Ein Krieg, der nicht zu gewinnen ist

Nahostkonflikt Mittlerweile meinen selbst die USA, dass der "Krieg gegen den Terror" gescheitert ist - nur Israel hat davon noch nichts mitbekommen, meint Guardian-Autor Gary Younge.

An Neujahr bestieg Atif Irfan mit sieben Mitgliedern seiner Familie auf dem Reagan National Airport in Washington ein Flugzeug. Während sie den Mittelgang entlanggingen, überlegte er laut, ob man sich wohl besser in den hinteren Teil des Flugzeuges setzen solle. Als sie sich dort niederließen, sagte seine Schwägerin, sie sitze lieber hinten, dort sei man sicherer als in der Nähe der Flügel oder des Motors, „falls etwas passieren sollte“.

Zwei Teenager überhörten diese Unterhaltung und aufgrund der dunklen Haut, der Bärte der Männer und der Kopftücher der Frauen sahen sie eine Familie von Selbstmordattentätern vor sich, die drei kleine Kinder im Alter zwischen drei und sieben Jahren bei sich hatte. Die Mädchen erzählten es ihren Eltern, die Eltern den Flugbegleitern, die Flugbegleiter den Air Marshals und die Air Marshals informierten das FBI und die Flughafenpolizei.

Der Pilot forderte die Marshals auf, die ganze Familie aus dem Flugzeug zu entfernen. Es mussten dann aber alle die Maschine verlassen, damit diese besser durchsucht werden konnte. Die Familie wie auch ein Freund, der zufällig in der gleichen Maschine saß, wurde von bewaffneten Wachleuten umstellt, zur Befragung festgehalten und dann freigelassen. Die Maschine flog schließlich ohne sie ab. Als sie die nächste nehmen wollten, wurde ihnen dies von der Fluggesellschaft verweigert, obwohl sich das Missverständnis aufgeklärt hatte – inzwischen hat sie sich entschuldigt.

Better safe than sorry
Was den Irfans widerfuhr, ist auch sieben Jahre nach 9/11 kein Einzelfall. Präventiv, auf Vermutungen gestützt, unangemessen und diskriminierend – der Vorfall spricht Bände über die Werte, mit denen die beiden amerikanischen Teenager die längste Zeit ihres Lebens zubrachten. In einer Welt, die – geleitet von der Maxime lieber auf Nummer sicher gehen als das Nachsehen haben – Muslime mit Terroristen gleichsetzt, ist letztlich niemand sicher und alle haben das Nachsehen. Der Vorfall ist nur deshalb nicht symptomatisch für den „Krieg gegen den Terror“, weil niemand getötet oder verschleppt wurde.

Die Geschichte hat allerdings nichts besonders Amerikanisches an sich. Wie die von Nike oder McDonald`s begann sie hier, wurde aber schnell zum weltweiten Phänomen. In den Monaten nach den Anschlägen auf Pentagon und World Trade Center wollte niemand zurückstehen, Präsident Bush fand sich in illustrer Gesellschaft. Unter anderen versuchten Simbabwes Präsident Robert Mugabe und Indiens früherer Premier Atal Bihari Vaypayee es Bush nachzutun und ihre eigene Version des gewaltsamen Despotismus zu exekutieren. Nur wenige Länder taten dies allerdings mit solch beständigem Eifer wie Israel. „Ihr Amerikaner befindet Euch im Krieg gegen den Terrorismus“, sagte Ariel Sharon im Dezember 2001 nach Selbstmordattentaten in Haifa und Jerusalem. „Wir Israelis befinden uns im Krieg gegen den Terrorismus – es ist derselbe Krieg.“

Die Sache ist nur, dass der „Krieg gegen den Terror“ sich im Laufe der vergangenen sieben Jahre völlig diskreditiert hat, und dies nicht nur moralisch, sondern auch in militärischer und strategischer Hinsicht. Niemand hört auf die Stimme der Vernunft, wenn Bomben explodieren und Menschen sterben, das gilt für die Raketen, die einige Israelis getötet haben, ebenso wie für die Bomben und nun auch für die Panzer, die hunderte von Palästinensern getötet haben.

Vor dem Hintergrund der Ablehnung jeglicher Verhandlungen, schwächte die Gewalt die Extremisten nicht, sondern bestärkte sie vielmehr. Es mag sein, dass Israel nun ernsthaft die gemäßigte Fatah unterstützen will, die in der West Bank regiert, aber der Wahlerfolg der Hamas war ein direktes Resultat der Geringschätzung, mit welcher die Israelis der Fatah in der Vergangenheit begegneten.

