei Angriffen der irakischen Armee am 16. März 1988 auf die von Kurden bewohnte Region von Halabja im Norden des Landes werden mehr 5.000 Menschen - vorzugsweise Frauen und Kinder - durch chemische Waffen getötet. Diesen von Saddam Hussein befohlenen Massakern fallen in den darauffolgenden Monaten in 4.500 zerstörten Ortschaften vermutlich bis zu 500.000 Menschen zum Opfer. Der Genozid wird zwar mehrfach auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates gesetzt, doch kommt es - nicht zuletzt vor dem Hintergrund des 1980 begonnenen Krieges zwischen dem Irak und Iran - zu keiner Entscheidung über eine mögliche UN-Mission.

Haiti, 1993
Eine Peace-Keeping-Mission (1.600 Mann/UNMIH) soll im September 1993 die Rückkehr des drei Jahre zuvor von einer Militärclique gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristides ermöglichen, doch scheitert schon die Landung am Widerstand der Armee Haitis und des regimenahen Mobs. Statt dessen sterben Hunderte Anhänger Aristides bei gezielten Mordaktionen der Geheimpolizei - im Oktober 1993 wird die Blauhelm-Aktion dann völlig abgebrochen. Erst im September 1994 zwingt eine erneute UN-Militäraktion unter US-Kommando das Regime in Port-au-Prince zur Aufgabe.

Ruanda, 1994
Nach dem Tod des Präsidenten Habyarimana beginnen Armee und paramilitärische Milizen einen Mordfeldzug gegen die Ethnie der Tutsi, aber auch das Mehrheitsvolk der Hutu, dem innerhalb von vier Monaten 500.000 bis 600.000 Menschen zum Opfer fallen. Die 2.500 in Ruanda stationierten UN-Soldaten (UNAMIR) verhalten sich neutral. Ende April wird das Korps auf Beschluss des Sicherheitsrates auf 270 Mann verkleinert. Zwar gibt es danach immer wieder Pläne für eine Intervention, doch kommt nie eine Resolution darüber zustande. Frankreich interveniert schließlich - vom UN-Sicherheitsrat dazu ermächtigt - allein (Operation Türkis), jedoch nur, um Teile der für den Genozid verantwortlichen Armee nach Zaire zu evakuieren. Zaire, 1996 Während des Aufstandes in Ost-Zaire gegen Diktator Mobutu geraten Hunderttausende Flüchtlinge aus Ruanda zwischen die Fronten. Am 15. November beschließt der UN-Sicherheitsrat daraufhin die Entsendung internationaler Streitkräfte, die unter kanadischem Kommando stehen sollen. Bald jedoch werden diese Pläne revidiert und die Hilfsmassnahmen eingestellt. Bis heute ist nicht bekannt, wieviel Menschen bei diesem Flüchtlingsdrama ums Leben kamen, Schätzungen sprechen von annähernd 15.000.

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