Des Weiteren hat der Iran – der Hauptsponsor sowohl der Hamas als auch der Hissbollah – seit dem letzten Irakkrieg weit größeren Einfluss in der Region als zuvor. An nahezu jeder Front und an nahezu jedem Ort dieser Welt, einschließlich der USA, gilt der „Krieg gegen den Terror“ heute als kolossaler Fehler. Einzig in Israel hat man hiervon nichts mitbekommen und es ist nun im Begriff, aus denselben Gründen zu scheitern, aus denen die USA gescheitert sind.

Israels diplomatische Bemühungen, die Bombardierung und nun auch die Invasion Gazas als direkte Fortsetzung des „Kriegs gegen den Terrorismus“ zu verkaufen, hätten kruder nicht sein können. Die Bombardierung von Wohnhäusern, Moscheen und Polizeistationen wurde als „Zerstörung der Infrastruktur des Terrors“ bezeichnet. Selbst angesichts der weltweiten Proteste erzählt Israels Außenministerin und Kadima-Vorsitzende Zipi Livni jedem, der es hören will, dass das Vorgehen ihres Landes sie fest in der Völkergemeinschaft verankere, was ihrer Meinung nach die Bewohner des Gaza-Streifens und deren demokratisch gewählte Regierung nicht für sich in Anspruch nehmen könnten.

Obamas Chance
„Israel ist Teil der freien Welt und bekämpft Extremismus und Terrorismus, Hamas tut das nicht“, sagte sie. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt hin zu der Haltung, man sei „entweder für uns oder für die Terroristen“. „In diesen Tagen muss jeder Einzelne in der Region und in der Welt sich entscheiden, auf welcher Seite er steht“, sagte Livni. Israel übernahm die Grundsätze des „Kriegs gegen den Terror“, die den USA solch schlechte Dienste erwiesen haben – in erster Linie den, dass heikle politische Probleme allein militärisch gelöst werden können und den Gegner hierbei mittels Bombardierung nicht etwa nur zur Kapitulation zu zwingen, sondern völlig zu vernichten.
„Ich denke, wir dürfen der Hamas nicht erlauben zu regieren“, sagte Israels Vize-Premier Haim Ramon. „Das ist das Wichtigste.“ Wer seiner Meinung nach die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte, wenn die Hamas nicht mehr ist und welche Legitimation eine solche Regierung dann hätte, scheint ihn nicht weiter zu kümmern. Er will nicht die Regierung Gazas ändern, sondern die Menschen.

Was das anbelangt, hat Livini recht. Die Menschen müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Aber bislang ist dies nicht die Seite, auf der sie steht. Sieben Jahre nach dem elften September hat die Welt eine ziemlich klare Vorstellung davon, was als nächstes kommen wird und wie weitreichend die Konsequenzen sein werden – und sie können gut und gerne darauf verzichten. Der „Krieg gegen den Terror“ ist vorbei. Krieg verloren. Zum ersten Mal seit langem scheint dies sogar in Amerika zu gelten. Eine jüngst von Rasmussen durchgeführte Umfrage zeigt, dass die Amerikaner der israelischen Aggression weit weniger Verständnis entgegenbringen, als viele vorher gedacht haben: 44% unterstützten das militärische Vorgehen der Israelis, 41% äußern die Ansicht, Israel hätte versuchen müssen, eine diplomatische Lösung zu finden.

Hieraus ergibt sich für den designierten amerikanischen Präsidenten Barack Obama Spielraum für eine ausgewogenere Politik in der Region, falls er hierzu bereit sein sollte. Dies würde Amerikas Position und Ansehen in der gesamten Region stärken. Laut einer von Gallup durchgeführten Umfrage äußert in sieben arabischen Ländern eine Mehrheit der Befragten, es würde ihre Meinung über die USA verbessern, wenn diese Druck auf Israel ausüben würden, sich im Umgang mit den Palästinenser an internationales Recht zu halten – die Schließung von Guantánamo Bay brächte ihnen keinen so großen Prestigegewinn ein.
Das ist der Wandel, den Amerika und der Mittlere Osten brauchen. Und es die Art von Wandel, an den der Rest der Welt gerne glauben möchte.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden